Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.Prometheus und Zarathustra für den "Zarathustra", mit dem sich Nietzsche schon seit 1879 herumtrug, nicht 2. Das psychologische Material gewinnt für Nietzsche das Aussehen einer kriminalen Untersuchung. Wirft man Wenn wir zum Originalitätswahn noch die Furcht vor Plagiats¬ ") Bernouilli, a, a. O. I, 383. **) Bernouilli, ebenda. I, 233,
Prometheus und Zarathustra für den „Zarathustra", mit dem sich Nietzsche schon seit 1879 herumtrug, nicht 2. Das psychologische Material gewinnt für Nietzsche das Aussehen einer kriminalen Untersuchung. Wirft man Wenn wir zum Originalitätswahn noch die Furcht vor Plagiats¬ ") Bernouilli, a, a. O. I, 383. **) Bernouilli, ebenda. I, 233,
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0313" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/322715"/> <fw type="header" place="top"> Prometheus und Zarathustra</fw><lb/> <p xml:id="ID_1469" prev="#ID_1468" next="#ID_1470"> für den „Zarathustra", mit dem sich Nietzsche schon seit 1879 herumtrug, nicht<lb/> die erste evokative Anregung hergeben konnte, da die angegebenen Umstände,<lb/> die Annahme, Nietzsche hätte den „Prometheus" im August 1881 gekannt, als<lb/> höchst unwahrscheinlich erscheinen lassen. Daß Nietzsche den „Prometheus" vor<lb/> August 1881 kennen gelernt hätte, ist nicht nur nicht unzweifelhaft, wie Wein-<lb/> gärtner, Hofmann, Ragaz und andere meinen, nicht einmal höchst wahrscheinlich,<lb/> wie Spitteler meint, es ist sogar im höchsten Grade unwahrscheinlich und das<lb/> Entgegengesetzte sozusagen sicher. Ob und inwiefern gegen Ende des Jahres<lb/> 1882 da für Nietzsche eine weit größere' Wahrscheinlichkeit der Spitteler Lektüre<lb/> besteht, der „Prometheus" auf den bereits stark vorgeschrittenen „Zarathustra"<lb/> im einzelnen Einfluß gewonnen haben mochte, ist noch zu erörtern. Jedenfalls<lb/> fehlt hierzu derzeit jegliches historisches Material.</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> 2. Das psychologische Material</head><lb/> <p xml:id="ID_1470" prev="#ID_1469"> gewinnt für Nietzsche das Aussehen einer kriminalen Untersuchung. Wirft man<lb/> die Frage auf, die Spitteler mit so nobler Energie verneint hat. ob es denkbar<lb/> wäre, daß Nietzsche einen Einfluß, den er erfahren, dem er vielleicht den ent¬<lb/> scheidenden Gedanken des Übermenschen zu verdanken hatte, absichtlich und<lb/> bewußt hätte verschweigen, die Spuren verwischen und verheimlichen können, so<lb/> ist man gezwungen, die Frage zu bejahen. Das ist denkbar. Nietzsche war<lb/> unzweifelhaft von einem Originalitätswahn befallen, wie ihn in dieser Reizbarkeit<lb/> vielleicht nur noch Winckelmann ausweist, zur lebhaften Aufnahme jeden Ein¬<lb/> druckes übrigens ebenso überbereit wie Nietzsche. Was den „Zarathustra" an¬<lb/> belangt, hat sich der Originalitätswahn noch ganz besonders gesteigert, wie aus<lb/> der Schilderung im „Lene Komo" ersichtlich: „Hat jemand Ende des neun¬<lb/> zehnten Jahrhunderts einen deutlichen Begriff davon, was Dichter starker Zeit¬<lb/> alter Inspiration nannten?" Hier wird der „Zarathustra" expre88l8 verbis<lb/> als göttliche Offenbarung bezeichnet. Nietzsche macht also, was dieses Werk<lb/> anbelangt, von vornherein den Anspruch auf größte Originalität. „Über die<lb/> Sparsamkeit, mit der Nietzsche tiefgehende Eindrücke seiner Lektüre unter Um¬<lb/> ständen auch den nächsten Freunden verbarg," machte bereits Overbeck seine<lb/> Beobachtungen*). Der Fall Stirner ist ein Analogon. Auch ihn hat Nietzsche<lb/> verschwiegen und Overbecks Aufzeichnungen haben uns erst auf diese Spur<lb/> geführt, wie auch der Hölderlinsche Einfluß entdeckt werden mußte und nirgends<lb/> eingestanden war. Schwerwiegend sind auch die in Frau Jda Overbecks<lb/> „Erinnerungen"**) angeführten Worte Nietzsches: „Nun habe ich es (Stirner)<lb/> Ihnen doch gesagt, und ich wollte nicht davon sprechen. Vergessen Sie es wieder.<lb/> Man wird von einem Plagiat reden, aber Sie werden das nicht tun, das weiß ich."</p><lb/> <p xml:id="ID_1471" next="#ID_1472"> Wenn wir zum Originalitätswahn noch die Furcht vor Plagiats¬<lb/> beschuldigung hinzunehmen, so haben wir die Motive beisammen, aus denen</p><lb/> <note xml:id="FID_35" place="foot"> ") Bernouilli, a, a. O. I, 383.</note><lb/> <note xml:id="FID_36" place="foot"> **) Bernouilli, ebenda. I, 233,</note><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0313]
Prometheus und Zarathustra
für den „Zarathustra", mit dem sich Nietzsche schon seit 1879 herumtrug, nicht
die erste evokative Anregung hergeben konnte, da die angegebenen Umstände,
die Annahme, Nietzsche hätte den „Prometheus" im August 1881 gekannt, als
höchst unwahrscheinlich erscheinen lassen. Daß Nietzsche den „Prometheus" vor
August 1881 kennen gelernt hätte, ist nicht nur nicht unzweifelhaft, wie Wein-
gärtner, Hofmann, Ragaz und andere meinen, nicht einmal höchst wahrscheinlich,
wie Spitteler meint, es ist sogar im höchsten Grade unwahrscheinlich und das
Entgegengesetzte sozusagen sicher. Ob und inwiefern gegen Ende des Jahres
1882 da für Nietzsche eine weit größere' Wahrscheinlichkeit der Spitteler Lektüre
besteht, der „Prometheus" auf den bereits stark vorgeschrittenen „Zarathustra"
im einzelnen Einfluß gewonnen haben mochte, ist noch zu erörtern. Jedenfalls
fehlt hierzu derzeit jegliches historisches Material.
2. Das psychologische Material
gewinnt für Nietzsche das Aussehen einer kriminalen Untersuchung. Wirft man
die Frage auf, die Spitteler mit so nobler Energie verneint hat. ob es denkbar
wäre, daß Nietzsche einen Einfluß, den er erfahren, dem er vielleicht den ent¬
scheidenden Gedanken des Übermenschen zu verdanken hatte, absichtlich und
bewußt hätte verschweigen, die Spuren verwischen und verheimlichen können, so
ist man gezwungen, die Frage zu bejahen. Das ist denkbar. Nietzsche war
unzweifelhaft von einem Originalitätswahn befallen, wie ihn in dieser Reizbarkeit
vielleicht nur noch Winckelmann ausweist, zur lebhaften Aufnahme jeden Ein¬
druckes übrigens ebenso überbereit wie Nietzsche. Was den „Zarathustra" an¬
belangt, hat sich der Originalitätswahn noch ganz besonders gesteigert, wie aus
der Schilderung im „Lene Komo" ersichtlich: „Hat jemand Ende des neun¬
zehnten Jahrhunderts einen deutlichen Begriff davon, was Dichter starker Zeit¬
alter Inspiration nannten?" Hier wird der „Zarathustra" expre88l8 verbis
als göttliche Offenbarung bezeichnet. Nietzsche macht also, was dieses Werk
anbelangt, von vornherein den Anspruch auf größte Originalität. „Über die
Sparsamkeit, mit der Nietzsche tiefgehende Eindrücke seiner Lektüre unter Um¬
ständen auch den nächsten Freunden verbarg," machte bereits Overbeck seine
Beobachtungen*). Der Fall Stirner ist ein Analogon. Auch ihn hat Nietzsche
verschwiegen und Overbecks Aufzeichnungen haben uns erst auf diese Spur
geführt, wie auch der Hölderlinsche Einfluß entdeckt werden mußte und nirgends
eingestanden war. Schwerwiegend sind auch die in Frau Jda Overbecks
„Erinnerungen"**) angeführten Worte Nietzsches: „Nun habe ich es (Stirner)
Ihnen doch gesagt, und ich wollte nicht davon sprechen. Vergessen Sie es wieder.
Man wird von einem Plagiat reden, aber Sie werden das nicht tun, das weiß ich."
Wenn wir zum Originalitätswahn noch die Furcht vor Plagiats¬
beschuldigung hinzunehmen, so haben wir die Motive beisammen, aus denen
") Bernouilli, a, a. O. I, 383.
**) Bernouilli, ebenda. I, 233,
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