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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Nie Zukunft der Fideikommisse

dem Großen keinen Ausbau erfahren hat und das mit den fortgeschrittenen
und verfeinerten Verhältnissen der Gegenwart nicht mitgegangen ist! In der
heutigen Fiderkommißpraxis, d. h, in den bestehenden Stiftungsurkuuden ist die
Singularsukzession meist weit strenger durchgeführt, als es im Interesse der
Volkswirtschaft angemessen, ja als es im Familieninteresse nötig ist. Infolge¬
dessen hat das ganze Institut bis heute einen wenig herausgearbeiteten, fast
möchte man sagen, rohen Charakter. Die heutigen Stifter von Fideikommissen
kämpfen oft selbst gegen die nach heutigem Wirtschafts- und Entwicklungsstande
zu wenig Spezialisierte, gewissermaßen starre Form, in die das Landrecht, aber
wohl noch mehr die Praxis das Fideikommiß gefaßt haben. Das längst ab¬
gestandene Obereigentum der ganzen Familie muß endlich beseitigt werden.
Denn es hat zur Folge, daß der Besitzer hinsichtlich der Verfügung über "die
Substanz" und hinsichtlich deren Belastung zu Meliorationszwecken übermäßig
eingeschnürt ist. Der Grund und Boden hat zwar bei uns bis heute nicht
gerade Monopolcharakter erlangt, aber er ist doch viel wertvoller geworden,
und die gesamte deutsche Volkswirtschaft ist an seiner Verwendung und Bewirt¬
schaftung heute in ganz anderer Weise interessiert, als früher zuzeiten des isolierten
und extensiven Agrarstaates (Fleischnot!). Daher müßten selbst berechtigte Familien¬
rücksichten -- solche liegen aber vielfach gar nicht vor -- heute vor dringenden
volks- und staatswirtschastlichen Interessen zurücktreten. In Rußland hat man,
Zeitungsnachrichten zufolge -- trotz des Widerstandes der baltischen Abgeordneten
-- den Abverkauf von Majoratsland zu Kolonisationszwecken allgemein, d. h.
anscheinend ohne Erfordernis der besonderen aufsichtlichen Genehmigung im
Einzelfall, freigegeben. Bei uns würde eine solche völlige Freigabe wohl
zu weit gehen; indessen ersieht man aus dem russischen Vorgange, daß heute
eben noch ganz andere als privatrechtliche Gesichtspunkte im Fideikommißwesen
mitsprechen, nämlich staatswirtschaftliche, ja hoch politische. Es kann auch bei
uns kein Nachteil für das Allgemeininteresse darin gesehen werden, wenn einmal
ein Stück Majoratsland sich in Majoratskapital verwandelt.

Im Zusammenhange hiermit wird man sich auch der Notwendigkeit nicht
verschließen können, die Zusammensetzung der Fideikommißaufsichtsbehörde
wesentlich zu ändern. Bei aller Anerkennung, die man der jahrhundertelangen
Wirksamkeit der Oberlandesgerichte auf diesem Gebiete zollen kann, wird man
doch nicht übersehen dürfen, daß die Senate derselben berufen waren und sind,
stets in allererster Linie den privatrechtlichen Gesichtspunkt hervorzukehren. Das
Fideikommißwesen ist aber dem bloßen Privatrecht längst entwachsen und daher
muß man, anderen neuzeitlichen Erfahrungen folgend, eine besondere kombinierte
Behörde für die fernere Wahrnehmung der Fideikonmußaufsicht schaffen. Man
könnte dieselbe etwa so aufbauen, daß sie unter Vorsitz des bisherigen Senats¬
präsidenten (des Oberlandesgerichts) aus weiteren vier Mitgliedern bestände,
nämlich dem bisherigen Dezernenten, einem Verwaltungsbeamten (z. B. dem
Oberpräsidialrat) und zwei Laien (Fideikommißbesitzern). Einen staatlichen


Grenzboten IV 1912 41
Nie Zukunft der Fideikommisse

dem Großen keinen Ausbau erfahren hat und das mit den fortgeschrittenen
und verfeinerten Verhältnissen der Gegenwart nicht mitgegangen ist! In der
heutigen Fiderkommißpraxis, d. h, in den bestehenden Stiftungsurkuuden ist die
Singularsukzession meist weit strenger durchgeführt, als es im Interesse der
Volkswirtschaft angemessen, ja als es im Familieninteresse nötig ist. Infolge¬
dessen hat das ganze Institut bis heute einen wenig herausgearbeiteten, fast
möchte man sagen, rohen Charakter. Die heutigen Stifter von Fideikommissen
kämpfen oft selbst gegen die nach heutigem Wirtschafts- und Entwicklungsstande
zu wenig Spezialisierte, gewissermaßen starre Form, in die das Landrecht, aber
wohl noch mehr die Praxis das Fideikommiß gefaßt haben. Das längst ab¬
gestandene Obereigentum der ganzen Familie muß endlich beseitigt werden.
Denn es hat zur Folge, daß der Besitzer hinsichtlich der Verfügung über „die
Substanz" und hinsichtlich deren Belastung zu Meliorationszwecken übermäßig
eingeschnürt ist. Der Grund und Boden hat zwar bei uns bis heute nicht
gerade Monopolcharakter erlangt, aber er ist doch viel wertvoller geworden,
und die gesamte deutsche Volkswirtschaft ist an seiner Verwendung und Bewirt¬
schaftung heute in ganz anderer Weise interessiert, als früher zuzeiten des isolierten
und extensiven Agrarstaates (Fleischnot!). Daher müßten selbst berechtigte Familien¬
rücksichten — solche liegen aber vielfach gar nicht vor — heute vor dringenden
volks- und staatswirtschastlichen Interessen zurücktreten. In Rußland hat man,
Zeitungsnachrichten zufolge — trotz des Widerstandes der baltischen Abgeordneten
— den Abverkauf von Majoratsland zu Kolonisationszwecken allgemein, d. h.
anscheinend ohne Erfordernis der besonderen aufsichtlichen Genehmigung im
Einzelfall, freigegeben. Bei uns würde eine solche völlige Freigabe wohl
zu weit gehen; indessen ersieht man aus dem russischen Vorgange, daß heute
eben noch ganz andere als privatrechtliche Gesichtspunkte im Fideikommißwesen
mitsprechen, nämlich staatswirtschaftliche, ja hoch politische. Es kann auch bei
uns kein Nachteil für das Allgemeininteresse darin gesehen werden, wenn einmal
ein Stück Majoratsland sich in Majoratskapital verwandelt.

Im Zusammenhange hiermit wird man sich auch der Notwendigkeit nicht
verschließen können, die Zusammensetzung der Fideikommißaufsichtsbehörde
wesentlich zu ändern. Bei aller Anerkennung, die man der jahrhundertelangen
Wirksamkeit der Oberlandesgerichte auf diesem Gebiete zollen kann, wird man
doch nicht übersehen dürfen, daß die Senate derselben berufen waren und sind,
stets in allererster Linie den privatrechtlichen Gesichtspunkt hervorzukehren. Das
Fideikommißwesen ist aber dem bloßen Privatrecht längst entwachsen und daher
muß man, anderen neuzeitlichen Erfahrungen folgend, eine besondere kombinierte
Behörde für die fernere Wahrnehmung der Fideikonmußaufsicht schaffen. Man
könnte dieselbe etwa so aufbauen, daß sie unter Vorsitz des bisherigen Senats¬
präsidenten (des Oberlandesgerichts) aus weiteren vier Mitgliedern bestände,
nämlich dem bisherigen Dezernenten, einem Verwaltungsbeamten (z. B. dem
Oberpräsidialrat) und zwei Laien (Fideikommißbesitzern). Einen staatlichen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/328>, abgerufen am 15.01.2025.