Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.Karl Salzer Mit raschen fröhlichen Schritten geht er nun auf das Grab des Vaters zu, Und jetzt steht er davor, sieht zuerst hinunter auf den Staub des Hügels Aber dann reckt er die geballten Fäuste zum Himmel auf, schüttelt sie "Ein Dunnerkeil vom Himmel soll den verschmeißen, der sich an dem Grab Das Echo hallt verworren tief drunten im Park, und gleich darauf von dem Der aber steht und starrt in tiefstem Schmerze wieder auf das Kreuz. Auf das war geschrieben gewesen: Hier ruht in Gott Und nun sind die Worte "in Gott" hinweggekratzt. Karl tritt ganz heran und betrachtet das Schild genau. Da sieht er, daß Doch auf einmal kommt ihm die Erleuchtung wie ein Blitz. Das "in Gott" Tante Seelchen hat ihm das so schön gesagt von der vollkommenen Reue, Karl Salzer Mit raschen fröhlichen Schritten geht er nun auf das Grab des Vaters zu, Und jetzt steht er davor, sieht zuerst hinunter auf den Staub des Hügels Aber dann reckt er die geballten Fäuste zum Himmel auf, schüttelt sie „Ein Dunnerkeil vom Himmel soll den verschmeißen, der sich an dem Grab Das Echo hallt verworren tief drunten im Park, und gleich darauf von dem Der aber steht und starrt in tiefstem Schmerze wieder auf das Kreuz. Auf das war geschrieben gewesen: Hier ruht in Gott Und nun sind die Worte „in Gott" hinweggekratzt. Karl tritt ganz heran und betrachtet das Schild genau. Da sieht er, daß Doch auf einmal kommt ihm die Erleuchtung wie ein Blitz. Das „in Gott" Tante Seelchen hat ihm das so schön gesagt von der vollkommenen Reue, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0277" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/322679"/> <fw type="header" place="top"> Karl Salzer</fw><lb/> <p xml:id="ID_1276"> Mit raschen fröhlichen Schritten geht er nun auf das Grab des Vaters zu,<lb/> das letzte in der Reihe. Wohl liegt es da ohne den Schmuck blühender Blumen,<lb/> aber Mutter Sonne streichelt es auch mit ihren goldenen Händen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1277"> Und jetzt steht er davor, sieht zuerst hinunter auf den Staub des Hügels<lb/> und dann auf zum Kreuze. Kaum hat er den Blick darauf geheftet, als er zu¬<lb/> sammenfährt, wie von einem heftigen Schrecken erfaßt. Dann nähert er sich dem<lb/> Kreuze aus halbe Grabeslänge, bleibt stehen, beugt sich vor und starrt aus das<lb/> Schildchen, das die Aufschrift trägt. 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Karl Salzer
Mit raschen fröhlichen Schritten geht er nun auf das Grab des Vaters zu,
das letzte in der Reihe. Wohl liegt es da ohne den Schmuck blühender Blumen,
aber Mutter Sonne streichelt es auch mit ihren goldenen Händen.
Und jetzt steht er davor, sieht zuerst hinunter auf den Staub des Hügels
und dann auf zum Kreuze. Kaum hat er den Blick darauf geheftet, als er zu¬
sammenfährt, wie von einem heftigen Schrecken erfaßt. Dann nähert er sich dem
Kreuze aus halbe Grabeslänge, bleibt stehen, beugt sich vor und starrt aus das
Schildchen, das die Aufschrift trägt. So steht er eine Weile ganz wortlos und
starrt und starrt.
Aber dann reckt er die geballten Fäuste zum Himmel auf, schüttelt sie
und schreit:
„Ein Dunnerkeil vom Himmel soll den verschmeißen, der sich an dem Grab
vergriffen halt"
Das Echo hallt verworren tief drunten im Park, und gleich darauf von dem
Wege her, der hinter dem Schloßgarten her nach Zockheim führt, ein wieherndes
Gelächter. Ein paar Bauernburschen stehen da und haben gesehen, was an dem
Grabe da oben vorgeht. Sie wissen auch den Grund zu Karls Fluch.
Der aber steht und starrt in tiefstem Schmerze wieder auf das Kreuz.
Auf das war geschrieben gewesen:
Hier ruht in Gott
Franz Salzer.
Und nun sind die Worte „in Gott" hinweggekratzt.
Karl tritt ganz heran und betrachtet das Schild genau. Da sieht er, daß
die Ölfarbbändelchen, die an der beschädigten Stelle herunterhängen, noch ganz
feucht sind. Er bückt sich, ob er auf dem Boden auch noch von dem Schabsel
fände, doch es ist nichts zu sehen. Der Wind scheint es verweht zu haben. Da
zupft er die Farbbändel von dem Kreuze ab, legt sie auf die flache linke Hand
und zerreibt sie mit dem Zeigefinger der rechten. Kein Zweifel! sie sind noch
feucht und färben die Haut. Karl kann sich das nicht erklären. Sonst ist das
Kreuz ganz trocken und färbt nicht mehr. Er schüttelt den Kopf.
Doch auf einmal kommt ihm die Erleuchtung wie ein Blitz. Das „in Gott"
war schon einmal abgeschabt gewesen und ist jedenfalls im Auftrag des Unkels
Hannes wieder erneuert worden. Und demnach ist es schon zum zweitenmal
ausgekratzt. Da wacht das Weh, von dem seine Sinne durch die Aufmerksamkeit
der Untersuchung etwas abgelenkt war, mit doppelter Schärfe aus. Er hängt die
Arme über das Querholz des Kreuzes und sinkt schlaff zusammen. Das Kreuz
ächzt und neigt sich zur Seite.
Tante Seelchen hat ihm das so schön gesagt von der vollkommenen Reue,
die nach seinem katholischen Glauben der Mensch erwecken muß, um aus tiefster
Sünde heraus wieder ein Sohn Gottes zu werden. Und an der Hoffnung, daß
sein Vater sie erweckt und dadurch seine Seele vor der ewigen Qual gerettet
haben könnte, hat er sich aus seinem Leid aufgerichtet, und sie allein hat ihn das
ertragen lassen, daß man seinem Vater alle Ehren des Grabes verweigerte, die
man sonst jedem gibt, wenn er auch nur aus äußerer Gewohnheit seine religiösen
Pflichten erfüllt hatte. Und nun waren die Bauern so boshaft, ihrer Meinung,
daß der Selbstmörder in tiefster Hölle brenne, in so roher und die Hinterbliebenen
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