Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

einigung in eine einheitliche Veröffentlichung,
wie sie Balzac selbst gewünscht hätte, und
durch Voranstellung seiner Programmatischen
Vorrede ist dies geschehen, sondern auch durch
biographische und ästhetische Würdigung, die
Überblick gewährt und den Zusammenschluß
damit sinnfälliger macht. Mit einer prunk¬
vollen Rede leitet Hugo v. Hofmannsthal den
ersten Band ein; seit Goethes und Heines
Zeit war keiner in Deutschland, der es so
verstanden hätte, mit feiernden, das Wesent¬
liche in Schönheit darbietenden Worten ein
Buch zu übergeben wie Hofmannsthal. Der
letzte Band des nun abgeschlossenen großen
Werkes bringt eine literarhistorische Abhand¬
lung von Wilhelm Weigand, die nichts ge¬
ringeres ist als die beste Darstellung > die
Balzacs Leben und Schaffen noch gesunden.
Nach Weigands vorzüglichen Arbeiten über
Stendhal (die mit dem Balzac-Essay zu¬
sammen auch in besonderem Bande im Insel-
Verlag erschienen ist) und über Ubbo Galiani
war es auch nicht anders zu erwarten, und
es ist erfreulich, daß auch ein Montaigne an¬
gekündigt wird. Die besonderen Vorzüge der
Abhandlung sind tiefe Lebenskenntnis und
reiche Kunsterfahrung. Die Betonung der
Herkunft, des gascognischen Erbteils in

[Spaltenumbruch]

Balzacs Blut; das Entscheidende über
die geistige Ausbildung des Dichters, das
darin liegt, daß der empfängliche Geist
des jungen Menschen von den Eindrücken
einer grandiosen Epoche gleichsam ausgeweidet
und befähigt wird, eine unendliche Welt in
seiner Phantasie zu hegen; die geheimnisvolle
Einheit aufzuzeigen, die inneres und äußeres
Schicksal im Dichter bilden (der Lebens- und
Liebesroman mit Frau v. Hanskci) -- und
Balzacs Werk, den Roman als demokratische
Kunstform in die Entwicklung des Schrifttums
einzugliedern und damit der Darstellung den
Rahmen zu geben -- alle diese Themen
finden hier ihre vorbildlich gute Behandlung.
Es will daneben nichts besagen, wenn die
Mühe, welche die sprachliche Bewältigung so
schwer in Worte zu fassender Dinge kostet,
bisweilen fühlbar geblieben ist. Eine Lebens¬
auffassung spricht aus dieser Darstellung zu
uns, und dies kann nicht leicht irgendwo so
sehr am Platze sein wie hier. Des Systems, in
das Balzac in seinem Plan des ganzen Werkes
das Leben seines Zeitalters in all seinen
Erscheinungen zu bringen sucht, ist die Summe
von Balzacs Leben und Dichten, die Weigand
zieht, nicht unwürdig.

Dr. Max Meil [Ende Spaltensatz]


Verantwortlich: der Herausgeber Georg" Cleinow in Schöneberg. -- Manuskriptsendungen und Briefe werden erbeten unter der Adresse!
A" den Herausgeber der Grenzlinien in Friedenau bei Berlin, Hcdwigstr. 1". Fernsprecher der Schristleitimg: Amt Uhland SSM, des Verlags- Amt Lützow S610.
Verlag: Verlag der Grenzboten G. in. b. H. in Berlin SV/. 11.
Druck: "Der Reichsbote" G. in. b. H. in Berlin SV. 11. Dessauer Strasze M/37,


Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

einigung in eine einheitliche Veröffentlichung,
wie sie Balzac selbst gewünscht hätte, und
durch Voranstellung seiner Programmatischen
Vorrede ist dies geschehen, sondern auch durch
biographische und ästhetische Würdigung, die
Überblick gewährt und den Zusammenschluß
damit sinnfälliger macht. Mit einer prunk¬
vollen Rede leitet Hugo v. Hofmannsthal den
ersten Band ein; seit Goethes und Heines
Zeit war keiner in Deutschland, der es so
verstanden hätte, mit feiernden, das Wesent¬
liche in Schönheit darbietenden Worten ein
Buch zu übergeben wie Hofmannsthal. Der
letzte Band des nun abgeschlossenen großen
Werkes bringt eine literarhistorische Abhand¬
lung von Wilhelm Weigand, die nichts ge¬
ringeres ist als die beste Darstellung > die
Balzacs Leben und Schaffen noch gesunden.
Nach Weigands vorzüglichen Arbeiten über
Stendhal (die mit dem Balzac-Essay zu¬
sammen auch in besonderem Bande im Insel-
Verlag erschienen ist) und über Ubbo Galiani
war es auch nicht anders zu erwarten, und
es ist erfreulich, daß auch ein Montaigne an¬
gekündigt wird. Die besonderen Vorzüge der
Abhandlung sind tiefe Lebenskenntnis und
reiche Kunsterfahrung. Die Betonung der
Herkunft, des gascognischen Erbteils in

[Spaltenumbruch]

Balzacs Blut; das Entscheidende über
die geistige Ausbildung des Dichters, das
darin liegt, daß der empfängliche Geist
des jungen Menschen von den Eindrücken
einer grandiosen Epoche gleichsam ausgeweidet
und befähigt wird, eine unendliche Welt in
seiner Phantasie zu hegen; die geheimnisvolle
Einheit aufzuzeigen, die inneres und äußeres
Schicksal im Dichter bilden (der Lebens- und
Liebesroman mit Frau v. Hanskci) — und
Balzacs Werk, den Roman als demokratische
Kunstform in die Entwicklung des Schrifttums
einzugliedern und damit der Darstellung den
Rahmen zu geben — alle diese Themen
finden hier ihre vorbildlich gute Behandlung.
Es will daneben nichts besagen, wenn die
Mühe, welche die sprachliche Bewältigung so
schwer in Worte zu fassender Dinge kostet,
bisweilen fühlbar geblieben ist. Eine Lebens¬
auffassung spricht aus dieser Darstellung zu
uns, und dies kann nicht leicht irgendwo so
sehr am Platze sein wie hier. Des Systems, in
das Balzac in seinem Plan des ganzen Werkes
das Leben seines Zeitalters in all seinen
Erscheinungen zu bringen sucht, ist die Summe
von Balzacs Leben und Dichten, die Weigand
zieht, nicht unwürdig.

Dr. Max Meil [Ende Spaltensatz]


Verantwortlich: der Herausgeber Georg« Cleinow in Schöneberg. — Manuskriptsendungen und Briefe werden erbeten unter der Adresse!
A» den Herausgeber der Grenzlinien in Friedenau bei Berlin, Hcdwigstr. 1». Fernsprecher der Schristleitimg: Amt Uhland SSM, des Verlags- Amt Lützow S610.
Verlag: Verlag der Grenzboten G. in. b. H. in Berlin SV/. 11.
Druck: „Der Reichsbote" G. in. b. H. in Berlin SV. 11. Dessauer Strasze M/37,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0159" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/322561"/>
            <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/>
            <cb type="start"/>
            <p xml:id="ID_740" prev="#ID_739" next="#ID_741"> einigung in eine einheitliche Veröffentlichung,<lb/>
wie sie Balzac selbst gewünscht hätte, und<lb/>
durch Voranstellung seiner Programmatischen<lb/>
Vorrede ist dies geschehen, sondern auch durch<lb/>
biographische und ästhetische Würdigung, die<lb/>
Überblick gewährt und den Zusammenschluß<lb/>
damit sinnfälliger macht. Mit einer prunk¬<lb/>
vollen Rede leitet Hugo v. Hofmannsthal den<lb/>
ersten Band ein; seit Goethes und Heines<lb/>
Zeit war keiner in Deutschland, der es so<lb/>
verstanden hätte, mit feiernden, das Wesent¬<lb/>
liche in Schönheit darbietenden Worten ein<lb/>
Buch zu übergeben wie Hofmannsthal. Der<lb/>
letzte Band des nun abgeschlossenen großen<lb/>
Werkes bringt eine literarhistorische Abhand¬<lb/>
lung von Wilhelm Weigand, die nichts ge¬<lb/>
ringeres ist als die beste Darstellung &gt; die<lb/>
Balzacs Leben und Schaffen noch gesunden.<lb/>
Nach Weigands vorzüglichen Arbeiten über<lb/>
Stendhal (die mit dem Balzac-Essay zu¬<lb/>
sammen auch in besonderem Bande im Insel-<lb/>
Verlag erschienen ist) und über Ubbo Galiani<lb/>
war es auch nicht anders zu erwarten, und<lb/>
es ist erfreulich, daß auch ein Montaigne an¬<lb/>
gekündigt wird. Die besonderen Vorzüge der<lb/>
Abhandlung sind tiefe Lebenskenntnis und<lb/>
reiche Kunsterfahrung. Die Betonung der<lb/>
Herkunft,  des  gascognischen Erbteils in</p>
            <cb/><lb/>
            <p xml:id="ID_741" prev="#ID_740"> Balzacs Blut; das Entscheidende über<lb/>
die geistige Ausbildung des Dichters, das<lb/>
darin liegt, daß der empfängliche Geist<lb/>
des jungen Menschen von den Eindrücken<lb/>
einer grandiosen Epoche gleichsam ausgeweidet<lb/>
und befähigt wird, eine unendliche Welt in<lb/>
seiner Phantasie zu hegen; die geheimnisvolle<lb/>
Einheit aufzuzeigen, die inneres und äußeres<lb/>
Schicksal im Dichter bilden (der Lebens- und<lb/>
Liebesroman mit Frau v. Hanskci) &#x2014; und<lb/>
Balzacs Werk, den Roman als demokratische<lb/>
Kunstform in die Entwicklung des Schrifttums<lb/>
einzugliedern und damit der Darstellung den<lb/>
Rahmen zu geben &#x2014; alle diese Themen<lb/>
finden hier ihre vorbildlich gute Behandlung.<lb/>
Es will daneben nichts besagen, wenn die<lb/>
Mühe, welche die sprachliche Bewältigung so<lb/>
schwer in Worte zu fassender Dinge kostet,<lb/>
bisweilen fühlbar geblieben ist. Eine Lebens¬<lb/>
auffassung spricht aus dieser Darstellung zu<lb/>
uns, und dies kann nicht leicht irgendwo so<lb/>
sehr am Platze sein wie hier. Des Systems, in<lb/>
das Balzac in seinem Plan des ganzen Werkes<lb/>
das Leben seines Zeitalters in all seinen<lb/>
Erscheinungen zu bringen sucht, ist die Summe<lb/>
von Balzacs Leben und Dichten, die Weigand<lb/>
zieht, nicht unwürdig.</p>
            <note type="byline"> Dr. Max Meil</note>
            <cb type="end"/><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
            <note type="byline">
              <p xml:id="ID_742"> Verantwortlich: der Herausgeber Georg« Cleinow in Schöneberg. &#x2014; Manuskriptsendungen und Briefe werden</p>
              <p xml:id="ID_743"> erbeten unter der Adresse!<lb/>
A» den Herausgeber der Grenzlinien in Friedenau bei Berlin, Hcdwigstr. 1».</p>
              <p xml:id="ID_744"> Fernsprecher der Schristleitimg: Amt Uhland SSM, des Verlags- Amt Lützow S610.<lb/>
Verlag: Verlag der Grenzboten G. in. b. H. in Berlin SV/. 11.<lb/>
Druck: &#x201E;Der Reichsbote" G. in. b. H. in Berlin SV. 11. Dessauer Strasze M/37,</p>
            </note><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0159] Maßgebliches und Unmaßgebliches einigung in eine einheitliche Veröffentlichung, wie sie Balzac selbst gewünscht hätte, und durch Voranstellung seiner Programmatischen Vorrede ist dies geschehen, sondern auch durch biographische und ästhetische Würdigung, die Überblick gewährt und den Zusammenschluß damit sinnfälliger macht. Mit einer prunk¬ vollen Rede leitet Hugo v. Hofmannsthal den ersten Band ein; seit Goethes und Heines Zeit war keiner in Deutschland, der es so verstanden hätte, mit feiernden, das Wesent¬ liche in Schönheit darbietenden Worten ein Buch zu übergeben wie Hofmannsthal. Der letzte Band des nun abgeschlossenen großen Werkes bringt eine literarhistorische Abhand¬ lung von Wilhelm Weigand, die nichts ge¬ ringeres ist als die beste Darstellung > die Balzacs Leben und Schaffen noch gesunden. Nach Weigands vorzüglichen Arbeiten über Stendhal (die mit dem Balzac-Essay zu¬ sammen auch in besonderem Bande im Insel- Verlag erschienen ist) und über Ubbo Galiani war es auch nicht anders zu erwarten, und es ist erfreulich, daß auch ein Montaigne an¬ gekündigt wird. Die besonderen Vorzüge der Abhandlung sind tiefe Lebenskenntnis und reiche Kunsterfahrung. Die Betonung der Herkunft, des gascognischen Erbteils in Balzacs Blut; das Entscheidende über die geistige Ausbildung des Dichters, das darin liegt, daß der empfängliche Geist des jungen Menschen von den Eindrücken einer grandiosen Epoche gleichsam ausgeweidet und befähigt wird, eine unendliche Welt in seiner Phantasie zu hegen; die geheimnisvolle Einheit aufzuzeigen, die inneres und äußeres Schicksal im Dichter bilden (der Lebens- und Liebesroman mit Frau v. Hanskci) — und Balzacs Werk, den Roman als demokratische Kunstform in die Entwicklung des Schrifttums einzugliedern und damit der Darstellung den Rahmen zu geben — alle diese Themen finden hier ihre vorbildlich gute Behandlung. Es will daneben nichts besagen, wenn die Mühe, welche die sprachliche Bewältigung so schwer in Worte zu fassender Dinge kostet, bisweilen fühlbar geblieben ist. Eine Lebens¬ auffassung spricht aus dieser Darstellung zu uns, und dies kann nicht leicht irgendwo so sehr am Platze sein wie hier. Des Systems, in das Balzac in seinem Plan des ganzen Werkes das Leben seines Zeitalters in all seinen Erscheinungen zu bringen sucht, ist die Summe von Balzacs Leben und Dichten, die Weigand zieht, nicht unwürdig. Dr. Max Meil Verantwortlich: der Herausgeber Georg« Cleinow in Schöneberg. — Manuskriptsendungen und Briefe werden erbeten unter der Adresse! A» den Herausgeber der Grenzlinien in Friedenau bei Berlin, Hcdwigstr. 1». Fernsprecher der Schristleitimg: Amt Uhland SSM, des Verlags- Amt Lützow S610. Verlag: Verlag der Grenzboten G. in. b. H. in Berlin SV/. 11. Druck: „Der Reichsbote" G. in. b. H. in Berlin SV. 11. Dessauer Strasze M/37,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/159
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/159>, abgerufen am 15.01.2025.