Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
vom Disziplinarverfahren

anderen über verwickelte, vielleicht weit zurückliegende Dinge sich zu äußern.
Es wäre wunderbar, wenn bei einem solchen Verfahren nicht recht häufig Fehlgriffe
vorkämen, denn die Verteidigung kann von dem gar nicht richtig geführt
werden, der die Anklage nicht kennt.

Es ist darum zu verlangen, daß, wo nicht die Gefahr der Verdunklung
des Tatbestandes vorliegt, gleich bei Eröffnung der Vernehmungen dem Be¬
schuldigten genau angegeben wird, was man ihm vorwirft, und daß ihm eine
angemessene Frist zur Vorbereitung seiner Rechtfertigung und die Möglichkeit
gewährt wird, sich vorher mit anderen zu beraten.

Wenn die hier geforderten Bestimmungen eingeführt werden, so kann das
Recht des Beamten für die weitaus meisten Fälle als genügend gesichert gelten.
Dennoch aber können Fälle vorkommen, wo der Bestrafte es seiner persönlichen
oder seiner Beamtenehre schuldig ist, durch jedes Mittel den gegen ihn sprechenden
Schein zu widerlegen oder -- auch solche Fälle können doch nicht als aus¬
geschlossen gelten -- Schikanen von irgendeiner Seite bloßzulegen. Dazu aber
kann in schwierigeren Fällen nur ein gerichtliches Verfahren mit dem Recht der
Zeugenvernehmung verhelfen. So muß dem Beamten auch das Recht zu¬
gebilligt werden, gegen die Strafverfügungen der Vorgesetzten und vorgesetzten
Behörden sich an Disziplinargerichte zu wenden. Für die Gemeindebeamten
ist durch das Zuständigkeitsgesetz von 1883 dieses Recht bereits eingeführt, und
was für sie recht ist, muß auch für die Staatsbeamten billig sein.

Dafür spricht auch eine andere Erwägung. Es dürften die Ansichten über
die Beamtendisziplin in manchen Punkten auseinandergehen, z. B. darüber,
wie weit ein Vorgesetzter auch in außeramtlichen Dingen Vorgesetzter bleibt,
wie weit er innerhalb der Vereine als Vorgesetzter zu achten ist, wie weit die
Pflicht der Rücksicht auf höher stehende Beamte, die nicht eigene Vorgesetzte
sind, geht usw. Ebenso werden die Meinungen verschieden darüber sein, was
in den politischen Kämpfen, z. B. mit den Polen und der Sozialdemokratie,
einem Beamten gestattet ist, und was nicht. Man ist im übrigen Staatsleben
immer mehr dazu übergegangen, die Entscheidung rechtlicher Streitfragen den
Verwaltungsbehörden abzunehmen und Gerichtshöfen zu übertragen. Augen¬
scheinlich fühlen sich alle Beteiligten, die Rechtsuchenden wie auch die Ver¬
waltungsbehörden und die Minister selbst wohl dabei. Es wird ein fester
Rechtsboden gewonnen, und auch der Verdacht der Willkür ist ausgeschlossen.
So kann es auch in zweifelhaften Disziplinarfragen dem Minister nur angenehm
sein, wenn die Entscheidung ihm abgenommen und auf Disziplinargerichte über¬
tragen wird. Sollten diese einmal in wichtigen Fragen versagen, so kann ja
durch die Gesetzgebung eingegriffen werden.

Damit kommen wir auf die Zusammensetzung der Disziplinargerichte.

Denn wenn es sich um die schwereren Disziplinarstrafen handelt, die tief
in das Leben des Beamten eingreifen, um Strafversetzung, vielleicht noch ver¬
schärft durch Verkürzung des Gehaltes, oder gar um Dienstentlassung, schreibt


vom Disziplinarverfahren

anderen über verwickelte, vielleicht weit zurückliegende Dinge sich zu äußern.
Es wäre wunderbar, wenn bei einem solchen Verfahren nicht recht häufig Fehlgriffe
vorkämen, denn die Verteidigung kann von dem gar nicht richtig geführt
werden, der die Anklage nicht kennt.

Es ist darum zu verlangen, daß, wo nicht die Gefahr der Verdunklung
des Tatbestandes vorliegt, gleich bei Eröffnung der Vernehmungen dem Be¬
schuldigten genau angegeben wird, was man ihm vorwirft, und daß ihm eine
angemessene Frist zur Vorbereitung seiner Rechtfertigung und die Möglichkeit
gewährt wird, sich vorher mit anderen zu beraten.

Wenn die hier geforderten Bestimmungen eingeführt werden, so kann das
Recht des Beamten für die weitaus meisten Fälle als genügend gesichert gelten.
Dennoch aber können Fälle vorkommen, wo der Bestrafte es seiner persönlichen
oder seiner Beamtenehre schuldig ist, durch jedes Mittel den gegen ihn sprechenden
Schein zu widerlegen oder — auch solche Fälle können doch nicht als aus¬
geschlossen gelten — Schikanen von irgendeiner Seite bloßzulegen. Dazu aber
kann in schwierigeren Fällen nur ein gerichtliches Verfahren mit dem Recht der
Zeugenvernehmung verhelfen. So muß dem Beamten auch das Recht zu¬
gebilligt werden, gegen die Strafverfügungen der Vorgesetzten und vorgesetzten
Behörden sich an Disziplinargerichte zu wenden. Für die Gemeindebeamten
ist durch das Zuständigkeitsgesetz von 1883 dieses Recht bereits eingeführt, und
was für sie recht ist, muß auch für die Staatsbeamten billig sein.

Dafür spricht auch eine andere Erwägung. Es dürften die Ansichten über
die Beamtendisziplin in manchen Punkten auseinandergehen, z. B. darüber,
wie weit ein Vorgesetzter auch in außeramtlichen Dingen Vorgesetzter bleibt,
wie weit er innerhalb der Vereine als Vorgesetzter zu achten ist, wie weit die
Pflicht der Rücksicht auf höher stehende Beamte, die nicht eigene Vorgesetzte
sind, geht usw. Ebenso werden die Meinungen verschieden darüber sein, was
in den politischen Kämpfen, z. B. mit den Polen und der Sozialdemokratie,
einem Beamten gestattet ist, und was nicht. Man ist im übrigen Staatsleben
immer mehr dazu übergegangen, die Entscheidung rechtlicher Streitfragen den
Verwaltungsbehörden abzunehmen und Gerichtshöfen zu übertragen. Augen¬
scheinlich fühlen sich alle Beteiligten, die Rechtsuchenden wie auch die Ver¬
waltungsbehörden und die Minister selbst wohl dabei. Es wird ein fester
Rechtsboden gewonnen, und auch der Verdacht der Willkür ist ausgeschlossen.
So kann es auch in zweifelhaften Disziplinarfragen dem Minister nur angenehm
sein, wenn die Entscheidung ihm abgenommen und auf Disziplinargerichte über¬
tragen wird. Sollten diese einmal in wichtigen Fragen versagen, so kann ja
durch die Gesetzgebung eingegriffen werden.

Damit kommen wir auf die Zusammensetzung der Disziplinargerichte.

Denn wenn es sich um die schwereren Disziplinarstrafen handelt, die tief
in das Leben des Beamten eingreifen, um Strafversetzung, vielleicht noch ver¬
schärft durch Verkürzung des Gehaltes, oder gar um Dienstentlassung, schreibt


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0213" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/322615"/>
          <fw type="header" place="top"> vom Disziplinarverfahren</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_976" prev="#ID_975"> anderen über verwickelte, vielleicht weit zurückliegende Dinge sich zu äußern.<lb/>
Es wäre wunderbar, wenn bei einem solchen Verfahren nicht recht häufig Fehlgriffe<lb/>
vorkämen, denn die Verteidigung kann von dem gar nicht richtig geführt<lb/>
werden, der die Anklage nicht kennt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_977"> Es ist darum zu verlangen, daß, wo nicht die Gefahr der Verdunklung<lb/>
des Tatbestandes vorliegt, gleich bei Eröffnung der Vernehmungen dem Be¬<lb/>
schuldigten genau angegeben wird, was man ihm vorwirft, und daß ihm eine<lb/>
angemessene Frist zur Vorbereitung seiner Rechtfertigung und die Möglichkeit<lb/>
gewährt wird, sich vorher mit anderen zu beraten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_978"> Wenn die hier geforderten Bestimmungen eingeführt werden, so kann das<lb/>
Recht des Beamten für die weitaus meisten Fälle als genügend gesichert gelten.<lb/>
Dennoch aber können Fälle vorkommen, wo der Bestrafte es seiner persönlichen<lb/>
oder seiner Beamtenehre schuldig ist, durch jedes Mittel den gegen ihn sprechenden<lb/>
Schein zu widerlegen oder &#x2014; auch solche Fälle können doch nicht als aus¬<lb/>
geschlossen gelten &#x2014; Schikanen von irgendeiner Seite bloßzulegen. Dazu aber<lb/>
kann in schwierigeren Fällen nur ein gerichtliches Verfahren mit dem Recht der<lb/>
Zeugenvernehmung verhelfen. So muß dem Beamten auch das Recht zu¬<lb/>
gebilligt werden, gegen die Strafverfügungen der Vorgesetzten und vorgesetzten<lb/>
Behörden sich an Disziplinargerichte zu wenden. Für die Gemeindebeamten<lb/>
ist durch das Zuständigkeitsgesetz von 1883 dieses Recht bereits eingeführt, und<lb/>
was für sie recht ist, muß auch für die Staatsbeamten billig sein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_979"> Dafür spricht auch eine andere Erwägung. Es dürften die Ansichten über<lb/>
die Beamtendisziplin in manchen Punkten auseinandergehen, z. B. darüber,<lb/>
wie weit ein Vorgesetzter auch in außeramtlichen Dingen Vorgesetzter bleibt,<lb/>
wie weit er innerhalb der Vereine als Vorgesetzter zu achten ist, wie weit die<lb/>
Pflicht der Rücksicht auf höher stehende Beamte, die nicht eigene Vorgesetzte<lb/>
sind, geht usw. Ebenso werden die Meinungen verschieden darüber sein, was<lb/>
in den politischen Kämpfen, z. B. mit den Polen und der Sozialdemokratie,<lb/>
einem Beamten gestattet ist, und was nicht. Man ist im übrigen Staatsleben<lb/>
immer mehr dazu übergegangen, die Entscheidung rechtlicher Streitfragen den<lb/>
Verwaltungsbehörden abzunehmen und Gerichtshöfen zu übertragen. Augen¬<lb/>
scheinlich fühlen sich alle Beteiligten, die Rechtsuchenden wie auch die Ver¬<lb/>
waltungsbehörden und die Minister selbst wohl dabei. Es wird ein fester<lb/>
Rechtsboden gewonnen, und auch der Verdacht der Willkür ist ausgeschlossen.<lb/>
So kann es auch in zweifelhaften Disziplinarfragen dem Minister nur angenehm<lb/>
sein, wenn die Entscheidung ihm abgenommen und auf Disziplinargerichte über¬<lb/>
tragen wird. Sollten diese einmal in wichtigen Fragen versagen, so kann ja<lb/>
durch die Gesetzgebung eingegriffen werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_980"> Damit kommen wir auf die Zusammensetzung der Disziplinargerichte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_981" next="#ID_982"> Denn wenn es sich um die schwereren Disziplinarstrafen handelt, die tief<lb/>
in das Leben des Beamten eingreifen, um Strafversetzung, vielleicht noch ver¬<lb/>
schärft durch Verkürzung des Gehaltes, oder gar um Dienstentlassung, schreibt</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0213] vom Disziplinarverfahren anderen über verwickelte, vielleicht weit zurückliegende Dinge sich zu äußern. Es wäre wunderbar, wenn bei einem solchen Verfahren nicht recht häufig Fehlgriffe vorkämen, denn die Verteidigung kann von dem gar nicht richtig geführt werden, der die Anklage nicht kennt. Es ist darum zu verlangen, daß, wo nicht die Gefahr der Verdunklung des Tatbestandes vorliegt, gleich bei Eröffnung der Vernehmungen dem Be¬ schuldigten genau angegeben wird, was man ihm vorwirft, und daß ihm eine angemessene Frist zur Vorbereitung seiner Rechtfertigung und die Möglichkeit gewährt wird, sich vorher mit anderen zu beraten. Wenn die hier geforderten Bestimmungen eingeführt werden, so kann das Recht des Beamten für die weitaus meisten Fälle als genügend gesichert gelten. Dennoch aber können Fälle vorkommen, wo der Bestrafte es seiner persönlichen oder seiner Beamtenehre schuldig ist, durch jedes Mittel den gegen ihn sprechenden Schein zu widerlegen oder — auch solche Fälle können doch nicht als aus¬ geschlossen gelten — Schikanen von irgendeiner Seite bloßzulegen. Dazu aber kann in schwierigeren Fällen nur ein gerichtliches Verfahren mit dem Recht der Zeugenvernehmung verhelfen. So muß dem Beamten auch das Recht zu¬ gebilligt werden, gegen die Strafverfügungen der Vorgesetzten und vorgesetzten Behörden sich an Disziplinargerichte zu wenden. Für die Gemeindebeamten ist durch das Zuständigkeitsgesetz von 1883 dieses Recht bereits eingeführt, und was für sie recht ist, muß auch für die Staatsbeamten billig sein. Dafür spricht auch eine andere Erwägung. Es dürften die Ansichten über die Beamtendisziplin in manchen Punkten auseinandergehen, z. B. darüber, wie weit ein Vorgesetzter auch in außeramtlichen Dingen Vorgesetzter bleibt, wie weit er innerhalb der Vereine als Vorgesetzter zu achten ist, wie weit die Pflicht der Rücksicht auf höher stehende Beamte, die nicht eigene Vorgesetzte sind, geht usw. Ebenso werden die Meinungen verschieden darüber sein, was in den politischen Kämpfen, z. B. mit den Polen und der Sozialdemokratie, einem Beamten gestattet ist, und was nicht. Man ist im übrigen Staatsleben immer mehr dazu übergegangen, die Entscheidung rechtlicher Streitfragen den Verwaltungsbehörden abzunehmen und Gerichtshöfen zu übertragen. Augen¬ scheinlich fühlen sich alle Beteiligten, die Rechtsuchenden wie auch die Ver¬ waltungsbehörden und die Minister selbst wohl dabei. Es wird ein fester Rechtsboden gewonnen, und auch der Verdacht der Willkür ist ausgeschlossen. So kann es auch in zweifelhaften Disziplinarfragen dem Minister nur angenehm sein, wenn die Entscheidung ihm abgenommen und auf Disziplinargerichte über¬ tragen wird. Sollten diese einmal in wichtigen Fragen versagen, so kann ja durch die Gesetzgebung eingegriffen werden. Damit kommen wir auf die Zusammensetzung der Disziplinargerichte. Denn wenn es sich um die schwereren Disziplinarstrafen handelt, die tief in das Leben des Beamten eingreifen, um Strafversetzung, vielleicht noch ver¬ schärft durch Verkürzung des Gehaltes, oder gar um Dienstentlassung, schreibt

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/213
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/213>, abgerufen am 15.01.2025.