Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.Reichsspiegel während bei früheren Zusammenbrüchen des Marktes massenhafte Bankerotte die Trotz dieser günstigen Situation sollte man die Lehren der jüngsten Reichsspiegel während bei früheren Zusammenbrüchen des Marktes massenhafte Bankerotte die Trotz dieser günstigen Situation sollte man die Lehren der jüngsten <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0204" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/322606"/> <fw type="header" place="top"> Reichsspiegel</fw><lb/> <p xml:id="ID_937" prev="#ID_936"> während bei früheren Zusammenbrüchen des Marktes massenhafte Bankerotte die<lb/> Regel waren. Und zwar hat sich die Berliner Börse auch in dieser kritischen<lb/> Zeit besser gehalten als die Pariser. Helfferich hat schon auf dem Münchener<lb/> Bankiertag darauf hingewiesen, daß bei der vorjährigen Marokkokrisis Berlin<lb/> größere Widerstandskraft an den Tag gelegt habe als Paris — eine Behauptung,<lb/> die er jetzt im einzelnen ziffernmäßig durch Vergleichung der Kurse und Zinssätze<lb/> in einem Artikel des Bankarchws belegt — und er kann den gleichen Nachweis<lb/> auch bei der jüngsten Krisis führen. Diese größere Schwäche des Pariser Marktes<lb/> ist natürlich darauf zurückzuführen, daß, wie oben hervorgehoben, die all¬<lb/> gemeinen Verhältnisse bei ihm ungünstiger lagen: die Überspekulation war<lb/> ungesunder und erstreckte sich gerade auf russische Werte, die infolge der nahen<lb/> Beteiligung Rußlands an den Wirren als besonders gefährdet gelten mußten.<lb/> Aber der Zusammenbruch des Marktes war doch so stark, daß er auch die<lb/> französische Rente in seinen Bereich zog; sie verlor in den kritischen Tagen<lb/> 2,40 Prozent. Ebenso wurde in Wien die österreichische und ungarische Rente<lb/> mit in den Strudel gezogen: sie büßten 3,10 und 2,90 Prozent ein. Dagegen<lb/> sind die preußischen 3^/zproz. Konsols von dem allgemeinen Rückgang fast<lb/> unberührt geblieben. Sie weisen nur ein halbes Prozent Kursunterschied auf<lb/> und haben sich damit von allen europäischen Renten am besten gehalten. Dies<lb/> ist ein Ergebnis, mit dem wir sehr zufrieden sein können. Deutschland steht an<lb/> finanzieller und wirtschaftlicher Widerstandskraft seinen Konkurrenten nicht nach.<lb/> Wer trotz aller Nachweise noch daran zu zweifeln wagen wollte, den mag die<lb/> gegenwärtige Entwicklung der Geldverhältnisse eines besseren belehren.<lb/> England und Frankreich haben ihren Banksatz erhöht — die deutsche Reichsbank<lb/> fühlt sich einstweilen noch stark genug, ihren Zinsfuß, der jetzt ein halbes Prozent<lb/> niedriger ist als der englische, festzuhalten. Englische Wechsel suchen jetzt den<lb/> deutschen Markt auf, um sich den billigeren Zinssatz zunutze zu machen. Dabei<lb/> muß, worauf hier schon wiederholt hingewiesen worden ist, Deutschland nur<lb/> mit seinen eigenen Kräften haushalten — fremde Gelder sind, wie der Neichs-<lb/> bankprästdent kürzlich konstatieren konnte, nicht mehr im Lande. Umgekehrt hat<lb/> heute Deutschland erhebliche kurzfristige Forderungen an das Ausland und einen<lb/> großen Besitz an fremden Wertpapieren.</p><lb/> <p xml:id="ID_938" next="#ID_939"> Trotz dieser günstigen Situation sollte man die Lehren der jüngsten<lb/> Krisis beherzigen und von den eigenen und den Fehlern anderer lernen. Das<lb/> ganze wirtschaftliche Leben war bei uns wie anderswo zu sehr auf den Optimismus<lb/> eingestellt. Man sah nur auf die glänzende Seite der wirtschaftlichen Entwicklung<lb/> und glaubte so handeln und disponieren zu dürfen, als könne dieser nur aus<lb/> sich selbst und nicht von außen Gefahr drohen. Das ist um so merkwürdiger,<lb/> als gerade die letzten Jahre unter dem Zeichen der politischen Spannung der<lb/> Großmächte gestanden haben. Da man sich aber gewöhnt hatte, die politische<lb/> Lage lediglich nach dem Stand des Verhältnisses Deutschlands zu England und<lb/> Frankreich zu beurteilen, so übersah man völlig, daß die Gefahr auch in einem</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0204]
Reichsspiegel
während bei früheren Zusammenbrüchen des Marktes massenhafte Bankerotte die
Regel waren. Und zwar hat sich die Berliner Börse auch in dieser kritischen
Zeit besser gehalten als die Pariser. Helfferich hat schon auf dem Münchener
Bankiertag darauf hingewiesen, daß bei der vorjährigen Marokkokrisis Berlin
größere Widerstandskraft an den Tag gelegt habe als Paris — eine Behauptung,
die er jetzt im einzelnen ziffernmäßig durch Vergleichung der Kurse und Zinssätze
in einem Artikel des Bankarchws belegt — und er kann den gleichen Nachweis
auch bei der jüngsten Krisis führen. Diese größere Schwäche des Pariser Marktes
ist natürlich darauf zurückzuführen, daß, wie oben hervorgehoben, die all¬
gemeinen Verhältnisse bei ihm ungünstiger lagen: die Überspekulation war
ungesunder und erstreckte sich gerade auf russische Werte, die infolge der nahen
Beteiligung Rußlands an den Wirren als besonders gefährdet gelten mußten.
Aber der Zusammenbruch des Marktes war doch so stark, daß er auch die
französische Rente in seinen Bereich zog; sie verlor in den kritischen Tagen
2,40 Prozent. Ebenso wurde in Wien die österreichische und ungarische Rente
mit in den Strudel gezogen: sie büßten 3,10 und 2,90 Prozent ein. Dagegen
sind die preußischen 3^/zproz. Konsols von dem allgemeinen Rückgang fast
unberührt geblieben. Sie weisen nur ein halbes Prozent Kursunterschied auf
und haben sich damit von allen europäischen Renten am besten gehalten. Dies
ist ein Ergebnis, mit dem wir sehr zufrieden sein können. Deutschland steht an
finanzieller und wirtschaftlicher Widerstandskraft seinen Konkurrenten nicht nach.
Wer trotz aller Nachweise noch daran zu zweifeln wagen wollte, den mag die
gegenwärtige Entwicklung der Geldverhältnisse eines besseren belehren.
England und Frankreich haben ihren Banksatz erhöht — die deutsche Reichsbank
fühlt sich einstweilen noch stark genug, ihren Zinsfuß, der jetzt ein halbes Prozent
niedriger ist als der englische, festzuhalten. Englische Wechsel suchen jetzt den
deutschen Markt auf, um sich den billigeren Zinssatz zunutze zu machen. Dabei
muß, worauf hier schon wiederholt hingewiesen worden ist, Deutschland nur
mit seinen eigenen Kräften haushalten — fremde Gelder sind, wie der Neichs-
bankprästdent kürzlich konstatieren konnte, nicht mehr im Lande. Umgekehrt hat
heute Deutschland erhebliche kurzfristige Forderungen an das Ausland und einen
großen Besitz an fremden Wertpapieren.
Trotz dieser günstigen Situation sollte man die Lehren der jüngsten
Krisis beherzigen und von den eigenen und den Fehlern anderer lernen. Das
ganze wirtschaftliche Leben war bei uns wie anderswo zu sehr auf den Optimismus
eingestellt. Man sah nur auf die glänzende Seite der wirtschaftlichen Entwicklung
und glaubte so handeln und disponieren zu dürfen, als könne dieser nur aus
sich selbst und nicht von außen Gefahr drohen. Das ist um so merkwürdiger,
als gerade die letzten Jahre unter dem Zeichen der politischen Spannung der
Großmächte gestanden haben. Da man sich aber gewöhnt hatte, die politische
Lage lediglich nach dem Stand des Verhältnisses Deutschlands zu England und
Frankreich zu beurteilen, so übersah man völlig, daß die Gefahr auch in einem
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