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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Max Dreyer

In dem Lustspiel "In Behandlung", das auf dem Hintergrund der Frauen¬
frage spielt, hat sich Max Dreyer seine Aufgabe noch gar zu leicht gemacht;
trotzdem meldet sich schon hier sein kräftiger und liebenswürdiger Humor stark
zum Wort. In dem historischen Schwank "Eine" wird mit großem Aufwand
und schwerem historischen Geschütz aus der Wiedertäuferzeit, das dem Stück
das innere Gleichmaß kostet, die Idee der Vielweiberei, die in gewissem Sinne
ja modern ist, durch die Nöte eines "Einzelnen" in sehr drastischer, aber
drolliger Weise widerlegt. Aus mancher Grobheit, mancher gequälten Dürre,
leuchten herzlich warme Töne hervor, viel ursprüngliche Fröhlichkeit und Schelmerei.
Hier schon finden wir die große Gabe Max Dreyers mit scharfen, humoristischen
Lichtern die menschliche Schwäche zu zeichnen, mit fröhlicher Kühnheit die heikelsten
Fragen zu behandeln, vor allem aber Dinge, die an die Tiefen rühren, in derber,
offener Munterkeit, ohne Entblößung ans Licht zu ziehen. Ja vielleicht ist in diesen
munteren Spielen mehr eigene Sehnsucht des Dichters eingeschlossen als er selber
wahr haben will. Und eine Absage gegen alles Bohemehafte liegt darin. -- Mit
Satire und fröhlicher, gütiger Ironie zieht Dreyer über den Kultus des Per¬
sönlichen her in seinem Junggesellenschwank "Großmama". Als Lustspiel nicht
auf großer Höhe, ist es doch eine geradezu köstliche Studie eines alternden
"Junggesellen aus Prinzip", mit vielen kleinen urechten Zügen ausgestattet,
mit tausend reizenden komischen Einfällen geschmückt. -- Allem Unwahren, aller
Kriecherei und der verhaßten Prüderie hat Max Dreyer in seinen Komödien
den Krieg erklärt. Gesundes sinnenfreudiges Triebleben aber kommt zu seinem
vollen Recht. Herzliche Wärme mit fröhlichem, urwüchsigen Humor vermählt,
kecke, derbe und doch anmutige Laune, haben die köstlichsten Werke voll
Witz, Behagen und Innigkeit geschaffen! -- In seinem arg verketzerten "Tal
des Lebens", in dem mancher nur Lüsternheit zu wittern vermag, hat er ver¬
logener Prüderie die urgesunde Natürlichkeit gesunder Liebe mit kecker Laune
gegenübergestellt. In Max Dreyers Seele wohnt die Reinheit und nnr ein
gänzlich Reiner konnte furchtlos bis an die Grenzen des "Erlaubten" gehen.
-- Dem gleichen Schicksal arger Mißdeutung verfallen ist auch die "Hochzeits¬
fackel", die übrigens an dem Dreyerschen Urübel der Unausgeglichenheit leidet.
"Hochzeit ist Heimlichkeit"; wider die Versündigung gegen dieses keusche
Gefühl, wider die Schamlosigkeit, mit der die heimlichsten und stillsten Empfin¬
dungen zweier Menschen, die das Leben zusammengibt, ans Licht gezerrt und
begafft werden, wendet sich hier des Dichters ehrlicher Zorn in fröhlichem Ge¬
wände. -- In all seinen Komödien und Schwänken ist er im tiefsten Grunde
ernst. Doch da er nicht gestehen mag, wie ernst und ehrfürchtig er über die
Dinge denkt, greift er zur Maske und wird oft am tollsten, wo er am tiefsten
aus der Seele spricht. Gerade damit zeigt Dreyer, daß er ein Dichter von
Geblüt ist, und er widerlegt zugleich sein eigenes Bedenken, daß Dichtung
Entblößung sei. Wer ahnt -- im "Lächelnden Knaben", dem fremden Findlings-
kind, Dreyers heimliche, von ihm selbst gewiß nicht zugestandene Vatersehnsucht?


Max Dreyer

In dem Lustspiel „In Behandlung", das auf dem Hintergrund der Frauen¬
frage spielt, hat sich Max Dreyer seine Aufgabe noch gar zu leicht gemacht;
trotzdem meldet sich schon hier sein kräftiger und liebenswürdiger Humor stark
zum Wort. In dem historischen Schwank „Eine" wird mit großem Aufwand
und schwerem historischen Geschütz aus der Wiedertäuferzeit, das dem Stück
das innere Gleichmaß kostet, die Idee der Vielweiberei, die in gewissem Sinne
ja modern ist, durch die Nöte eines „Einzelnen" in sehr drastischer, aber
drolliger Weise widerlegt. Aus mancher Grobheit, mancher gequälten Dürre,
leuchten herzlich warme Töne hervor, viel ursprüngliche Fröhlichkeit und Schelmerei.
Hier schon finden wir die große Gabe Max Dreyers mit scharfen, humoristischen
Lichtern die menschliche Schwäche zu zeichnen, mit fröhlicher Kühnheit die heikelsten
Fragen zu behandeln, vor allem aber Dinge, die an die Tiefen rühren, in derber,
offener Munterkeit, ohne Entblößung ans Licht zu ziehen. Ja vielleicht ist in diesen
munteren Spielen mehr eigene Sehnsucht des Dichters eingeschlossen als er selber
wahr haben will. Und eine Absage gegen alles Bohemehafte liegt darin. — Mit
Satire und fröhlicher, gütiger Ironie zieht Dreyer über den Kultus des Per¬
sönlichen her in seinem Junggesellenschwank „Großmama". Als Lustspiel nicht
auf großer Höhe, ist es doch eine geradezu köstliche Studie eines alternden
„Junggesellen aus Prinzip", mit vielen kleinen urechten Zügen ausgestattet,
mit tausend reizenden komischen Einfällen geschmückt. — Allem Unwahren, aller
Kriecherei und der verhaßten Prüderie hat Max Dreyer in seinen Komödien
den Krieg erklärt. Gesundes sinnenfreudiges Triebleben aber kommt zu seinem
vollen Recht. Herzliche Wärme mit fröhlichem, urwüchsigen Humor vermählt,
kecke, derbe und doch anmutige Laune, haben die köstlichsten Werke voll
Witz, Behagen und Innigkeit geschaffen! — In seinem arg verketzerten „Tal
des Lebens", in dem mancher nur Lüsternheit zu wittern vermag, hat er ver¬
logener Prüderie die urgesunde Natürlichkeit gesunder Liebe mit kecker Laune
gegenübergestellt. In Max Dreyers Seele wohnt die Reinheit und nnr ein
gänzlich Reiner konnte furchtlos bis an die Grenzen des „Erlaubten" gehen.
— Dem gleichen Schicksal arger Mißdeutung verfallen ist auch die „Hochzeits¬
fackel", die übrigens an dem Dreyerschen Urübel der Unausgeglichenheit leidet.
„Hochzeit ist Heimlichkeit"; wider die Versündigung gegen dieses keusche
Gefühl, wider die Schamlosigkeit, mit der die heimlichsten und stillsten Empfin¬
dungen zweier Menschen, die das Leben zusammengibt, ans Licht gezerrt und
begafft werden, wendet sich hier des Dichters ehrlicher Zorn in fröhlichem Ge¬
wände. — In all seinen Komödien und Schwänken ist er im tiefsten Grunde
ernst. Doch da er nicht gestehen mag, wie ernst und ehrfürchtig er über die
Dinge denkt, greift er zur Maske und wird oft am tollsten, wo er am tiefsten
aus der Seele spricht. Gerade damit zeigt Dreyer, daß er ein Dichter von
Geblüt ist, und er widerlegt zugleich sein eigenes Bedenken, daß Dichtung
Entblößung sei. Wer ahnt — im „Lächelnden Knaben", dem fremden Findlings-
kind, Dreyers heimliche, von ihm selbst gewiß nicht zugestandene Vatersehnsucht?


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/100>, abgerufen am 15.01.2025.