Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.Griechisch-orthodoxe und römisch-katholische Airche könnte nur mit schwerster Enttäuschung enden und es war selbstverständlich, daß Das Verbot der Priesterehe kennt die orientalische Kirche nicht; es ist Griechisch-orthodoxe und römisch-katholische Airche könnte nur mit schwerster Enttäuschung enden und es war selbstverständlich, daß Das Verbot der Priesterehe kennt die orientalische Kirche nicht; es ist <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0357" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/322759"/> <fw type="header" place="top"> Griechisch-orthodoxe und römisch-katholische Airche</fw><lb/> <p xml:id="ID_1728" prev="#ID_1727"> könnte nur mit schwerster Enttäuschung enden und es war selbstverständlich, daß<lb/> die römische Kurie einen derartigen Vorschlag ohne weiteres ablehnte. Denn<lb/> beides muß vereinigt sein: tiefe theologische Einsicht, um die Streitpunkte scharf<lb/> zu erkennen, und doch genug religiöse Begeisterung und Hingabe, um sie zu<lb/> überwinden. Durch das Dogma vom Ausgang des Geistes werden die Freunde<lb/> einer Union vor eine schwere Aufgabe gestellt, die meisten anderen dogmatischen<lb/> Differenzen sind von geringerer Tragweite.</p><lb/> <p xml:id="ID_1729" next="#ID_1730"> Das Verbot der Priesterehe kennt die orientalische Kirche nicht; es ist<lb/> allgemein Sitte, daß die Diakone vor dem Empfang der höheren Weihen<lb/> heiraten. In dieser Beziehung bewahrt der orthodoxe Osten die Praxis der<lb/> alten Kirche. Aber an den Prinzipien, auf denen der Zölibat in der römischen<lb/> Kirche begründet ist, hält doch auch die griechische Kirche fest. Auch ihr steht<lb/> die Ehelosigkeit der Diener Gottes prinzipiell höher als die Ehe. Ihre Bischöfe<lb/> sind durchweg unverheiratet und infolgedessen zumeist dem Mönchtum ent¬<lb/> nommen, auch ist dem Priester das Eingehen einer zweiten Ehe nicht erlaubt.<lb/> Hier wäre also eine Einigung unschwer zu erreichen. Ebenso steht es mit der<lb/> Frage der Liturgie, indem die Griechen der römischen Kirche den Gebrauch des<lb/> ungesäuerten Brotes vorwerfen und anderseits den Kelch niemals dem Laien<lb/> entzogen haben. Beides sind Differenzen aus verhältnismäßig später Zeit, und<lb/> in der Tat hat die römische Doktrin früher in diesem Punkte gegen die orthodoxe<lb/> Kirche ganz anders als gegen die Protestanten immerfort Duldung geübt. In<lb/> der Taufe hat die griechische Kirche an dem Ritus der völligen Immersion<lb/> festgehalten, aber doch die Wiedertaufe der römisch oder protestantisch, das heißt<lb/> durch bloßes Aufgießen Getauften, aufgegeben und die abendländische Form als<lb/> gültig anerkannt. Auch zahlreiche andere Unterschiede im Gottesdienst, in der<lb/> Firmung, in der Lehre von der Buße, der Ehe, in den Äußerlichkeiten der<lb/> Lebensführung der Geistlichen sind von keiner einschneidenden Bedeutung. In<lb/> allen diesen Fragen steht wenigstens die orthodoxe Kirche, so sehr sie in Anspruch<lb/> nimmt, die Gebräuche der alten Kirche bewahrt zu haben, doch auf dem Stand¬<lb/> punkt, den Photios in seinem Schreiben an Papst Nikolaus den Ersten vom Jahre<lb/> 861 zum Ausdruck brachte: „Das treue Festhalten an den Überlieferungen und die<lb/> Abweisung jeder Neuerung verrät einen verständigen Sinn, in unwesentlichen Dingen<lb/> aber ist jeder sich selbst Gesetz. Es gibt allgemein verbindliche Normen, wie die<lb/> Glaubenswahrheiten, und besondere kirchliche Gesetze in einzelnen Ländern. So<lb/> ist es in dem einen Lande Sitte, sich den Bart zu scheren, in anderen sogar<lb/> durch Synodalverfügungen verboten; wir fasten nicht am Samstag, andere<lb/> haften; in Rom findet man keine gesetzlich verheirateten Geistlichen, bei uns hat<lb/> das Trullanum andere Bestimmungen gegeben. Ebenso gibt es Verschiedenheiten<lb/> in den Gebeten, Zeremonien, Gebräuchen, kirchlichen Verrichtungen, Disziplinar-<lb/> Verordnungen. Bei allen diesen Dingen kommt es nur darauf an, was in<lb/> einem Lande Sitte ist, niemand hat ein Recht, derartige Unterschiede zu tadeln,<lb/> wenn sie nicht den Glauben oder die Verordnungen der allgemeinen Konzilien</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0357]
Griechisch-orthodoxe und römisch-katholische Airche
könnte nur mit schwerster Enttäuschung enden und es war selbstverständlich, daß
die römische Kurie einen derartigen Vorschlag ohne weiteres ablehnte. Denn
beides muß vereinigt sein: tiefe theologische Einsicht, um die Streitpunkte scharf
zu erkennen, und doch genug religiöse Begeisterung und Hingabe, um sie zu
überwinden. Durch das Dogma vom Ausgang des Geistes werden die Freunde
einer Union vor eine schwere Aufgabe gestellt, die meisten anderen dogmatischen
Differenzen sind von geringerer Tragweite.
Das Verbot der Priesterehe kennt die orientalische Kirche nicht; es ist
allgemein Sitte, daß die Diakone vor dem Empfang der höheren Weihen
heiraten. In dieser Beziehung bewahrt der orthodoxe Osten die Praxis der
alten Kirche. Aber an den Prinzipien, auf denen der Zölibat in der römischen
Kirche begründet ist, hält doch auch die griechische Kirche fest. Auch ihr steht
die Ehelosigkeit der Diener Gottes prinzipiell höher als die Ehe. Ihre Bischöfe
sind durchweg unverheiratet und infolgedessen zumeist dem Mönchtum ent¬
nommen, auch ist dem Priester das Eingehen einer zweiten Ehe nicht erlaubt.
Hier wäre also eine Einigung unschwer zu erreichen. Ebenso steht es mit der
Frage der Liturgie, indem die Griechen der römischen Kirche den Gebrauch des
ungesäuerten Brotes vorwerfen und anderseits den Kelch niemals dem Laien
entzogen haben. Beides sind Differenzen aus verhältnismäßig später Zeit, und
in der Tat hat die römische Doktrin früher in diesem Punkte gegen die orthodoxe
Kirche ganz anders als gegen die Protestanten immerfort Duldung geübt. In
der Taufe hat die griechische Kirche an dem Ritus der völligen Immersion
festgehalten, aber doch die Wiedertaufe der römisch oder protestantisch, das heißt
durch bloßes Aufgießen Getauften, aufgegeben und die abendländische Form als
gültig anerkannt. Auch zahlreiche andere Unterschiede im Gottesdienst, in der
Firmung, in der Lehre von der Buße, der Ehe, in den Äußerlichkeiten der
Lebensführung der Geistlichen sind von keiner einschneidenden Bedeutung. In
allen diesen Fragen steht wenigstens die orthodoxe Kirche, so sehr sie in Anspruch
nimmt, die Gebräuche der alten Kirche bewahrt zu haben, doch auf dem Stand¬
punkt, den Photios in seinem Schreiben an Papst Nikolaus den Ersten vom Jahre
861 zum Ausdruck brachte: „Das treue Festhalten an den Überlieferungen und die
Abweisung jeder Neuerung verrät einen verständigen Sinn, in unwesentlichen Dingen
aber ist jeder sich selbst Gesetz. Es gibt allgemein verbindliche Normen, wie die
Glaubenswahrheiten, und besondere kirchliche Gesetze in einzelnen Ländern. So
ist es in dem einen Lande Sitte, sich den Bart zu scheren, in anderen sogar
durch Synodalverfügungen verboten; wir fasten nicht am Samstag, andere
haften; in Rom findet man keine gesetzlich verheirateten Geistlichen, bei uns hat
das Trullanum andere Bestimmungen gegeben. Ebenso gibt es Verschiedenheiten
in den Gebeten, Zeremonien, Gebräuchen, kirchlichen Verrichtungen, Disziplinar-
Verordnungen. Bei allen diesen Dingen kommt es nur darauf an, was in
einem Lande Sitte ist, niemand hat ein Recht, derartige Unterschiede zu tadeln,
wenn sie nicht den Glauben oder die Verordnungen der allgemeinen Konzilien
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