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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Griechisch-orthodoxe und römisch-katholische Kirche

verletzen." So sprach der als Urheber des Schismas so oft verdammte Photios.
Wenn nun sein Geist, wie die griechische Kirche immer behauptet, noch heute
in ihr lebendig ist, so müßte die Einigung der Kirchen doch kein unerreichbares Ziel
sein, vorausgesetzt, daß das Schisma eben nur eine Wirkung der Verschiedenheit
in dogmatischen und allgemein religiösen Normen und Gewohnheiten wäre.




Wenn wir zum Vergleich nur mit einem kurzen Seitenblick die protestan¬
tischen Kirchen streifen, so ergibt sich alsbald, wie unendlich viel größer
hier der Unterschied von der römisch-katholischen Kirche ist und wie nahezu in
allen wichtigen dogmatischen Fragen die griechische und die römische Kirche
durchaus auf dem gleichen Fundamente ruhen. Im Zurückgehen auf die älteste
Kirche, wie sie aus den Evangelien sich ergibt oder abgeleitet wird, lehnte die
protestantische Kirche die gesamte Überlieferung und die Entscheidungen der Konzilien
als Norm des Glaubens ab und stellte ihre Konfession auf eine vollständig neue
Grundlage. Die griechische wie die römische Kirche sind dagegen in der Anerkennung
der Autorität der Väter und der Konzilien durchaus einer Meinung. In der
Lehre vom Abendmahl hat die Reformation ein neues Dogma eingeführt, das
den beiden älteren Kirchen in gleicher Weise fremd ist; ebenso stimmen in der
Lehre von der Buße und Rechtfertigung, in der Wertschätzung der guten Werke
und der Gnadenmittel der Kirche die römische und die orthodoxe Gemeinschaft
in allem wesentlichen überein gegenüber der prinzipiell anders gearteten und
damit völlig unvereinbarer Lehre von der Rechtfertigung allein durch den
Glauben. Die gesamte Ordnung des Gottesdienstes, in dessen Mittelpunkt die
Messe steht, ist gegenüber der protestantischen Weise durchaus die gleiche alte
der ungetrennten Kirche. Und was das kirchliche Leben anbetrifft, so hegen
beide Kirchen die gleiche Wertschätzung eines "Standes von Betern", um das
Wesen des Mönchwms recht prinzipiell in dieser Formel zusammenzufassen,
während die evangelischen Kirchen diesen Stand vollkommen ausgeschlossen und
auch dem Priestertum selbst eine durchaus neue Bedeutung gegeben haben, die
von der römischen und der orthodoxen Kirche mit gleicher Schärfe abgelehnt wird.

In der Tat, die Kluft zwischen den evangelischen Konfessionen und der
orthodoxen Kirche ist um nichts geringer als jene, welche den Protestantismus
von der römischen Kirche trennt. Daher ist auch nur ein einziges Mal eine
Union zwischen der orthodoxen und der protestantischen Kirche Deutschlands
ernstlich versucht worden, und bezeichnenderweise ging der Versuch nicht von der
orthodoxen Kirche, sondern von den Protestanten aus. Bereits Melanchthon
bahnte eine Verständigung an, als er 1569 dem Patriarchen von Konstantinopel
die Augsburger Konfession in griechischer Übersetzung mit einem aufklärenden
Schreiben übersandte. Mit Nachdruck wurde drei Jahre später von Tübingen
aus der Versuch einer Einigung unternommen. Jakob Andreae, Lucas
Osiander und insbesondere Martin Crusius legten dem Patriarchen Jeremias


Griechisch-orthodoxe und römisch-katholische Kirche

verletzen." So sprach der als Urheber des Schismas so oft verdammte Photios.
Wenn nun sein Geist, wie die griechische Kirche immer behauptet, noch heute
in ihr lebendig ist, so müßte die Einigung der Kirchen doch kein unerreichbares Ziel
sein, vorausgesetzt, daß das Schisma eben nur eine Wirkung der Verschiedenheit
in dogmatischen und allgemein religiösen Normen und Gewohnheiten wäre.




Wenn wir zum Vergleich nur mit einem kurzen Seitenblick die protestan¬
tischen Kirchen streifen, so ergibt sich alsbald, wie unendlich viel größer
hier der Unterschied von der römisch-katholischen Kirche ist und wie nahezu in
allen wichtigen dogmatischen Fragen die griechische und die römische Kirche
durchaus auf dem gleichen Fundamente ruhen. Im Zurückgehen auf die älteste
Kirche, wie sie aus den Evangelien sich ergibt oder abgeleitet wird, lehnte die
protestantische Kirche die gesamte Überlieferung und die Entscheidungen der Konzilien
als Norm des Glaubens ab und stellte ihre Konfession auf eine vollständig neue
Grundlage. Die griechische wie die römische Kirche sind dagegen in der Anerkennung
der Autorität der Väter und der Konzilien durchaus einer Meinung. In der
Lehre vom Abendmahl hat die Reformation ein neues Dogma eingeführt, das
den beiden älteren Kirchen in gleicher Weise fremd ist; ebenso stimmen in der
Lehre von der Buße und Rechtfertigung, in der Wertschätzung der guten Werke
und der Gnadenmittel der Kirche die römische und die orthodoxe Gemeinschaft
in allem wesentlichen überein gegenüber der prinzipiell anders gearteten und
damit völlig unvereinbarer Lehre von der Rechtfertigung allein durch den
Glauben. Die gesamte Ordnung des Gottesdienstes, in dessen Mittelpunkt die
Messe steht, ist gegenüber der protestantischen Weise durchaus die gleiche alte
der ungetrennten Kirche. Und was das kirchliche Leben anbetrifft, so hegen
beide Kirchen die gleiche Wertschätzung eines „Standes von Betern", um das
Wesen des Mönchwms recht prinzipiell in dieser Formel zusammenzufassen,
während die evangelischen Kirchen diesen Stand vollkommen ausgeschlossen und
auch dem Priestertum selbst eine durchaus neue Bedeutung gegeben haben, die
von der römischen und der orthodoxen Kirche mit gleicher Schärfe abgelehnt wird.

In der Tat, die Kluft zwischen den evangelischen Konfessionen und der
orthodoxen Kirche ist um nichts geringer als jene, welche den Protestantismus
von der römischen Kirche trennt. Daher ist auch nur ein einziges Mal eine
Union zwischen der orthodoxen und der protestantischen Kirche Deutschlands
ernstlich versucht worden, und bezeichnenderweise ging der Versuch nicht von der
orthodoxen Kirche, sondern von den Protestanten aus. Bereits Melanchthon
bahnte eine Verständigung an, als er 1569 dem Patriarchen von Konstantinopel
die Augsburger Konfession in griechischer Übersetzung mit einem aufklärenden
Schreiben übersandte. Mit Nachdruck wurde drei Jahre später von Tübingen
aus der Versuch einer Einigung unternommen. Jakob Andreae, Lucas
Osiander und insbesondere Martin Crusius legten dem Patriarchen Jeremias


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[0358] Griechisch-orthodoxe und römisch-katholische Kirche verletzen." So sprach der als Urheber des Schismas so oft verdammte Photios. Wenn nun sein Geist, wie die griechische Kirche immer behauptet, noch heute in ihr lebendig ist, so müßte die Einigung der Kirchen doch kein unerreichbares Ziel sein, vorausgesetzt, daß das Schisma eben nur eine Wirkung der Verschiedenheit in dogmatischen und allgemein religiösen Normen und Gewohnheiten wäre. Wenn wir zum Vergleich nur mit einem kurzen Seitenblick die protestan¬ tischen Kirchen streifen, so ergibt sich alsbald, wie unendlich viel größer hier der Unterschied von der römisch-katholischen Kirche ist und wie nahezu in allen wichtigen dogmatischen Fragen die griechische und die römische Kirche durchaus auf dem gleichen Fundamente ruhen. Im Zurückgehen auf die älteste Kirche, wie sie aus den Evangelien sich ergibt oder abgeleitet wird, lehnte die protestantische Kirche die gesamte Überlieferung und die Entscheidungen der Konzilien als Norm des Glaubens ab und stellte ihre Konfession auf eine vollständig neue Grundlage. Die griechische wie die römische Kirche sind dagegen in der Anerkennung der Autorität der Väter und der Konzilien durchaus einer Meinung. In der Lehre vom Abendmahl hat die Reformation ein neues Dogma eingeführt, das den beiden älteren Kirchen in gleicher Weise fremd ist; ebenso stimmen in der Lehre von der Buße und Rechtfertigung, in der Wertschätzung der guten Werke und der Gnadenmittel der Kirche die römische und die orthodoxe Gemeinschaft in allem wesentlichen überein gegenüber der prinzipiell anders gearteten und damit völlig unvereinbarer Lehre von der Rechtfertigung allein durch den Glauben. Die gesamte Ordnung des Gottesdienstes, in dessen Mittelpunkt die Messe steht, ist gegenüber der protestantischen Weise durchaus die gleiche alte der ungetrennten Kirche. Und was das kirchliche Leben anbetrifft, so hegen beide Kirchen die gleiche Wertschätzung eines „Standes von Betern", um das Wesen des Mönchwms recht prinzipiell in dieser Formel zusammenzufassen, während die evangelischen Kirchen diesen Stand vollkommen ausgeschlossen und auch dem Priestertum selbst eine durchaus neue Bedeutung gegeben haben, die von der römischen und der orthodoxen Kirche mit gleicher Schärfe abgelehnt wird. In der Tat, die Kluft zwischen den evangelischen Konfessionen und der orthodoxen Kirche ist um nichts geringer als jene, welche den Protestantismus von der römischen Kirche trennt. Daher ist auch nur ein einziges Mal eine Union zwischen der orthodoxen und der protestantischen Kirche Deutschlands ernstlich versucht worden, und bezeichnenderweise ging der Versuch nicht von der orthodoxen Kirche, sondern von den Protestanten aus. Bereits Melanchthon bahnte eine Verständigung an, als er 1569 dem Patriarchen von Konstantinopel die Augsburger Konfession in griechischer Übersetzung mit einem aufklärenden Schreiben übersandte. Mit Nachdruck wurde drei Jahre später von Tübingen aus der Versuch einer Einigung unternommen. Jakob Andreae, Lucas Osiander und insbesondere Martin Crusius legten dem Patriarchen Jeremias

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/358>, abgerufen am 15.01.2025.