Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Katholizismus und Aultur

In der grundsätzlichen Auffassung des Verhältnisses der katholischen Kirche
zu Kultur und Wirtschaftsleben stimme ich vielfach, wenn auch bei weitem nicht
vollständig, mit Rost überein, will aber, ihn nur gelegentlich erwähnend, meine
Ansicht selbständig entwickeln, so weit das im Umfange dieses Aufsatzes möglich
ist. Einfach erscheint die Sache nur den Radikalen zur Rechten und zur Linken.
Der asketische Heilige sieht in der christlichen Religion lediglich das Mittel zu
seiner persönlichen Erlösung, Heiligung und Beseligung und fragt nicht nach
Kultur; der moderne Freidenker sieht in der christlichen Religion und besonders
in der katholischen Kirche die Haupthindernisse des Kulturfortschritts, mit deren
letzten Resten so rasch wie möglich aufgeräumt werden müsse. Für die mit
Wirklichkeitsinn Begabten hingegen bilden diese beiden großen Wirklichkeiten ein
verwickeltes Problem.

Klar ist zunächst, daß wir im Christentum eines der drei Grund¬
elemente unserer heutigen Kultur haben; die anderen beiden sind das
Hellenentum und die Rasseneigenschaften der Germanen und der Romanen.
Das Christentum sorgt für die Volksgesundheit, indem es alle das Leibesleben
schädigenden Genüsse als Sünden und Laster verpönt. Die Hierarchie hat als
berufene Vertreterin der christlichen Ethik gegen Ende des Mittelalters versagt,
aber diese hat sich neue Organe geschaffen und von diesen aus dann auch die
alte Kirche reformiert. Und so oft auch noch weiterhin die Kirche ihr Amt
als Pflegerin reiner Sittlichkeit schlecht verwalten mag, es ist nicht gleichgültig,
ob die Religion das Gewissen im Volke lebendig erhält, oder ob der Naturalismus,
der sich im Altertum mythologisch verkleidete, heute in biologischer oder philo¬
sophischer Maske allgemeine Geltung erlangt. Durch ihren Monotheismus sodann
ermöglicht die christliche Religion echte Wissenschaft. Solche konnte im klassischen
Altertum u. a. darum nicht aufkommen, weil die vereinzelten Denker in dem
polytheistischen Volke keine Resonanz fanden; der Gedanke der Gesetzlichkeit des
Naturgeschehens kann nur dort allgemein herrschend und dadurch Grundlage
des wissenschaftlichen Denkens und Forschens werden, wo ein einziger ver¬
nünftiger Wille als Wurzel alles Daseins anerkannt ist. Darum gibt es
außerhalb der christlichen Welt keine Wissenschaft, die diesen Namen verdiente.
Die Einsetzung des siebenten Tages als Ruhetag ferner sichert den körperlich
arbeitenden Armen die Teilnahme an den geistigen Gütern der Menschheit,
bewahrt sie vor Bestialisierung und ermöglicht den Begabteren unter ihnen den
Aufstieg. Arbeit ist allen ohne Ausnahme zur Pflicht gemacht; zuerst in der
Form einer Bestrafung, dann durch das Sabbathgebot, das mit den Worten
eingeleitet wird: "sechs Tage sollst du arbeiten", dann durch Ephesier 4, 28 und
2. Thessalonicher 3,10. Die ungeheure Tragweite der Worte, die dem ersten
Menschenpaare und damit dem ganzen Menschengeschlecht seine irdische Aufgabe
enthüllen: "erfüllet die Erde und machet sie euch Untertan", ist erst in unserer
Zeit erstaunlicher Volksvermehrung und Naturbeherrschung offenbar geworden.
Im Reiche Gottes, einem Reiche der Liebe, Gerechtigkeit und Vernunft, stellt


Katholizismus und Aultur

In der grundsätzlichen Auffassung des Verhältnisses der katholischen Kirche
zu Kultur und Wirtschaftsleben stimme ich vielfach, wenn auch bei weitem nicht
vollständig, mit Rost überein, will aber, ihn nur gelegentlich erwähnend, meine
Ansicht selbständig entwickeln, so weit das im Umfange dieses Aufsatzes möglich
ist. Einfach erscheint die Sache nur den Radikalen zur Rechten und zur Linken.
Der asketische Heilige sieht in der christlichen Religion lediglich das Mittel zu
seiner persönlichen Erlösung, Heiligung und Beseligung und fragt nicht nach
Kultur; der moderne Freidenker sieht in der christlichen Religion und besonders
in der katholischen Kirche die Haupthindernisse des Kulturfortschritts, mit deren
letzten Resten so rasch wie möglich aufgeräumt werden müsse. Für die mit
Wirklichkeitsinn Begabten hingegen bilden diese beiden großen Wirklichkeiten ein
verwickeltes Problem.

Klar ist zunächst, daß wir im Christentum eines der drei Grund¬
elemente unserer heutigen Kultur haben; die anderen beiden sind das
Hellenentum und die Rasseneigenschaften der Germanen und der Romanen.
Das Christentum sorgt für die Volksgesundheit, indem es alle das Leibesleben
schädigenden Genüsse als Sünden und Laster verpönt. Die Hierarchie hat als
berufene Vertreterin der christlichen Ethik gegen Ende des Mittelalters versagt,
aber diese hat sich neue Organe geschaffen und von diesen aus dann auch die
alte Kirche reformiert. Und so oft auch noch weiterhin die Kirche ihr Amt
als Pflegerin reiner Sittlichkeit schlecht verwalten mag, es ist nicht gleichgültig,
ob die Religion das Gewissen im Volke lebendig erhält, oder ob der Naturalismus,
der sich im Altertum mythologisch verkleidete, heute in biologischer oder philo¬
sophischer Maske allgemeine Geltung erlangt. Durch ihren Monotheismus sodann
ermöglicht die christliche Religion echte Wissenschaft. Solche konnte im klassischen
Altertum u. a. darum nicht aufkommen, weil die vereinzelten Denker in dem
polytheistischen Volke keine Resonanz fanden; der Gedanke der Gesetzlichkeit des
Naturgeschehens kann nur dort allgemein herrschend und dadurch Grundlage
des wissenschaftlichen Denkens und Forschens werden, wo ein einziger ver¬
nünftiger Wille als Wurzel alles Daseins anerkannt ist. Darum gibt es
außerhalb der christlichen Welt keine Wissenschaft, die diesen Namen verdiente.
Die Einsetzung des siebenten Tages als Ruhetag ferner sichert den körperlich
arbeitenden Armen die Teilnahme an den geistigen Gütern der Menschheit,
bewahrt sie vor Bestialisierung und ermöglicht den Begabteren unter ihnen den
Aufstieg. Arbeit ist allen ohne Ausnahme zur Pflicht gemacht; zuerst in der
Form einer Bestrafung, dann durch das Sabbathgebot, das mit den Worten
eingeleitet wird: „sechs Tage sollst du arbeiten", dann durch Ephesier 4, 28 und
2. Thessalonicher 3,10. Die ungeheure Tragweite der Worte, die dem ersten
Menschenpaare und damit dem ganzen Menschengeschlecht seine irdische Aufgabe
enthüllen: „erfüllet die Erde und machet sie euch Untertan", ist erst in unserer
Zeit erstaunlicher Volksvermehrung und Naturbeherrschung offenbar geworden.
Im Reiche Gottes, einem Reiche der Liebe, Gerechtigkeit und Vernunft, stellt


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0222" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/322624"/>
          <fw type="header" place="top"> Katholizismus und Aultur</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1012"> In der grundsätzlichen Auffassung des Verhältnisses der katholischen Kirche<lb/>
zu Kultur und Wirtschaftsleben stimme ich vielfach, wenn auch bei weitem nicht<lb/>
vollständig, mit Rost überein, will aber, ihn nur gelegentlich erwähnend, meine<lb/>
Ansicht selbständig entwickeln, so weit das im Umfange dieses Aufsatzes möglich<lb/>
ist. Einfach erscheint die Sache nur den Radikalen zur Rechten und zur Linken.<lb/>
Der asketische Heilige sieht in der christlichen Religion lediglich das Mittel zu<lb/>
seiner persönlichen Erlösung, Heiligung und Beseligung und fragt nicht nach<lb/>
Kultur; der moderne Freidenker sieht in der christlichen Religion und besonders<lb/>
in der katholischen Kirche die Haupthindernisse des Kulturfortschritts, mit deren<lb/>
letzten Resten so rasch wie möglich aufgeräumt werden müsse. Für die mit<lb/>
Wirklichkeitsinn Begabten hingegen bilden diese beiden großen Wirklichkeiten ein<lb/>
verwickeltes Problem.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1013" next="#ID_1014"> Klar ist zunächst, daß wir im Christentum eines der drei Grund¬<lb/>
elemente unserer heutigen Kultur haben; die anderen beiden sind das<lb/>
Hellenentum und die Rasseneigenschaften der Germanen und der Romanen.<lb/>
Das Christentum sorgt für die Volksgesundheit, indem es alle das Leibesleben<lb/>
schädigenden Genüsse als Sünden und Laster verpönt. Die Hierarchie hat als<lb/>
berufene Vertreterin der christlichen Ethik gegen Ende des Mittelalters versagt,<lb/>
aber diese hat sich neue Organe geschaffen und von diesen aus dann auch die<lb/>
alte Kirche reformiert. Und so oft auch noch weiterhin die Kirche ihr Amt<lb/>
als Pflegerin reiner Sittlichkeit schlecht verwalten mag, es ist nicht gleichgültig,<lb/>
ob die Religion das Gewissen im Volke lebendig erhält, oder ob der Naturalismus,<lb/>
der sich im Altertum mythologisch verkleidete, heute in biologischer oder philo¬<lb/>
sophischer Maske allgemeine Geltung erlangt. Durch ihren Monotheismus sodann<lb/>
ermöglicht die christliche Religion echte Wissenschaft. Solche konnte im klassischen<lb/>
Altertum u. a. darum nicht aufkommen, weil die vereinzelten Denker in dem<lb/>
polytheistischen Volke keine Resonanz fanden; der Gedanke der Gesetzlichkeit des<lb/>
Naturgeschehens kann nur dort allgemein herrschend und dadurch Grundlage<lb/>
des wissenschaftlichen Denkens und Forschens werden, wo ein einziger ver¬<lb/>
nünftiger Wille als Wurzel alles Daseins anerkannt ist. Darum gibt es<lb/>
außerhalb der christlichen Welt keine Wissenschaft, die diesen Namen verdiente.<lb/>
Die Einsetzung des siebenten Tages als Ruhetag ferner sichert den körperlich<lb/>
arbeitenden Armen die Teilnahme an den geistigen Gütern der Menschheit,<lb/>
bewahrt sie vor Bestialisierung und ermöglicht den Begabteren unter ihnen den<lb/>
Aufstieg. Arbeit ist allen ohne Ausnahme zur Pflicht gemacht; zuerst in der<lb/>
Form einer Bestrafung, dann durch das Sabbathgebot, das mit den Worten<lb/>
eingeleitet wird: &#x201E;sechs Tage sollst du arbeiten", dann durch Ephesier 4, 28 und<lb/>
2. Thessalonicher 3,10. Die ungeheure Tragweite der Worte, die dem ersten<lb/>
Menschenpaare und damit dem ganzen Menschengeschlecht seine irdische Aufgabe<lb/>
enthüllen: &#x201E;erfüllet die Erde und machet sie euch Untertan", ist erst in unserer<lb/>
Zeit erstaunlicher Volksvermehrung und Naturbeherrschung offenbar geworden.<lb/>
Im Reiche Gottes, einem Reiche der Liebe, Gerechtigkeit und Vernunft, stellt</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0222] Katholizismus und Aultur In der grundsätzlichen Auffassung des Verhältnisses der katholischen Kirche zu Kultur und Wirtschaftsleben stimme ich vielfach, wenn auch bei weitem nicht vollständig, mit Rost überein, will aber, ihn nur gelegentlich erwähnend, meine Ansicht selbständig entwickeln, so weit das im Umfange dieses Aufsatzes möglich ist. Einfach erscheint die Sache nur den Radikalen zur Rechten und zur Linken. Der asketische Heilige sieht in der christlichen Religion lediglich das Mittel zu seiner persönlichen Erlösung, Heiligung und Beseligung und fragt nicht nach Kultur; der moderne Freidenker sieht in der christlichen Religion und besonders in der katholischen Kirche die Haupthindernisse des Kulturfortschritts, mit deren letzten Resten so rasch wie möglich aufgeräumt werden müsse. Für die mit Wirklichkeitsinn Begabten hingegen bilden diese beiden großen Wirklichkeiten ein verwickeltes Problem. Klar ist zunächst, daß wir im Christentum eines der drei Grund¬ elemente unserer heutigen Kultur haben; die anderen beiden sind das Hellenentum und die Rasseneigenschaften der Germanen und der Romanen. Das Christentum sorgt für die Volksgesundheit, indem es alle das Leibesleben schädigenden Genüsse als Sünden und Laster verpönt. Die Hierarchie hat als berufene Vertreterin der christlichen Ethik gegen Ende des Mittelalters versagt, aber diese hat sich neue Organe geschaffen und von diesen aus dann auch die alte Kirche reformiert. Und so oft auch noch weiterhin die Kirche ihr Amt als Pflegerin reiner Sittlichkeit schlecht verwalten mag, es ist nicht gleichgültig, ob die Religion das Gewissen im Volke lebendig erhält, oder ob der Naturalismus, der sich im Altertum mythologisch verkleidete, heute in biologischer oder philo¬ sophischer Maske allgemeine Geltung erlangt. Durch ihren Monotheismus sodann ermöglicht die christliche Religion echte Wissenschaft. Solche konnte im klassischen Altertum u. a. darum nicht aufkommen, weil die vereinzelten Denker in dem polytheistischen Volke keine Resonanz fanden; der Gedanke der Gesetzlichkeit des Naturgeschehens kann nur dort allgemein herrschend und dadurch Grundlage des wissenschaftlichen Denkens und Forschens werden, wo ein einziger ver¬ nünftiger Wille als Wurzel alles Daseins anerkannt ist. Darum gibt es außerhalb der christlichen Welt keine Wissenschaft, die diesen Namen verdiente. Die Einsetzung des siebenten Tages als Ruhetag ferner sichert den körperlich arbeitenden Armen die Teilnahme an den geistigen Gütern der Menschheit, bewahrt sie vor Bestialisierung und ermöglicht den Begabteren unter ihnen den Aufstieg. Arbeit ist allen ohne Ausnahme zur Pflicht gemacht; zuerst in der Form einer Bestrafung, dann durch das Sabbathgebot, das mit den Worten eingeleitet wird: „sechs Tage sollst du arbeiten", dann durch Ephesier 4, 28 und 2. Thessalonicher 3,10. Die ungeheure Tragweite der Worte, die dem ersten Menschenpaare und damit dem ganzen Menschengeschlecht seine irdische Aufgabe enthüllen: „erfüllet die Erde und machet sie euch Untertan", ist erst in unserer Zeit erstaunlicher Volksvermehrung und Naturbeherrschung offenbar geworden. Im Reiche Gottes, einem Reiche der Liebe, Gerechtigkeit und Vernunft, stellt

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/222
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/222>, abgerufen am 15.01.2025.