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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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stehende Raum. Nach dem Friedensschluß wird jedenfalls der gewonnene Impuls
anch in der Türkei weiter wirken. Auch die Bedeutung der Araberfrage wird
überschätzt, wenn auch eine Gefahr vorhanden ist: die Wiederherstellung eines
politisch schwachen, die Araber um sich sammelnden Kalifats in Medina, was
womöglich den Abfall Arabiens und dessen Unterwerfung unter britische Schutz¬
herrschaft zur Folge haben könnte. Unter den Diplomaten besteht die Auffassung,
daß die tatsächlich vorhandene Klippe umschifft werden könnte mit Hilfe einer
besonderen Form der Übernahme der Negierung von Tripolis durch die Italiener.
Dabei muß freilich berücksichtigt werden, daß die italienische Regierung sich in
dieser Beziehung das Entgegenkommen recht erschwert hat durch die seinerzeitige
Proklamation der Besitzergreifung von Tripolis. Es sind also auch auf italie¬
nischer Seite Gründe der inneren Politik zu berücksichtigen, die den Friedens¬
schluß erschweren.

Nun erscheint es nicht ausgeschlossen, daß die Bestrebungen Bulgariens,
Serbiens und Montenegros ein Bündnis mit offensiver Spitze gegen die
Türkei zu schaffen, letztere bei den Friedensverhandlungen nachgiebiger machen
wird. Wir wünschen der Türkei, daß es eines solchen Druckes nicht bedürfte.
So gern wir unter den einmal gegebenen Verhältnissen die Italiener in Nord¬
afrika festen Fuß fassen sehen, so unangenehm müßte uns eine weitere Schwächung
der Türkei sein. Ein starkes, friedlicher kultureller Entwicklung zustrebendes




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stehende Raum. Nach dem Friedensschluß wird jedenfalls der gewonnene Impuls
anch in der Türkei weiter wirken. Auch die Bedeutung der Araberfrage wird
überschätzt, wenn auch eine Gefahr vorhanden ist: die Wiederherstellung eines
politisch schwachen, die Araber um sich sammelnden Kalifats in Medina, was
womöglich den Abfall Arabiens und dessen Unterwerfung unter britische Schutz¬
herrschaft zur Folge haben könnte. Unter den Diplomaten besteht die Auffassung,
daß die tatsächlich vorhandene Klippe umschifft werden könnte mit Hilfe einer
besonderen Form der Übernahme der Negierung von Tripolis durch die Italiener.
Dabei muß freilich berücksichtigt werden, daß die italienische Regierung sich in
dieser Beziehung das Entgegenkommen recht erschwert hat durch die seinerzeitige
Proklamation der Besitzergreifung von Tripolis. Es sind also auch auf italie¬
nischer Seite Gründe der inneren Politik zu berücksichtigen, die den Friedens¬
schluß erschweren.

Nun erscheint es nicht ausgeschlossen, daß die Bestrebungen Bulgariens,
Serbiens und Montenegros ein Bündnis mit offensiver Spitze gegen die
Türkei zu schaffen, letztere bei den Friedensverhandlungen nachgiebiger machen
wird. Wir wünschen der Türkei, daß es eines solchen Druckes nicht bedürfte.
So gern wir unter den einmal gegebenen Verhältnissen die Italiener in Nord¬
afrika festen Fuß fassen sehen, so unangenehm müßte uns eine weitere Schwächung
der Türkei sein. Ein starkes, friedlicher kultureller Entwicklung zustrebendes




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[0647] Reich-spiegol stehende Raum. Nach dem Friedensschluß wird jedenfalls der gewonnene Impuls anch in der Türkei weiter wirken. Auch die Bedeutung der Araberfrage wird überschätzt, wenn auch eine Gefahr vorhanden ist: die Wiederherstellung eines politisch schwachen, die Araber um sich sammelnden Kalifats in Medina, was womöglich den Abfall Arabiens und dessen Unterwerfung unter britische Schutz¬ herrschaft zur Folge haben könnte. Unter den Diplomaten besteht die Auffassung, daß die tatsächlich vorhandene Klippe umschifft werden könnte mit Hilfe einer besonderen Form der Übernahme der Negierung von Tripolis durch die Italiener. Dabei muß freilich berücksichtigt werden, daß die italienische Regierung sich in dieser Beziehung das Entgegenkommen recht erschwert hat durch die seinerzeitige Proklamation der Besitzergreifung von Tripolis. Es sind also auch auf italie¬ nischer Seite Gründe der inneren Politik zu berücksichtigen, die den Friedens¬ schluß erschweren. Nun erscheint es nicht ausgeschlossen, daß die Bestrebungen Bulgariens, Serbiens und Montenegros ein Bündnis mit offensiver Spitze gegen die Türkei zu schaffen, letztere bei den Friedensverhandlungen nachgiebiger machen wird. Wir wünschen der Türkei, daß es eines solchen Druckes nicht bedürfte. So gern wir unter den einmal gegebenen Verhältnissen die Italiener in Nord¬ afrika festen Fuß fassen sehen, so unangenehm müßte uns eine weitere Schwächung der Türkei sein. Ein starkes, friedlicher kultureller Entwicklung zustrebendes

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/647>, abgerufen am 03.07.2024.