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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Reichsspiegel
Bank, Geld und Wirtschaft

Börsenderoute und Balkmikrisis -- Die Ursachen des Zusammenbruchs -- Die Welt¬
konjunktur -- Die Gefahr Polnischer Störungen -- Die finanzielle Kriegsbereitschaft
Deutschlands -- Die Reichsbank -- Der Münchener Bankiertag -- Gewerkschaftliche
Bewegung unter den Bankbeamten

Die Mobilmachung auf dem Balkan hat auf die Börse wie ein
Donnerschlag gewirkt. Nicht anders wie vor Jahresfrist anläßlich des Marokko¬
konfliktes durchfuhr ein lähmender Kriegs schrecken die Mächte, welche sich gerade
jetzt angesichts der glänzenden Wirlschaftskonjunktur und der verminderten Geld-
svrgen einer besonders ausgeprägten Sorglosigkeit Hingaben. Auf politische
Überraschungen war man ganz und gar nicht gefaßt. Im Gegenteil, der Friede
in Tripolis schien nur noch eine Frage von Wochen, wenn nicht von Tagen,
und den inneren Schwierigkeiten der Türkei, den Aufständen und der Unruhe
der Balkanvölker legte man nicht das mindeste Gewicht bei. Die ständige
Gewohnheit ließ die täglichen Nachrichten hierüber schließlich uninteressant er¬
scheinen. Von dem Friedensschluß mit Italien erwartete man auch eine
Beschwichtigung dieser Unruhen, die nur eine interne Angelegenheit der Türkei
zu sein schienen und keineswegs in das Gebiet der hohen Politik überzugreifen
drohten. Seit die Börse die wichtige Frage des deutsch-englischen Einver¬
nehmens nicht mehr als eine Quelle möglicher Sorgen glaubte betrachten zu
müssen, schenkte sie tatsächlich der Politik keine Beachtung mehr. Nur die Ge¬
staltung der Geldverhältnisse gab ihr Anlaß zu einer gewissen Beunruhigung
und nachdem auch diese Furcht von ihr genommen, lag die Bahn frei. In
Wirklichkeit aber war die Situation insofern nicht unbedenklich, als die Speku¬
lation unter dem Einfluß der günstigen Konstellation einen mächtigen Anreiz
erhalten und infolgedessen die Kurse auf eine Höhe getrieben hatte, die schon
an sich Bedenken erregen mußte. Je mehr sich in den Betriebsausweisen und
den bekanntwerdenden wirtschaftsstatistischen Daten der starke Ausschwung des
Wirtschaftslebens ausprägte, um so stürmischer gestaltete sich das Treiben am




Reichsspiegel
Bank, Geld und Wirtschaft

Börsenderoute und Balkmikrisis — Die Ursachen des Zusammenbruchs — Die Welt¬
konjunktur — Die Gefahr Polnischer Störungen — Die finanzielle Kriegsbereitschaft
Deutschlands — Die Reichsbank — Der Münchener Bankiertag — Gewerkschaftliche
Bewegung unter den Bankbeamten

Die Mobilmachung auf dem Balkan hat auf die Börse wie ein
Donnerschlag gewirkt. Nicht anders wie vor Jahresfrist anläßlich des Marokko¬
konfliktes durchfuhr ein lähmender Kriegs schrecken die Mächte, welche sich gerade
jetzt angesichts der glänzenden Wirlschaftskonjunktur und der verminderten Geld-
svrgen einer besonders ausgeprägten Sorglosigkeit Hingaben. Auf politische
Überraschungen war man ganz und gar nicht gefaßt. Im Gegenteil, der Friede
in Tripolis schien nur noch eine Frage von Wochen, wenn nicht von Tagen,
und den inneren Schwierigkeiten der Türkei, den Aufständen und der Unruhe
der Balkanvölker legte man nicht das mindeste Gewicht bei. Die ständige
Gewohnheit ließ die täglichen Nachrichten hierüber schließlich uninteressant er¬
scheinen. Von dem Friedensschluß mit Italien erwartete man auch eine
Beschwichtigung dieser Unruhen, die nur eine interne Angelegenheit der Türkei
zu sein schienen und keineswegs in das Gebiet der hohen Politik überzugreifen
drohten. Seit die Börse die wichtige Frage des deutsch-englischen Einver¬
nehmens nicht mehr als eine Quelle möglicher Sorgen glaubte betrachten zu
müssen, schenkte sie tatsächlich der Politik keine Beachtung mehr. Nur die Ge¬
staltung der Geldverhältnisse gab ihr Anlaß zu einer gewissen Beunruhigung
und nachdem auch diese Furcht von ihr genommen, lag die Bahn frei. In
Wirklichkeit aber war die Situation insofern nicht unbedenklich, als die Speku¬
lation unter dem Einfluß der günstigen Konstellation einen mächtigen Anreiz
erhalten und infolgedessen die Kurse auf eine Höhe getrieben hatte, die schon
an sich Bedenken erregen mußte. Je mehr sich in den Betriebsausweisen und
den bekanntwerdenden wirtschaftsstatistischen Daten der starke Ausschwung des
Wirtschaftslebens ausprägte, um so stürmischer gestaltete sich das Treiben am


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[0106] [Abbildung] Reichsspiegel Bank, Geld und Wirtschaft Börsenderoute und Balkmikrisis — Die Ursachen des Zusammenbruchs — Die Welt¬ konjunktur — Die Gefahr Polnischer Störungen — Die finanzielle Kriegsbereitschaft Deutschlands — Die Reichsbank — Der Münchener Bankiertag — Gewerkschaftliche Bewegung unter den Bankbeamten Die Mobilmachung auf dem Balkan hat auf die Börse wie ein Donnerschlag gewirkt. Nicht anders wie vor Jahresfrist anläßlich des Marokko¬ konfliktes durchfuhr ein lähmender Kriegs schrecken die Mächte, welche sich gerade jetzt angesichts der glänzenden Wirlschaftskonjunktur und der verminderten Geld- svrgen einer besonders ausgeprägten Sorglosigkeit Hingaben. Auf politische Überraschungen war man ganz und gar nicht gefaßt. Im Gegenteil, der Friede in Tripolis schien nur noch eine Frage von Wochen, wenn nicht von Tagen, und den inneren Schwierigkeiten der Türkei, den Aufständen und der Unruhe der Balkanvölker legte man nicht das mindeste Gewicht bei. Die ständige Gewohnheit ließ die täglichen Nachrichten hierüber schließlich uninteressant er¬ scheinen. Von dem Friedensschluß mit Italien erwartete man auch eine Beschwichtigung dieser Unruhen, die nur eine interne Angelegenheit der Türkei zu sein schienen und keineswegs in das Gebiet der hohen Politik überzugreifen drohten. Seit die Börse die wichtige Frage des deutsch-englischen Einver¬ nehmens nicht mehr als eine Quelle möglicher Sorgen glaubte betrachten zu müssen, schenkte sie tatsächlich der Politik keine Beachtung mehr. Nur die Ge¬ staltung der Geldverhältnisse gab ihr Anlaß zu einer gewissen Beunruhigung und nachdem auch diese Furcht von ihr genommen, lag die Bahn frei. In Wirklichkeit aber war die Situation insofern nicht unbedenklich, als die Speku¬ lation unter dem Einfluß der günstigen Konstellation einen mächtigen Anreiz erhalten und infolgedessen die Kurse auf eine Höhe getrieben hatte, die schon an sich Bedenken erregen mußte. Je mehr sich in den Betriebsausweisen und den bekanntwerdenden wirtschaftsstatistischen Daten der starke Ausschwung des Wirtschaftslebens ausprägte, um so stürmischer gestaltete sich das Treiben am

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/106>, abgerufen am 15.01.2025.