Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.An der Wiege des 'Königreichs Rumänien Bestand gibt, das ist unser Tod, und wir wollen nicht die selbstmörderische Hand Was hiernächst Nußland betrifft, welches bis vor dem Kriege eine bedeutende Die russische Politik kann bei dieser Haltung in jedem Falle eines günstigen An der Wiege des 'Königreichs Rumänien Bestand gibt, das ist unser Tod, und wir wollen nicht die selbstmörderische Hand Was hiernächst Nußland betrifft, welches bis vor dem Kriege eine bedeutende Die russische Politik kann bei dieser Haltung in jedem Falle eines günstigen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0130" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/322532"/> <fw type="header" place="top"> An der Wiege des 'Königreichs Rumänien</fw><lb/> <p xml:id="ID_520" prev="#ID_519"> Bestand gibt, das ist unser Tod, und wir wollen nicht die selbstmörderische Hand<lb/> an uns legen. Was die Pforte will, das ist schließlich: Assimilierung der<lb/> Vasallenländer an den Hauptbestandteil des türkischen Reiches, oder wenn es<lb/> gestattet ist, diesen Ausdruck zu gebrauchen, Osmanisierung der beiden Fürsten¬<lb/> tümer Paschaliks im günstigsten Falle unter christlichen Paschas. Auf das<lb/> Interesse der Fürstentümer selbst kommt die Pforte nur indirekt und insofern<lb/> zurück, als sie sagt: die Fürstentümer gehören mir, sie sind mir garantiert, und<lb/> da sie dies sind, so erfordert es ihr eigener Nutzen und ihre eigene Ruhe, daß<lb/> jede Disharmonie zwischen ihnen und dem Reich schwinde, mithin, daß sie<lb/> demselben assimiliert werden. Die Pforte hat nach dem Pariser Frieden das<lb/> letzte Wort zu reden, und wird es unzweifelhaft stets in diesem Sinne tun. Je<lb/> mehr man daher dem türkischen Kommissär, oder den türkischen Behörden davon<lb/> sprechen und sie in der Überzeugung bestärken wollte, daß ein den Ländern<lb/> zu gehender fremder Erbfürst zum Gedeihen und zur Kräftigung der Länder<lb/> beitragen werde, desto mehr würde man die Türken gegen sich haben, denn sie<lb/> wollen eben keine solche Kräftigung. Die Zustimmung der Pforte zu einer in<lb/> was immer für einer Weise selbständigen erblichen monarchischen Negierung der<lb/> Länder wird, darüber darf man sich keine Illusionen machen, nur durch Gewalt<lb/> erlangt werden können, wenn nicht durch diejenige des Krieges, sondern doch<lb/> durch diejenige der Umstände.</p><lb/> <p xml:id="ID_521"> Was hiernächst Nußland betrifft, welches bis vor dem Kriege eine bedeutende<lb/> Rolle in den Fürstentümern gespielt hat, so werden Ew. Königliche Majestät<lb/> bereits aus meinen früheren ehrfurchtsvollsten Berichten allergnädigst entnommen<lb/> haben, daß der Kaiser Alexander der Zweite beabsichtigt, eine große Zurück¬<lb/> haltung in den Fragen, welche diese Länder betreffen, zu beobachten. Dahin<lb/> gingen die Äußerungen seiner Diplomaten in Berlin und Wien gegen mich;<lb/> aber man konnte doch durchblicken, daß im Grunde Rußland kein wesentliches<lb/> Interesse habe, die Selbständigkeit der Fürstentümer zu fördern, und die besondere<lb/> Betonung seiner Diplomaten, daß man zwar die Länder durch die zu berufenden<lb/> Diwans aä Koa zum freien Ausdrucke ihrer Wünsche gelangen, der Pforte dem¬<lb/> nächst aber das letzte Wort zu lassen haben werde, ließ darauf schließen, daß<lb/> man russischerseits hiernächst den Widerstand der Pforte eher begünstigen, als<lb/> zu beseitigen trachten werde.</p><lb/> <p xml:id="ID_522" next="#ID_523"> Die russische Politik kann bei dieser Haltung in jedem Falle eines günstigen<lb/> Erfolges in dieser Frage sicher sein. Kommt in bezug auf die Fürstentümer<lb/> nichts Wesentliches zustande, werden dieselben in ihrer bisherigen mangelhaften<lb/> Verfassung belassen, oder gar noch mehr an die Pforte angeschlossen und<lb/> osmanisiert, so erlangt die russische Politik zweierlei: einmal das Wiedererwachen<lb/> der Sympathien jener Länder sür Rußland, und sodann eine Blanc für die<lb/> Westmächte, auf die die Moldau-Wallachen, wie einst die Polen, ihr Augenmerk<lb/> gerichtet haben, und somit auch in dieser Hinsicht eine Enttäuschung Europas<lb/> über die Macht Frankreichs und Englands zur Wiederbelebung unterdrückter</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0130]
An der Wiege des 'Königreichs Rumänien
Bestand gibt, das ist unser Tod, und wir wollen nicht die selbstmörderische Hand
an uns legen. Was die Pforte will, das ist schließlich: Assimilierung der
Vasallenländer an den Hauptbestandteil des türkischen Reiches, oder wenn es
gestattet ist, diesen Ausdruck zu gebrauchen, Osmanisierung der beiden Fürsten¬
tümer Paschaliks im günstigsten Falle unter christlichen Paschas. Auf das
Interesse der Fürstentümer selbst kommt die Pforte nur indirekt und insofern
zurück, als sie sagt: die Fürstentümer gehören mir, sie sind mir garantiert, und
da sie dies sind, so erfordert es ihr eigener Nutzen und ihre eigene Ruhe, daß
jede Disharmonie zwischen ihnen und dem Reich schwinde, mithin, daß sie
demselben assimiliert werden. Die Pforte hat nach dem Pariser Frieden das
letzte Wort zu reden, und wird es unzweifelhaft stets in diesem Sinne tun. Je
mehr man daher dem türkischen Kommissär, oder den türkischen Behörden davon
sprechen und sie in der Überzeugung bestärken wollte, daß ein den Ländern
zu gehender fremder Erbfürst zum Gedeihen und zur Kräftigung der Länder
beitragen werde, desto mehr würde man die Türken gegen sich haben, denn sie
wollen eben keine solche Kräftigung. Die Zustimmung der Pforte zu einer in
was immer für einer Weise selbständigen erblichen monarchischen Negierung der
Länder wird, darüber darf man sich keine Illusionen machen, nur durch Gewalt
erlangt werden können, wenn nicht durch diejenige des Krieges, sondern doch
durch diejenige der Umstände.
Was hiernächst Nußland betrifft, welches bis vor dem Kriege eine bedeutende
Rolle in den Fürstentümern gespielt hat, so werden Ew. Königliche Majestät
bereits aus meinen früheren ehrfurchtsvollsten Berichten allergnädigst entnommen
haben, daß der Kaiser Alexander der Zweite beabsichtigt, eine große Zurück¬
haltung in den Fragen, welche diese Länder betreffen, zu beobachten. Dahin
gingen die Äußerungen seiner Diplomaten in Berlin und Wien gegen mich;
aber man konnte doch durchblicken, daß im Grunde Rußland kein wesentliches
Interesse habe, die Selbständigkeit der Fürstentümer zu fördern, und die besondere
Betonung seiner Diplomaten, daß man zwar die Länder durch die zu berufenden
Diwans aä Koa zum freien Ausdrucke ihrer Wünsche gelangen, der Pforte dem¬
nächst aber das letzte Wort zu lassen haben werde, ließ darauf schließen, daß
man russischerseits hiernächst den Widerstand der Pforte eher begünstigen, als
zu beseitigen trachten werde.
Die russische Politik kann bei dieser Haltung in jedem Falle eines günstigen
Erfolges in dieser Frage sicher sein. Kommt in bezug auf die Fürstentümer
nichts Wesentliches zustande, werden dieselben in ihrer bisherigen mangelhaften
Verfassung belassen, oder gar noch mehr an die Pforte angeschlossen und
osmanisiert, so erlangt die russische Politik zweierlei: einmal das Wiedererwachen
der Sympathien jener Länder sür Rußland, und sodann eine Blanc für die
Westmächte, auf die die Moldau-Wallachen, wie einst die Polen, ihr Augenmerk
gerichtet haben, und somit auch in dieser Hinsicht eine Enttäuschung Europas
über die Macht Frankreichs und Englands zur Wiederbelebung unterdrückter
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