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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Reichsspicgel

Darauf bezogen sich meine Ausführungen an dieser Stelle vor vier Wochen,
die die Kreuzzeitung "ins Mauseloch kriechen" nennt. Wenn im vorigen Jahre
die Grenzen für Futtermittel nicht geöffnet wurden, so war das verständlich,
weil selbst die Schweinevermehrung sich nicht von einem Tage auf den anderen
regulieren läßt. Dagegen hätte man nach meiner Auffassung eine Anzahl von Jung¬
vieh trotz der damit verbundenen Seuchengefahren im Frühjahre dieses Jahres zoll¬
frei einlassen müssen, nachdem die Tatsache eines glänzenden Wachstums bei den
Futtermitteln feststand. Das Vieh sollte aber nicht direkt den Städtern zugeführt
werden, sondern den Viehzüchtern; von ihnen zur Ergänzung ihrer Bestände benutzt
und hochgebracht, eventuell gemästet und dann erst zu normalen Preisen auf
den Markt geworfen werden. Dann war allen geholfen: den Konsumenten, den
Händler,: und den Landwirten, die, bei dem guten Stande der Futtermittel,
starke Neigung verspürten, ihren Viehstand wieder auf die Höhe von vor 1910
zu bringe" und vor allen Dingen dem Staat, dessen Lebensmittelbedarf im
Kriegsfalle sichergestellt bleiben muß. Die allgemeine Zulassung von Fleisch
aus dem Auslande, wie sie von Industrie und Handel gefordert wird, und die
auch durchaus im Interesse der Konsumenten läge, müßte die Viehzüchter auf
das empfindlichste nicht nur vorübergehend schädigen. Sie wären genötigt, für
die in dem guten Futtermitteljahre aufgezogenen Schweine, Kälber und Rinder
mit so ungenügenden Preisen vorlieb zu nehmen, daß sie notgedrungen wieder
zur Einschränkung der Fleischproduktion gezwungen würden, wodurch Deutsch¬
land in die Abhängigkeit des Auslandes geriete. Hier stehen also wirklich
nationale, das heißt Interessen der Gesamtheit auf dem Spiele, wenn auch
scheinbar im Gegensatze zu Interessen einer Mehrheit.

Sollte aber diesem Widerstreit der Interessen, diesem Auf und Ab der
Konjunkturen wirklich nicht beizukommen sein? Sollte es wirklich nicht möglich sein,
die berechtigten Bedürfnisse der Verbraucher mit denen der Erzeuger auch auf land¬
wirtschaftlichen Gebiete wenigstens annähernd auszugleichen? Zweifellos könnte hier
viel getan werden. Freilich gehört dazu bei den Fleischproduzenten einiger guter
Wille und bei der Regierung einige Energie, um den guten Willen dauerhaft zu
gestalten. Den guten Willen würde ich aber daran erkennen, daß die Landwirte mit
den Konsumenten in direkte Verbindung träten oder anders ausgedrückt, wenn sie
den Absatz an den Konsumplätzen selbst organisierten. Diesen Vorschlag habe ich
in verschiedener Form schon wiederholt vorgetragen. Die Deutsche Tageszeitung,
auf deren Stimme es als berufene Vertreterin des Bundes der Landwirte sehr
ankommt, lehnt die Vorschläge direkt ab, ohne einen Grund für ihre Stellung¬
nahme anzugeben. Ich bleibe dennoch dabei und zwar um so lieber, als mir
Briefe von Großgrundbesitzern gerade in diesem Punkte beipflichten: Die
Fleischerzeuger müssen den Absatz in den Städten selbst in die Hand
nehmenl Vertrauensmänner der Landwirte sollten dauernd den Bedarf in
Stadt und Land registrieren durch Beobachtung der Bevölkerungsbewegung, der
Lohnverhältnisse, der Ab- und Zuwanderung von Volksmassen, Festlichkeiten


Reichsspicgel

Darauf bezogen sich meine Ausführungen an dieser Stelle vor vier Wochen,
die die Kreuzzeitung „ins Mauseloch kriechen" nennt. Wenn im vorigen Jahre
die Grenzen für Futtermittel nicht geöffnet wurden, so war das verständlich,
weil selbst die Schweinevermehrung sich nicht von einem Tage auf den anderen
regulieren läßt. Dagegen hätte man nach meiner Auffassung eine Anzahl von Jung¬
vieh trotz der damit verbundenen Seuchengefahren im Frühjahre dieses Jahres zoll¬
frei einlassen müssen, nachdem die Tatsache eines glänzenden Wachstums bei den
Futtermitteln feststand. Das Vieh sollte aber nicht direkt den Städtern zugeführt
werden, sondern den Viehzüchtern; von ihnen zur Ergänzung ihrer Bestände benutzt
und hochgebracht, eventuell gemästet und dann erst zu normalen Preisen auf
den Markt geworfen werden. Dann war allen geholfen: den Konsumenten, den
Händler,: und den Landwirten, die, bei dem guten Stande der Futtermittel,
starke Neigung verspürten, ihren Viehstand wieder auf die Höhe von vor 1910
zu bringe» und vor allen Dingen dem Staat, dessen Lebensmittelbedarf im
Kriegsfalle sichergestellt bleiben muß. Die allgemeine Zulassung von Fleisch
aus dem Auslande, wie sie von Industrie und Handel gefordert wird, und die
auch durchaus im Interesse der Konsumenten läge, müßte die Viehzüchter auf
das empfindlichste nicht nur vorübergehend schädigen. Sie wären genötigt, für
die in dem guten Futtermitteljahre aufgezogenen Schweine, Kälber und Rinder
mit so ungenügenden Preisen vorlieb zu nehmen, daß sie notgedrungen wieder
zur Einschränkung der Fleischproduktion gezwungen würden, wodurch Deutsch¬
land in die Abhängigkeit des Auslandes geriete. Hier stehen also wirklich
nationale, das heißt Interessen der Gesamtheit auf dem Spiele, wenn auch
scheinbar im Gegensatze zu Interessen einer Mehrheit.

Sollte aber diesem Widerstreit der Interessen, diesem Auf und Ab der
Konjunkturen wirklich nicht beizukommen sein? Sollte es wirklich nicht möglich sein,
die berechtigten Bedürfnisse der Verbraucher mit denen der Erzeuger auch auf land¬
wirtschaftlichen Gebiete wenigstens annähernd auszugleichen? Zweifellos könnte hier
viel getan werden. Freilich gehört dazu bei den Fleischproduzenten einiger guter
Wille und bei der Regierung einige Energie, um den guten Willen dauerhaft zu
gestalten. Den guten Willen würde ich aber daran erkennen, daß die Landwirte mit
den Konsumenten in direkte Verbindung träten oder anders ausgedrückt, wenn sie
den Absatz an den Konsumplätzen selbst organisierten. Diesen Vorschlag habe ich
in verschiedener Form schon wiederholt vorgetragen. Die Deutsche Tageszeitung,
auf deren Stimme es als berufene Vertreterin des Bundes der Landwirte sehr
ankommt, lehnt die Vorschläge direkt ab, ohne einen Grund für ihre Stellung¬
nahme anzugeben. Ich bleibe dennoch dabei und zwar um so lieber, als mir
Briefe von Großgrundbesitzern gerade in diesem Punkte beipflichten: Die
Fleischerzeuger müssen den Absatz in den Städten selbst in die Hand
nehmenl Vertrauensmänner der Landwirte sollten dauernd den Bedarf in
Stadt und Land registrieren durch Beobachtung der Bevölkerungsbewegung, der
Lohnverhältnisse, der Ab- und Zuwanderung von Volksmassen, Festlichkeiten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/643>, abgerufen am 22.07.2024.