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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Aoloniale Fortschritte

weise die Missionare aus? Doch wohl die Deutschen und Engländer! Sinken
wir herunter auf den Standpunkt der Portugiesen oder gewisser südamerika¬
nischer "Völker", so ist es vorbei mit der christlichen Mission.

Wie gründlich der Staatssekretär zunächst in seinem früheren Wirkungs¬
kreise, Samoa, im Sinne der Erhaltung der Rasse und des Deutschtums auf¬
räumt, beweist auch der jüngste Erlaß des neuen Gouverneurs Dr. Schultz,
wonach nur deutschsprechende Personen Mitglieder des Gouvernementsrats werden
können. Mancher wird erstaunt fragen, ob das denn nicht selbstverständlich sei.
Eigentlich sollte man dies meinen, aber auf Samoa lagen zu Anfang der
deutschen Herrschaft die Verhältnisse so eigenartig, daß man die zahlreich
ansässigen Engländer und Amerikaner nicht gut übergehen konnte. Und später,
als es möglich war, dem Deutschtum alleinige Geltung zu verschaffen, glaubte
anscheinend Dernburg, der zuweilen diplomatische Ambitionen hatte, zarte Rück¬
sichten auf die lieben Nachbarn in Australien nehmen zu müssen. Nun ist auch
dieses Ärgernis aus der Welt geschafft.

Nachdem nun durch Dr. Solfs Eingreifen die Rassenreinheit der deutschen
Bevölkerung in den Kolonien und ihrer Nachkommen sichergestellt ist, läßt sich
auch mit mehr Ruhe über Besiedlung und alle damit in Zusammenhang stehenden
Erscheinungen des öffentlichen und wirtschaftlichen Lebens in den Kolonien reden.

Gerade an der Besiedlung der Kolonien hat sich zu deren Schaden der
Hang des Deutschen zum Theoretisieren und Moralisieren reichlich gütlich getan.
Der Deutsche überlegt nach subtilen wissenschaftlichen Versuchen und Anfragen
lange hin und her, ob das Klima in der oder jener Kolonie so sei, daß der
Vater Staat die Verantwortung für das Wohlergehen eventueller Nachkommen¬
schaft eventueller Ansiedler übernehmen könne. Derweile kolonisieren fremde
Völker mit unseren Auswanderern ihr Neuland oder gebrauchen sie als Kultur¬
dünger. So war es früher und so ist es noch heute. Daß Südwestafrika
Siedlungskolonie ist, hat man ja nachgerade begriffen, aber über Ostafrika sind
sich die Theoretiker noch nicht einig. Wohl aber Praktiker, wie die zahlreichen
Ansiedler, die sich im Norden der Kolonie Wohlbefinden. Herr Dernburg ließ
sich von diesen Tatsachen nicht überzeugen. Er äußerte sich vor wenigen Wochen
erst in der oben erwähnten Zuschrift an Kolonie und Heimat:

"Es ist ein großer Unterschied zwischen dem, was man aus nationalen
Gründen wünscht, und was sich aus ethnographischen (wohl anthropologischen?)
und klimatischen Rücksichten erreichen läßt. Ich halte es heute noch für ein
Verdienst, hierüber meinen Landsleuten Karen Wein eingeschenkt und dadurch
manche kleinbürgerliche Existenz vor dem Untergang bewahrt zu haben. Diese
Politik ist jedenfalls ehrlicher als die mancher meiner Gegner, die die Leute als
.Kulturdünger' unter allen Umständen in die Kolonien verpflanzen wollen. Ein
Staatsmann in verantwortlicher Stellung wird im zwanzigsten Jahrhundert
derartige Experimente abzulehnen haben. Sie sind auch nach meinem Abgang
nicht versucht worden."


Aoloniale Fortschritte

weise die Missionare aus? Doch wohl die Deutschen und Engländer! Sinken
wir herunter auf den Standpunkt der Portugiesen oder gewisser südamerika¬
nischer „Völker", so ist es vorbei mit der christlichen Mission.

Wie gründlich der Staatssekretär zunächst in seinem früheren Wirkungs¬
kreise, Samoa, im Sinne der Erhaltung der Rasse und des Deutschtums auf¬
räumt, beweist auch der jüngste Erlaß des neuen Gouverneurs Dr. Schultz,
wonach nur deutschsprechende Personen Mitglieder des Gouvernementsrats werden
können. Mancher wird erstaunt fragen, ob das denn nicht selbstverständlich sei.
Eigentlich sollte man dies meinen, aber auf Samoa lagen zu Anfang der
deutschen Herrschaft die Verhältnisse so eigenartig, daß man die zahlreich
ansässigen Engländer und Amerikaner nicht gut übergehen konnte. Und später,
als es möglich war, dem Deutschtum alleinige Geltung zu verschaffen, glaubte
anscheinend Dernburg, der zuweilen diplomatische Ambitionen hatte, zarte Rück¬
sichten auf die lieben Nachbarn in Australien nehmen zu müssen. Nun ist auch
dieses Ärgernis aus der Welt geschafft.

Nachdem nun durch Dr. Solfs Eingreifen die Rassenreinheit der deutschen
Bevölkerung in den Kolonien und ihrer Nachkommen sichergestellt ist, läßt sich
auch mit mehr Ruhe über Besiedlung und alle damit in Zusammenhang stehenden
Erscheinungen des öffentlichen und wirtschaftlichen Lebens in den Kolonien reden.

Gerade an der Besiedlung der Kolonien hat sich zu deren Schaden der
Hang des Deutschen zum Theoretisieren und Moralisieren reichlich gütlich getan.
Der Deutsche überlegt nach subtilen wissenschaftlichen Versuchen und Anfragen
lange hin und her, ob das Klima in der oder jener Kolonie so sei, daß der
Vater Staat die Verantwortung für das Wohlergehen eventueller Nachkommen¬
schaft eventueller Ansiedler übernehmen könne. Derweile kolonisieren fremde
Völker mit unseren Auswanderern ihr Neuland oder gebrauchen sie als Kultur¬
dünger. So war es früher und so ist es noch heute. Daß Südwestafrika
Siedlungskolonie ist, hat man ja nachgerade begriffen, aber über Ostafrika sind
sich die Theoretiker noch nicht einig. Wohl aber Praktiker, wie die zahlreichen
Ansiedler, die sich im Norden der Kolonie Wohlbefinden. Herr Dernburg ließ
sich von diesen Tatsachen nicht überzeugen. Er äußerte sich vor wenigen Wochen
erst in der oben erwähnten Zuschrift an Kolonie und Heimat:

„Es ist ein großer Unterschied zwischen dem, was man aus nationalen
Gründen wünscht, und was sich aus ethnographischen (wohl anthropologischen?)
und klimatischen Rücksichten erreichen läßt. Ich halte es heute noch für ein
Verdienst, hierüber meinen Landsleuten Karen Wein eingeschenkt und dadurch
manche kleinbürgerliche Existenz vor dem Untergang bewahrt zu haben. Diese
Politik ist jedenfalls ehrlicher als die mancher meiner Gegner, die die Leute als
.Kulturdünger' unter allen Umständen in die Kolonien verpflanzen wollen. Ein
Staatsmann in verantwortlicher Stellung wird im zwanzigsten Jahrhundert
derartige Experimente abzulehnen haben. Sie sind auch nach meinem Abgang
nicht versucht worden."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/258>, abgerufen am 15.01.2025.