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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Die Blumen des Florentin Kiep

keiner von beiden faßte zu, so glitten sie auseinander, und es war kaum ein
Gruß gewesen.

Wieschen ging mit dem Geranium auf der Hand und am Herzen still,
aber mit sicheren Schritten in das Haus zurück und auf die kleine eigene
Kammer.

Jelde war dem Mädchen nachgegangen, weil Wieschen aber die Tür hinter
sich geschlossen hatte und sie ein Wort von ihr erlauschen wollte, legte sie das
Ohr an die Türspalte.

Wieschen stellte die Blume in das Fenster und fing an sich für die Nacht
auszukleiden. Wie sie die Kleider und Kleidungsstücke in einzelner Ordnung
wegtrug und in ihrer sauberen Kammer hin und wieder ging, empfand sie das
eklige Kleben des Knschbaumsaftes an ihren Fingern, und sie rieb und reinigte
die Hand in ihrem Waschbecken. Ihr war bei aller Klarheit und Festigkeit des
Willens wunderlich wirr im Kopf, sie legte die nasse Hand an die Stirn und
stand, als bedenke sie sich auf etwas zurück. Dann sagte sie leise in die Stube
hinein, aber so, daß einer, der draußen lauschend stand, es hören konnte:
"Regime Sträter --"




"Jelde," sagte Wieschen scherzend, aber mit schmerzlichem Lächeln zu ihrer
Meisterin, "ich habe eine feste Naht mit der Hand nähen wollen, doch der
Faden ist mir aus dem Nadelöhr geglitten."

Sie saßen Sonntags früh über der neuen Modezeitung und blätterten darin.
"Weißt du noch," erzählte Wieschen der erstaunt Aufhorchenden weiter, "wie
ich zu dir in die Lehre kam, habe ich einmal mit der großen Schneiderscheere
ein Stück Zeug verschnitten und es heimlich weggebracht. Es ist aus Angst
vor dir gewesen. Aber es hat mich bedrückt, und ich habe es dir noch gezeigt
am selben Tag. Du hast mich dann gar nicht gescholten, Jettchen. Sieh, seit¬
dem kann ich dir nichts verhalten, was ich sonst heimlich trage. Und der Florin
und ich, wir heiraten uns nicht."

Jelde hatte den Finger angeleckt, um eine Seite in dem Modeblatt umzu¬
schlagen, aber sie ließ ihn trocken werden, ohne sich zu regen und vergaß auch
den Mund zu schließen.

Wieschen lachte zu ihrem verblüfften Aussehen. "Komm, sei gescheit! Da
ist nicht viel mehr zu hören, weil wenig zu sagen ist. Denn hättest du mich
damals gefragt: Warum hast du das Zeug verschnitten? -- und fragtest du
mich jetzt: Warum seid ihr entzwei miteinander? -- ich hätte dir sagen müssen
und müßte dir auch nun sagen: Das kam wie es kam! Ich kannte mich nicht
aus, in dem einen und in dem anderen nicht. So, und nun frag nicht weiter,
wie du damals auch nicht gefragt hast."

Wieschen tat sich für den Kirchgang an und trat fertig in die Küchenstube.
Der Raum war schlicht mit seinen wenigen notwendigen Möbeln und freundlich


Die Blumen des Florentin Kiep

keiner von beiden faßte zu, so glitten sie auseinander, und es war kaum ein
Gruß gewesen.

Wieschen ging mit dem Geranium auf der Hand und am Herzen still,
aber mit sicheren Schritten in das Haus zurück und auf die kleine eigene
Kammer.

Jelde war dem Mädchen nachgegangen, weil Wieschen aber die Tür hinter
sich geschlossen hatte und sie ein Wort von ihr erlauschen wollte, legte sie das
Ohr an die Türspalte.

Wieschen stellte die Blume in das Fenster und fing an sich für die Nacht
auszukleiden. Wie sie die Kleider und Kleidungsstücke in einzelner Ordnung
wegtrug und in ihrer sauberen Kammer hin und wieder ging, empfand sie das
eklige Kleben des Knschbaumsaftes an ihren Fingern, und sie rieb und reinigte
die Hand in ihrem Waschbecken. Ihr war bei aller Klarheit und Festigkeit des
Willens wunderlich wirr im Kopf, sie legte die nasse Hand an die Stirn und
stand, als bedenke sie sich auf etwas zurück. Dann sagte sie leise in die Stube
hinein, aber so, daß einer, der draußen lauschend stand, es hören konnte:
„Regime Sträter —"




„Jelde," sagte Wieschen scherzend, aber mit schmerzlichem Lächeln zu ihrer
Meisterin, „ich habe eine feste Naht mit der Hand nähen wollen, doch der
Faden ist mir aus dem Nadelöhr geglitten."

Sie saßen Sonntags früh über der neuen Modezeitung und blätterten darin.
„Weißt du noch," erzählte Wieschen der erstaunt Aufhorchenden weiter, „wie
ich zu dir in die Lehre kam, habe ich einmal mit der großen Schneiderscheere
ein Stück Zeug verschnitten und es heimlich weggebracht. Es ist aus Angst
vor dir gewesen. Aber es hat mich bedrückt, und ich habe es dir noch gezeigt
am selben Tag. Du hast mich dann gar nicht gescholten, Jettchen. Sieh, seit¬
dem kann ich dir nichts verhalten, was ich sonst heimlich trage. Und der Florin
und ich, wir heiraten uns nicht."

Jelde hatte den Finger angeleckt, um eine Seite in dem Modeblatt umzu¬
schlagen, aber sie ließ ihn trocken werden, ohne sich zu regen und vergaß auch
den Mund zu schließen.

Wieschen lachte zu ihrem verblüfften Aussehen. „Komm, sei gescheit! Da
ist nicht viel mehr zu hören, weil wenig zu sagen ist. Denn hättest du mich
damals gefragt: Warum hast du das Zeug verschnitten? — und fragtest du
mich jetzt: Warum seid ihr entzwei miteinander? — ich hätte dir sagen müssen
und müßte dir auch nun sagen: Das kam wie es kam! Ich kannte mich nicht
aus, in dem einen und in dem anderen nicht. So, und nun frag nicht weiter,
wie du damals auch nicht gefragt hast."

Wieschen tat sich für den Kirchgang an und trat fertig in die Küchenstube.
Der Raum war schlicht mit seinen wenigen notwendigen Möbeln und freundlich


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[0097] Die Blumen des Florentin Kiep keiner von beiden faßte zu, so glitten sie auseinander, und es war kaum ein Gruß gewesen. Wieschen ging mit dem Geranium auf der Hand und am Herzen still, aber mit sicheren Schritten in das Haus zurück und auf die kleine eigene Kammer. Jelde war dem Mädchen nachgegangen, weil Wieschen aber die Tür hinter sich geschlossen hatte und sie ein Wort von ihr erlauschen wollte, legte sie das Ohr an die Türspalte. Wieschen stellte die Blume in das Fenster und fing an sich für die Nacht auszukleiden. Wie sie die Kleider und Kleidungsstücke in einzelner Ordnung wegtrug und in ihrer sauberen Kammer hin und wieder ging, empfand sie das eklige Kleben des Knschbaumsaftes an ihren Fingern, und sie rieb und reinigte die Hand in ihrem Waschbecken. Ihr war bei aller Klarheit und Festigkeit des Willens wunderlich wirr im Kopf, sie legte die nasse Hand an die Stirn und stand, als bedenke sie sich auf etwas zurück. Dann sagte sie leise in die Stube hinein, aber so, daß einer, der draußen lauschend stand, es hören konnte: „Regime Sträter —" „Jelde," sagte Wieschen scherzend, aber mit schmerzlichem Lächeln zu ihrer Meisterin, „ich habe eine feste Naht mit der Hand nähen wollen, doch der Faden ist mir aus dem Nadelöhr geglitten." Sie saßen Sonntags früh über der neuen Modezeitung und blätterten darin. „Weißt du noch," erzählte Wieschen der erstaunt Aufhorchenden weiter, „wie ich zu dir in die Lehre kam, habe ich einmal mit der großen Schneiderscheere ein Stück Zeug verschnitten und es heimlich weggebracht. Es ist aus Angst vor dir gewesen. Aber es hat mich bedrückt, und ich habe es dir noch gezeigt am selben Tag. Du hast mich dann gar nicht gescholten, Jettchen. Sieh, seit¬ dem kann ich dir nichts verhalten, was ich sonst heimlich trage. Und der Florin und ich, wir heiraten uns nicht." Jelde hatte den Finger angeleckt, um eine Seite in dem Modeblatt umzu¬ schlagen, aber sie ließ ihn trocken werden, ohne sich zu regen und vergaß auch den Mund zu schließen. Wieschen lachte zu ihrem verblüfften Aussehen. „Komm, sei gescheit! Da ist nicht viel mehr zu hören, weil wenig zu sagen ist. Denn hättest du mich damals gefragt: Warum hast du das Zeug verschnitten? — und fragtest du mich jetzt: Warum seid ihr entzwei miteinander? — ich hätte dir sagen müssen und müßte dir auch nun sagen: Das kam wie es kam! Ich kannte mich nicht aus, in dem einen und in dem anderen nicht. So, und nun frag nicht weiter, wie du damals auch nicht gefragt hast." Wieschen tat sich für den Kirchgang an und trat fertig in die Küchenstube. Der Raum war schlicht mit seinen wenigen notwendigen Möbeln und freundlich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/97>, abgerufen am 03.07.2024.