Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Blumen des Florentin Kiep

Dem Florentin war heiß, und alle seine Hast zeigte, wie anders ihm das
ruhige Blut in der Erregung ging. Er legte die Kränze in den Rasen, weil
es ihn zu dem Mädchen trieb; sein Mund war offen, als hielten die vollen
roten Lippen das Küssen nicht mehr lange auf. Seine Augen waren zu weiten
und heißen Blicken geöffnet, alles stille in ihm war in dieser Stunde lebendig
geworden, nur sein Mund war immer so gewesen, als hätte er damit in sich
hineingelacht und gewartet und gewußt, daß das Herz mit dem Munde gleiche
Sprache fand. Er wollte die Hand des Mädchens ergreifen, um es, wie er
auch Woche um Woche mit seinem Wort gezögert hatte, jetzt in einem einzigen
Augenblick mit Leib und Leben an sich zu reißen. Wie lauter Tollsein und
Verzaubertsein war es in seinem Blut.

Wieschen kam aber von daher, wo der reine hohe Feiertag war und
hatte eine stierende Angst vor dem Heißen und Wilden. Wie teuflisch aus¬
gelassen, noch mit Flammen und Funken, lag es ihm im Blick. Sie zog die
Hand vor seiner zurück, rieb die Finger, an denen noch das Harz klebte, in
einem grünen Kraute ab und machte ein Gesicht, als ekele sie der Schmutz.
"Regime Sträter" -- sagte sie plötzlich.

Sie fuhren auseinander, weil ihnen beiden war, als trete jemand zwischen
sie. Wieschen besann sich erst, als sie das Gesicht des Florentin sich verändern
sah, alles Wilde war verloren vor dein Staunen, wie es ihm die Augen fremd
und allen Ausdruck dumm machte, er stand wie einer, dem eine Sünde vor¬
geworfen ist, von welcher er den Namen nicht einmal kennt.

"Florin," sagte Wieschen versöhnlich, "ich habe dir nichts anhängen wollen.
Ich habe nur nachgesagt, was Jelde --"

Er unterbrach sie mit einem leisen klangvollen Auflachen. "Sie muß einen
immer alle paar Tage in die Waden beißen," sagte er. "Was meint sie?
Ich kümmere mich um die Regime?"

Wieschen schob zag ihre Hand in seine, aber er hielt sie ohne zuzufassen.
"Sie ist mir nach, die Regime," sagte er dann, errötete wie ein Knabe, welcher
zu einem Mädchen von Liebe spricht, welches älter und reifer ist als er.

Er lachte noch mal. Die Hand des Wieschen lag noch in seiner, er
wollte sie wärmer fassen, da fiel sein Blick auf ihre mageren Finger. "Es ist
wahr, eine Frische ist sie, die Regime," meinte er da. "Und recht eine für
Burschen. Darum soll ihr auch keiner nachfragen, woher sie kommt, der sie
gern hat und nehmen will!"

Er schaute rin einem weichen schwärmerischen Träumen über die Hecken
hinaus. Da zog Wieschen ihre Hand scheu aus der seinen. Sie hatte sich
auf die Bank niedergesetzt und starrte nur auf das Harz an den klebenden
Fingern, nickte mit dem Kopfe und sagte mit leiser singender Stimme, noch
feiner im Ton, als eine einzelne kleine Mücke zu singen vermochte: "RegineSträter."

Nicht die Stimme, aber der Name, den sie nannte, weckte den Florentin.
Er war wie aufgerüttelt und neu erhitzt, und seine Worte überstürzten sich in


Die Blumen des Florentin Kiep

Dem Florentin war heiß, und alle seine Hast zeigte, wie anders ihm das
ruhige Blut in der Erregung ging. Er legte die Kränze in den Rasen, weil
es ihn zu dem Mädchen trieb; sein Mund war offen, als hielten die vollen
roten Lippen das Küssen nicht mehr lange auf. Seine Augen waren zu weiten
und heißen Blicken geöffnet, alles stille in ihm war in dieser Stunde lebendig
geworden, nur sein Mund war immer so gewesen, als hätte er damit in sich
hineingelacht und gewartet und gewußt, daß das Herz mit dem Munde gleiche
Sprache fand. Er wollte die Hand des Mädchens ergreifen, um es, wie er
auch Woche um Woche mit seinem Wort gezögert hatte, jetzt in einem einzigen
Augenblick mit Leib und Leben an sich zu reißen. Wie lauter Tollsein und
Verzaubertsein war es in seinem Blut.

Wieschen kam aber von daher, wo der reine hohe Feiertag war und
hatte eine stierende Angst vor dem Heißen und Wilden. Wie teuflisch aus¬
gelassen, noch mit Flammen und Funken, lag es ihm im Blick. Sie zog die
Hand vor seiner zurück, rieb die Finger, an denen noch das Harz klebte, in
einem grünen Kraute ab und machte ein Gesicht, als ekele sie der Schmutz.
„Regime Sträter" — sagte sie plötzlich.

Sie fuhren auseinander, weil ihnen beiden war, als trete jemand zwischen
sie. Wieschen besann sich erst, als sie das Gesicht des Florentin sich verändern
sah, alles Wilde war verloren vor dein Staunen, wie es ihm die Augen fremd
und allen Ausdruck dumm machte, er stand wie einer, dem eine Sünde vor¬
geworfen ist, von welcher er den Namen nicht einmal kennt.

„Florin," sagte Wieschen versöhnlich, „ich habe dir nichts anhängen wollen.
Ich habe nur nachgesagt, was Jelde —"

Er unterbrach sie mit einem leisen klangvollen Auflachen. „Sie muß einen
immer alle paar Tage in die Waden beißen," sagte er. „Was meint sie?
Ich kümmere mich um die Regime?"

Wieschen schob zag ihre Hand in seine, aber er hielt sie ohne zuzufassen.
„Sie ist mir nach, die Regime," sagte er dann, errötete wie ein Knabe, welcher
zu einem Mädchen von Liebe spricht, welches älter und reifer ist als er.

Er lachte noch mal. Die Hand des Wieschen lag noch in seiner, er
wollte sie wärmer fassen, da fiel sein Blick auf ihre mageren Finger. „Es ist
wahr, eine Frische ist sie, die Regime," meinte er da. „Und recht eine für
Burschen. Darum soll ihr auch keiner nachfragen, woher sie kommt, der sie
gern hat und nehmen will!"

Er schaute rin einem weichen schwärmerischen Träumen über die Hecken
hinaus. Da zog Wieschen ihre Hand scheu aus der seinen. Sie hatte sich
auf die Bank niedergesetzt und starrte nur auf das Harz an den klebenden
Fingern, nickte mit dem Kopfe und sagte mit leiser singender Stimme, noch
feiner im Ton, als eine einzelne kleine Mücke zu singen vermochte: „RegineSträter."

Nicht die Stimme, aber der Name, den sie nannte, weckte den Florentin.
Er war wie aufgerüttelt und neu erhitzt, und seine Worte überstürzten sich in


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0094" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/321841"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Blumen des Florentin Kiep</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_311"> Dem Florentin war heiß, und alle seine Hast zeigte, wie anders ihm das<lb/>
ruhige Blut in der Erregung ging. Er legte die Kränze in den Rasen, weil<lb/>
es ihn zu dem Mädchen trieb; sein Mund war offen, als hielten die vollen<lb/>
roten Lippen das Küssen nicht mehr lange auf. Seine Augen waren zu weiten<lb/>
und heißen Blicken geöffnet, alles stille in ihm war in dieser Stunde lebendig<lb/>
geworden, nur sein Mund war immer so gewesen, als hätte er damit in sich<lb/>
hineingelacht und gewartet und gewußt, daß das Herz mit dem Munde gleiche<lb/>
Sprache fand. Er wollte die Hand des Mädchens ergreifen, um es, wie er<lb/>
auch Woche um Woche mit seinem Wort gezögert hatte, jetzt in einem einzigen<lb/>
Augenblick mit Leib und Leben an sich zu reißen. Wie lauter Tollsein und<lb/>
Verzaubertsein war es in seinem Blut.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_312"> Wieschen kam aber von daher, wo der reine hohe Feiertag war und<lb/>
hatte eine stierende Angst vor dem Heißen und Wilden. Wie teuflisch aus¬<lb/>
gelassen, noch mit Flammen und Funken, lag es ihm im Blick. Sie zog die<lb/>
Hand vor seiner zurück, rieb die Finger, an denen noch das Harz klebte, in<lb/>
einem grünen Kraute ab und machte ein Gesicht, als ekele sie der Schmutz.<lb/>
&#x201E;Regime Sträter" &#x2014; sagte sie plötzlich.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_313"> Sie fuhren auseinander, weil ihnen beiden war, als trete jemand zwischen<lb/>
sie. Wieschen besann sich erst, als sie das Gesicht des Florentin sich verändern<lb/>
sah, alles Wilde war verloren vor dein Staunen, wie es ihm die Augen fremd<lb/>
und allen Ausdruck dumm machte, er stand wie einer, dem eine Sünde vor¬<lb/>
geworfen ist, von welcher er den Namen nicht einmal kennt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_314"> &#x201E;Florin," sagte Wieschen versöhnlich, &#x201E;ich habe dir nichts anhängen wollen.<lb/>
Ich habe nur nachgesagt, was Jelde &#x2014;"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_315"> Er unterbrach sie mit einem leisen klangvollen Auflachen. &#x201E;Sie muß einen<lb/>
immer alle paar Tage in die Waden beißen," sagte er. &#x201E;Was meint sie?<lb/>
Ich kümmere mich um die Regime?"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_316"> Wieschen schob zag ihre Hand in seine, aber er hielt sie ohne zuzufassen.<lb/>
&#x201E;Sie ist mir nach, die Regime," sagte er dann, errötete wie ein Knabe, welcher<lb/>
zu einem Mädchen von Liebe spricht, welches älter und reifer ist als er.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_317"> Er lachte noch mal. Die Hand des Wieschen lag noch in seiner, er<lb/>
wollte sie wärmer fassen, da fiel sein Blick auf ihre mageren Finger. &#x201E;Es ist<lb/>
wahr, eine Frische ist sie, die Regime," meinte er da. &#x201E;Und recht eine für<lb/>
Burschen. Darum soll ihr auch keiner nachfragen, woher sie kommt, der sie<lb/>
gern hat und nehmen will!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_318"> Er schaute rin einem weichen schwärmerischen Träumen über die Hecken<lb/>
hinaus. Da zog Wieschen ihre Hand scheu aus der seinen. Sie hatte sich<lb/>
auf die Bank niedergesetzt und starrte nur auf das Harz an den klebenden<lb/>
Fingern, nickte mit dem Kopfe und sagte mit leiser singender Stimme, noch<lb/>
feiner im Ton, als eine einzelne kleine Mücke zu singen vermochte: &#x201E;RegineSträter."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_319" next="#ID_320"> Nicht die Stimme, aber der Name, den sie nannte, weckte den Florentin.<lb/>
Er war wie aufgerüttelt und neu erhitzt, und seine Worte überstürzten sich in</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0094] Die Blumen des Florentin Kiep Dem Florentin war heiß, und alle seine Hast zeigte, wie anders ihm das ruhige Blut in der Erregung ging. Er legte die Kränze in den Rasen, weil es ihn zu dem Mädchen trieb; sein Mund war offen, als hielten die vollen roten Lippen das Küssen nicht mehr lange auf. Seine Augen waren zu weiten und heißen Blicken geöffnet, alles stille in ihm war in dieser Stunde lebendig geworden, nur sein Mund war immer so gewesen, als hätte er damit in sich hineingelacht und gewartet und gewußt, daß das Herz mit dem Munde gleiche Sprache fand. Er wollte die Hand des Mädchens ergreifen, um es, wie er auch Woche um Woche mit seinem Wort gezögert hatte, jetzt in einem einzigen Augenblick mit Leib und Leben an sich zu reißen. Wie lauter Tollsein und Verzaubertsein war es in seinem Blut. Wieschen kam aber von daher, wo der reine hohe Feiertag war und hatte eine stierende Angst vor dem Heißen und Wilden. Wie teuflisch aus¬ gelassen, noch mit Flammen und Funken, lag es ihm im Blick. Sie zog die Hand vor seiner zurück, rieb die Finger, an denen noch das Harz klebte, in einem grünen Kraute ab und machte ein Gesicht, als ekele sie der Schmutz. „Regime Sträter" — sagte sie plötzlich. Sie fuhren auseinander, weil ihnen beiden war, als trete jemand zwischen sie. Wieschen besann sich erst, als sie das Gesicht des Florentin sich verändern sah, alles Wilde war verloren vor dein Staunen, wie es ihm die Augen fremd und allen Ausdruck dumm machte, er stand wie einer, dem eine Sünde vor¬ geworfen ist, von welcher er den Namen nicht einmal kennt. „Florin," sagte Wieschen versöhnlich, „ich habe dir nichts anhängen wollen. Ich habe nur nachgesagt, was Jelde —" Er unterbrach sie mit einem leisen klangvollen Auflachen. „Sie muß einen immer alle paar Tage in die Waden beißen," sagte er. „Was meint sie? Ich kümmere mich um die Regime?" Wieschen schob zag ihre Hand in seine, aber er hielt sie ohne zuzufassen. „Sie ist mir nach, die Regime," sagte er dann, errötete wie ein Knabe, welcher zu einem Mädchen von Liebe spricht, welches älter und reifer ist als er. Er lachte noch mal. Die Hand des Wieschen lag noch in seiner, er wollte sie wärmer fassen, da fiel sein Blick auf ihre mageren Finger. „Es ist wahr, eine Frische ist sie, die Regime," meinte er da. „Und recht eine für Burschen. Darum soll ihr auch keiner nachfragen, woher sie kommt, der sie gern hat und nehmen will!" Er schaute rin einem weichen schwärmerischen Träumen über die Hecken hinaus. Da zog Wieschen ihre Hand scheu aus der seinen. Sie hatte sich auf die Bank niedergesetzt und starrte nur auf das Harz an den klebenden Fingern, nickte mit dem Kopfe und sagte mit leiser singender Stimme, noch feiner im Ton, als eine einzelne kleine Mücke zu singen vermochte: „RegineSträter." Nicht die Stimme, aber der Name, den sie nannte, weckte den Florentin. Er war wie aufgerüttelt und neu erhitzt, und seine Worte überstürzten sich in

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/94
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/94>, abgerufen am 03.07.2024.