Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Am Bau der deutschen Zukunft

der staatlichen Leitung in einen Neichsrat verlegt, dem alle Bürger von
höchster Führerqualität angehören, von dem Adel über die Bürgermeister der
Großstädte zu den Größen der Wissenschaft und Kunst und von diesen zu den
hervorragendsten in der Volkswirtschaft, in Landbau, Bankwesen, Industrie,
Handel, zu den Meistern der Technik und des Kriegswesens, den Vertretern der
Schulen aller Grade, der Presse, des Handwerks, des Arbeiterstandes. Gegen¬
über den auch in anderen Kreisen besprochenen Gedanken einer Ersetzung des
Reichstags durch eine berufsständische Volksvertretung bedeutet Breysigs Vorschlag,
der den Reichstag in seiner Stellung beläßt und nur eine Versammlung der
wirklich Sachverständigen neben ihn stellt, eine kaum mehr utopisch zu nennende
Idee. Die Bedeutung des neuen Reichsrates läge meines Erachtens nicht so
sehr in einem staatsrechtlichen Gegengewicht gegen den Reichstag, als in der
Wirkung der dort ausgesprochenen, von Rücksichten auf Wählermassen und
Parteiinteressen freien Worte auf die öffentliche Meinung und -- anf den Kaiser.
Daran denkt auch Breysig selbst (vgl. Tag vom 17. Juli).

Man wird gegen Breysigs Aufstellungen vielerlei einwenden. "Politische
Praktiker" haben bereits von der Bedeutungslosigkeit dieses "Rates der Besten"
geredet, auf den doch niemand hören werde (Post vom 13. Juni). Die
Schwierigkeit der Einschätzung der Führer, sowohl durch sich selbst als durch
andere, ihre Eigenschaft als fehlerbehaftete, egoistische Menschen wird es schwer
gelingen lassen, die richtigen Männer stets an die richtigen Plätze zu stellen.
Alle diese Schwächen in Breysigs Entwurf sind Ergebnisse des optimistischen
Sinnes, des unerschütterlichen Vertrauens auf die Menschennatur. Und auch,
wo man die Vorschläge im einzelnen ablehnt, lassen sie doch klar erkennen, daß
man in immer weiteren Kreisen ernster Volksfreunde jetzt die seinerzeit von
demokratischen Doktrinären postulierte politische Gleichheit aller Staatsbürger
und ihr Ergebnis, den deutschen Reichstag, für Erscheinungen hält, deren Zeit
einmal ablaufen muß, weil es absolut wertvolle Systeme auf politischen: Gebiete
uicht gibt.

Immerhin geht Breysig auf gemäßigteren Bahnen als der unter dem
Namen Daniel Frymann schreibende Autor des Aufsehen erregenden Buches
"Wenn ich der Kaiser wär'" (1912). Und das ist um so bemerkenswerter, als
Breysig bei allem scharfen Blick in die inneren Zusammenhänge menschlichen
Daseins -- seine historische Berufsarbeit hat ihn geschärft -- doch fast als welt¬
fremder Theoretiker erscheint, wenn man seine Forderungen mit denen Frymcmns
vergleicht, die allem Anschein nach langjähriger politischer Praxis entspringen.
Hier geht einmal der Praktiker weiter als der Theoretiker zu gehen wagt --
wie muß es um unser politisches Leben stehen, wenn die Dinge in der Nähe
gesehen noch soviel mehr nach Verbesserung verlangen als von ferne geahnt.

Daß auch Frymanns innerpolitische Reform von verschiedenen Seiten her
anfechtbar ist, dürste ihm selbst klar gewesen sein. Seine Wahlrechtsreform ist
sogar dem rein mechanistischen Maßstab der Zahl der Untergebenen bei der


Am Bau der deutschen Zukunft

der staatlichen Leitung in einen Neichsrat verlegt, dem alle Bürger von
höchster Führerqualität angehören, von dem Adel über die Bürgermeister der
Großstädte zu den Größen der Wissenschaft und Kunst und von diesen zu den
hervorragendsten in der Volkswirtschaft, in Landbau, Bankwesen, Industrie,
Handel, zu den Meistern der Technik und des Kriegswesens, den Vertretern der
Schulen aller Grade, der Presse, des Handwerks, des Arbeiterstandes. Gegen¬
über den auch in anderen Kreisen besprochenen Gedanken einer Ersetzung des
Reichstags durch eine berufsständische Volksvertretung bedeutet Breysigs Vorschlag,
der den Reichstag in seiner Stellung beläßt und nur eine Versammlung der
wirklich Sachverständigen neben ihn stellt, eine kaum mehr utopisch zu nennende
Idee. Die Bedeutung des neuen Reichsrates läge meines Erachtens nicht so
sehr in einem staatsrechtlichen Gegengewicht gegen den Reichstag, als in der
Wirkung der dort ausgesprochenen, von Rücksichten auf Wählermassen und
Parteiinteressen freien Worte auf die öffentliche Meinung und — anf den Kaiser.
Daran denkt auch Breysig selbst (vgl. Tag vom 17. Juli).

Man wird gegen Breysigs Aufstellungen vielerlei einwenden. „Politische
Praktiker" haben bereits von der Bedeutungslosigkeit dieses „Rates der Besten"
geredet, auf den doch niemand hören werde (Post vom 13. Juni). Die
Schwierigkeit der Einschätzung der Führer, sowohl durch sich selbst als durch
andere, ihre Eigenschaft als fehlerbehaftete, egoistische Menschen wird es schwer
gelingen lassen, die richtigen Männer stets an die richtigen Plätze zu stellen.
Alle diese Schwächen in Breysigs Entwurf sind Ergebnisse des optimistischen
Sinnes, des unerschütterlichen Vertrauens auf die Menschennatur. Und auch,
wo man die Vorschläge im einzelnen ablehnt, lassen sie doch klar erkennen, daß
man in immer weiteren Kreisen ernster Volksfreunde jetzt die seinerzeit von
demokratischen Doktrinären postulierte politische Gleichheit aller Staatsbürger
und ihr Ergebnis, den deutschen Reichstag, für Erscheinungen hält, deren Zeit
einmal ablaufen muß, weil es absolut wertvolle Systeme auf politischen: Gebiete
uicht gibt.

Immerhin geht Breysig auf gemäßigteren Bahnen als der unter dem
Namen Daniel Frymann schreibende Autor des Aufsehen erregenden Buches
„Wenn ich der Kaiser wär'" (1912). Und das ist um so bemerkenswerter, als
Breysig bei allem scharfen Blick in die inneren Zusammenhänge menschlichen
Daseins — seine historische Berufsarbeit hat ihn geschärft — doch fast als welt¬
fremder Theoretiker erscheint, wenn man seine Forderungen mit denen Frymcmns
vergleicht, die allem Anschein nach langjähriger politischer Praxis entspringen.
Hier geht einmal der Praktiker weiter als der Theoretiker zu gehen wagt —
wie muß es um unser politisches Leben stehen, wenn die Dinge in der Nähe
gesehen noch soviel mehr nach Verbesserung verlangen als von ferne geahnt.

Daß auch Frymanns innerpolitische Reform von verschiedenen Seiten her
anfechtbar ist, dürste ihm selbst klar gewesen sein. Seine Wahlrechtsreform ist
sogar dem rein mechanistischen Maßstab der Zahl der Untergebenen bei der


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0119" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/322521"/>
          <fw type="header" place="top"> Am Bau der deutschen Zukunft</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_480" prev="#ID_479"> der staatlichen Leitung in einen Neichsrat verlegt, dem alle Bürger von<lb/>
höchster Führerqualität angehören, von dem Adel über die Bürgermeister der<lb/>
Großstädte zu den Größen der Wissenschaft und Kunst und von diesen zu den<lb/>
hervorragendsten in der Volkswirtschaft, in Landbau, Bankwesen, Industrie,<lb/>
Handel, zu den Meistern der Technik und des Kriegswesens, den Vertretern der<lb/>
Schulen aller Grade, der Presse, des Handwerks, des Arbeiterstandes. Gegen¬<lb/>
über den auch in anderen Kreisen besprochenen Gedanken einer Ersetzung des<lb/>
Reichstags durch eine berufsständische Volksvertretung bedeutet Breysigs Vorschlag,<lb/>
der den Reichstag in seiner Stellung beläßt und nur eine Versammlung der<lb/>
wirklich Sachverständigen neben ihn stellt, eine kaum mehr utopisch zu nennende<lb/>
Idee. Die Bedeutung des neuen Reichsrates läge meines Erachtens nicht so<lb/>
sehr in einem staatsrechtlichen Gegengewicht gegen den Reichstag, als in der<lb/>
Wirkung der dort ausgesprochenen, von Rücksichten auf Wählermassen und<lb/>
Parteiinteressen freien Worte auf die öffentliche Meinung und &#x2014; anf den Kaiser.<lb/>
Daran denkt auch Breysig selbst (vgl. Tag vom 17. Juli).</p><lb/>
          <p xml:id="ID_481"> Man wird gegen Breysigs Aufstellungen vielerlei einwenden. &#x201E;Politische<lb/>
Praktiker" haben bereits von der Bedeutungslosigkeit dieses &#x201E;Rates der Besten"<lb/>
geredet, auf den doch niemand hören werde (Post vom 13. Juni). Die<lb/>
Schwierigkeit der Einschätzung der Führer, sowohl durch sich selbst als durch<lb/>
andere, ihre Eigenschaft als fehlerbehaftete, egoistische Menschen wird es schwer<lb/>
gelingen lassen, die richtigen Männer stets an die richtigen Plätze zu stellen.<lb/>
Alle diese Schwächen in Breysigs Entwurf sind Ergebnisse des optimistischen<lb/>
Sinnes, des unerschütterlichen Vertrauens auf die Menschennatur. Und auch,<lb/>
wo man die Vorschläge im einzelnen ablehnt, lassen sie doch klar erkennen, daß<lb/>
man in immer weiteren Kreisen ernster Volksfreunde jetzt die seinerzeit von<lb/>
demokratischen Doktrinären postulierte politische Gleichheit aller Staatsbürger<lb/>
und ihr Ergebnis, den deutschen Reichstag, für Erscheinungen hält, deren Zeit<lb/>
einmal ablaufen muß, weil es absolut wertvolle Systeme auf politischen: Gebiete<lb/>
uicht gibt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_482"> Immerhin geht Breysig auf gemäßigteren Bahnen als der unter dem<lb/>
Namen Daniel Frymann schreibende Autor des Aufsehen erregenden Buches<lb/>
&#x201E;Wenn ich der Kaiser wär'" (1912). Und das ist um so bemerkenswerter, als<lb/>
Breysig bei allem scharfen Blick in die inneren Zusammenhänge menschlichen<lb/>
Daseins &#x2014; seine historische Berufsarbeit hat ihn geschärft &#x2014; doch fast als welt¬<lb/>
fremder Theoretiker erscheint, wenn man seine Forderungen mit denen Frymcmns<lb/>
vergleicht, die allem Anschein nach langjähriger politischer Praxis entspringen.<lb/>
Hier geht einmal der Praktiker weiter als der Theoretiker zu gehen wagt &#x2014;<lb/>
wie muß es um unser politisches Leben stehen, wenn die Dinge in der Nähe<lb/>
gesehen noch soviel mehr nach Verbesserung verlangen als von ferne geahnt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_483" next="#ID_484"> Daß auch Frymanns innerpolitische Reform von verschiedenen Seiten her<lb/>
anfechtbar ist, dürste ihm selbst klar gewesen sein. Seine Wahlrechtsreform ist<lb/>
sogar dem rein mechanistischen Maßstab der Zahl der Untergebenen bei der</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0119] Am Bau der deutschen Zukunft der staatlichen Leitung in einen Neichsrat verlegt, dem alle Bürger von höchster Führerqualität angehören, von dem Adel über die Bürgermeister der Großstädte zu den Größen der Wissenschaft und Kunst und von diesen zu den hervorragendsten in der Volkswirtschaft, in Landbau, Bankwesen, Industrie, Handel, zu den Meistern der Technik und des Kriegswesens, den Vertretern der Schulen aller Grade, der Presse, des Handwerks, des Arbeiterstandes. Gegen¬ über den auch in anderen Kreisen besprochenen Gedanken einer Ersetzung des Reichstags durch eine berufsständische Volksvertretung bedeutet Breysigs Vorschlag, der den Reichstag in seiner Stellung beläßt und nur eine Versammlung der wirklich Sachverständigen neben ihn stellt, eine kaum mehr utopisch zu nennende Idee. Die Bedeutung des neuen Reichsrates läge meines Erachtens nicht so sehr in einem staatsrechtlichen Gegengewicht gegen den Reichstag, als in der Wirkung der dort ausgesprochenen, von Rücksichten auf Wählermassen und Parteiinteressen freien Worte auf die öffentliche Meinung und — anf den Kaiser. Daran denkt auch Breysig selbst (vgl. Tag vom 17. Juli). Man wird gegen Breysigs Aufstellungen vielerlei einwenden. „Politische Praktiker" haben bereits von der Bedeutungslosigkeit dieses „Rates der Besten" geredet, auf den doch niemand hören werde (Post vom 13. Juni). Die Schwierigkeit der Einschätzung der Führer, sowohl durch sich selbst als durch andere, ihre Eigenschaft als fehlerbehaftete, egoistische Menschen wird es schwer gelingen lassen, die richtigen Männer stets an die richtigen Plätze zu stellen. Alle diese Schwächen in Breysigs Entwurf sind Ergebnisse des optimistischen Sinnes, des unerschütterlichen Vertrauens auf die Menschennatur. Und auch, wo man die Vorschläge im einzelnen ablehnt, lassen sie doch klar erkennen, daß man in immer weiteren Kreisen ernster Volksfreunde jetzt die seinerzeit von demokratischen Doktrinären postulierte politische Gleichheit aller Staatsbürger und ihr Ergebnis, den deutschen Reichstag, für Erscheinungen hält, deren Zeit einmal ablaufen muß, weil es absolut wertvolle Systeme auf politischen: Gebiete uicht gibt. Immerhin geht Breysig auf gemäßigteren Bahnen als der unter dem Namen Daniel Frymann schreibende Autor des Aufsehen erregenden Buches „Wenn ich der Kaiser wär'" (1912). Und das ist um so bemerkenswerter, als Breysig bei allem scharfen Blick in die inneren Zusammenhänge menschlichen Daseins — seine historische Berufsarbeit hat ihn geschärft — doch fast als welt¬ fremder Theoretiker erscheint, wenn man seine Forderungen mit denen Frymcmns vergleicht, die allem Anschein nach langjähriger politischer Praxis entspringen. Hier geht einmal der Praktiker weiter als der Theoretiker zu gehen wagt — wie muß es um unser politisches Leben stehen, wenn die Dinge in der Nähe gesehen noch soviel mehr nach Verbesserung verlangen als von ferne geahnt. Daß auch Frymanns innerpolitische Reform von verschiedenen Seiten her anfechtbar ist, dürste ihm selbst klar gewesen sein. Seine Wahlrechtsreform ist sogar dem rein mechanistischen Maßstab der Zahl der Untergebenen bei der

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/119
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/119>, abgerufen am 15.01.2025.