Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.Der Arme Heinrich Aber das Pächterkind ist nun um die ersehnte Himmelskrone gebracht; den Die folgenden Ereignisse dienen zur Abrundung und lassen die Dichtungen Die verschiedenen Anforderungen der epischen und dramatischen Technik In einer merkwürdigen Novelle "Der Arme Heinrich" hat Ricarda Huch Der Arme Heinrich Aber das Pächterkind ist nun um die ersehnte Himmelskrone gebracht; den Die folgenden Ereignisse dienen zur Abrundung und lassen die Dichtungen Die verschiedenen Anforderungen der epischen und dramatischen Technik In einer merkwürdigen Novelle „Der Arme Heinrich" hat Ricarda Huch <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0126" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/322528"/> <fw type="header" place="top"> Der Arme Heinrich</fw><lb/> <p xml:id="ID_504"> Aber das Pächterkind ist nun um die ersehnte Himmelskrone gebracht; den<lb/> verzweifelten Ausbruch höchster Leidenschaft, den Hartmann dem Mädchen in<lb/> den Mund legt, hat Chamisso für den modernen Leser mit glücklicher Hand<lb/> gemildert. Bei Hauptmann fällt Ottegebe, das roegemüde Kind, in krankhafte<lb/> Apathie.</p><lb/> <p xml:id="ID_505"> Die folgenden Ereignisse dienen zur Abrundung und lassen die Dichtungen<lb/> melodisch verklingen. Heinrich von Ane wird in der Heimat feierlich empfangen.<lb/> Das mittelhochdeutsche Epos endet damit, daß die Pächterstochter unter Zu»<lb/> Stimmung des „Rates" dem glücklich Genesenen zur Ehe verbunden wird. Lohn'<lb/> Gott uns allen, wie den beiden I — Auch Ottegebes Apathie löst sich, Heinrich<lb/> erhebt das zitternde Geschenk des Himmels, Heirat und Krönung beschließen<lb/> das Drama mit einem vollen Akkorde. Und selbst Longfellow findet einen,<lb/> wenn nicht ganz ungetrübten, so doch poetisch feinbewegten Abklang in der<lb/> Szene auf Schloß Vautsberg bei Abendglockenläuten und der Erinnerung an<lb/> Fastrada und den Großen Karl.</p><lb/> <p xml:id="ID_506"> Die verschiedenen Anforderungen der epischen und dramatischen Technik<lb/> haben neben formalen, auch starke stoffliche Änderungen erzwungen, wiewohl<lb/> man nicht sagen kann, Hauptmann habe die Geschichte des Armen Heinrich<lb/> vergröbert. Das Theater brauchte vor allem noch einige Hilfspersonen; so<lb/> führt Hauptmann neben dem Knappen Ottaker, dem getreuen Ungetreuen, noch<lb/> Hartmann von Ane ein, Heinrichs Dienstmann und Freund. Seine dichterischen<lb/> Qualitäten werden nicht berührt. Ähnlich hat Longfellow unter einer Masse<lb/> von Personen Walther von der Vogelweide seinem Werke eingefügt, auch ihn<lb/> als Freund und Berater Heinrichs, den er von Hoheneck nennt.</p><lb/> <p xml:id="ID_507"> In einer merkwürdigen Novelle „Der Arme Heinrich" hat Ricarda Huch<lb/> eine seltsame Umgestaltung gewagt. Heinrich von Ane läßt die Blutheilung<lb/> wirklich geschehen, das „Liebheidli" stirbt unter dem Messer des sarazenischen<lb/> Arztes und Heinrich gesundet in ihrem Blute. Damit ist das Thema in der<lb/> Spitze umgebogen; Heinrich lebt ein langes inhaltreiches Leben voll neuer<lb/> Gesundheit. Was uns die Novelle, die mit allem berückenden Zauber der<lb/> Huchschen Erzählungskunst glänzt, hier noch erwähnen läßt, ist die überraschende<lb/> Einkleidung. Ein Mönch, Bruder Baldrian, der Philosoph seines Klosters,<lb/> pflegt seit Jahren einer Lieblingsidee nachzuhängen, er hat sich einen vernunft¬<lb/> mäßigen Gang aller Lebensläufe zurechtgelegt, eine planmäßige Anordnung von<lb/> Schuld und Sühne, die er wie geometrische Figuren betrachtet, und herzliche<lb/> Freude darüber empfindet. Nun ist Heinrichs absonderliches Lebensgebilde, das<lb/> der Mönch mit gespanntester Aufmerksamkeit verfolgt, und auf dessen erschreck¬<lb/> liches Ende er mit scheuer Erwartung, und besorgter Teilnahme seit Jahren<lb/> wartet, in Ehren, ja mit einer freilich wenig verdienten Seligsprechung beschlossen<lb/> worden. Das vermag er nicht zu fassen. Trübsinnig kehrt er heim und<lb/> schreibt die Geschichte Heinrichs nieder, so, wie er sie an Gottes Stelle an¬<lb/> geordnet hätte.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0126]
Der Arme Heinrich
Aber das Pächterkind ist nun um die ersehnte Himmelskrone gebracht; den
verzweifelten Ausbruch höchster Leidenschaft, den Hartmann dem Mädchen in
den Mund legt, hat Chamisso für den modernen Leser mit glücklicher Hand
gemildert. Bei Hauptmann fällt Ottegebe, das roegemüde Kind, in krankhafte
Apathie.
Die folgenden Ereignisse dienen zur Abrundung und lassen die Dichtungen
melodisch verklingen. Heinrich von Ane wird in der Heimat feierlich empfangen.
Das mittelhochdeutsche Epos endet damit, daß die Pächterstochter unter Zu»
Stimmung des „Rates" dem glücklich Genesenen zur Ehe verbunden wird. Lohn'
Gott uns allen, wie den beiden I — Auch Ottegebes Apathie löst sich, Heinrich
erhebt das zitternde Geschenk des Himmels, Heirat und Krönung beschließen
das Drama mit einem vollen Akkorde. Und selbst Longfellow findet einen,
wenn nicht ganz ungetrübten, so doch poetisch feinbewegten Abklang in der
Szene auf Schloß Vautsberg bei Abendglockenläuten und der Erinnerung an
Fastrada und den Großen Karl.
Die verschiedenen Anforderungen der epischen und dramatischen Technik
haben neben formalen, auch starke stoffliche Änderungen erzwungen, wiewohl
man nicht sagen kann, Hauptmann habe die Geschichte des Armen Heinrich
vergröbert. Das Theater brauchte vor allem noch einige Hilfspersonen; so
führt Hauptmann neben dem Knappen Ottaker, dem getreuen Ungetreuen, noch
Hartmann von Ane ein, Heinrichs Dienstmann und Freund. Seine dichterischen
Qualitäten werden nicht berührt. Ähnlich hat Longfellow unter einer Masse
von Personen Walther von der Vogelweide seinem Werke eingefügt, auch ihn
als Freund und Berater Heinrichs, den er von Hoheneck nennt.
In einer merkwürdigen Novelle „Der Arme Heinrich" hat Ricarda Huch
eine seltsame Umgestaltung gewagt. Heinrich von Ane läßt die Blutheilung
wirklich geschehen, das „Liebheidli" stirbt unter dem Messer des sarazenischen
Arztes und Heinrich gesundet in ihrem Blute. Damit ist das Thema in der
Spitze umgebogen; Heinrich lebt ein langes inhaltreiches Leben voll neuer
Gesundheit. Was uns die Novelle, die mit allem berückenden Zauber der
Huchschen Erzählungskunst glänzt, hier noch erwähnen läßt, ist die überraschende
Einkleidung. Ein Mönch, Bruder Baldrian, der Philosoph seines Klosters,
pflegt seit Jahren einer Lieblingsidee nachzuhängen, er hat sich einen vernunft¬
mäßigen Gang aller Lebensläufe zurechtgelegt, eine planmäßige Anordnung von
Schuld und Sühne, die er wie geometrische Figuren betrachtet, und herzliche
Freude darüber empfindet. Nun ist Heinrichs absonderliches Lebensgebilde, das
der Mönch mit gespanntester Aufmerksamkeit verfolgt, und auf dessen erschreck¬
liches Ende er mit scheuer Erwartung, und besorgter Teilnahme seit Jahren
wartet, in Ehren, ja mit einer freilich wenig verdienten Seligsprechung beschlossen
worden. Das vermag er nicht zu fassen. Trübsinnig kehrt er heim und
schreibt die Geschichte Heinrichs nieder, so, wie er sie an Gottes Stelle an¬
geordnet hätte.
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