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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Städtische Musterlichtbildbühnen

positiv-kunsterzieherische Einwirkung auf beide und auch womöglich noch auf den
dritten Faktor, der bei dem Zustandekommen eines Films tätig ist, nämlich den
"Kinodichter". Bisher hat es aber an einer Instanz, die diese Kritik und eine
kunsterzieherische Einwirkung auf dem Gebiete des Kinematographenwesens hätte
ausüben können, völlig gefehlt. Es gab niemand, es gab keine Stelle, die die
Industrie mit genügendem Nachdruck hätte darauf aufmerksam machen können,
daß es bei ihren Darbietungen nicht nur auf das Was, sondern auch vor allem
auf das Wie ankomme. Die Beurteilung und Einschätzung eines Filmdramas
ist daher in den Kreisen der Kinoindustrie und der Kinoschausteller stets nur
nach dem geschäftlichen Gesichtspunkte mit Rücksicht auf die Frage erfolgt: "Ist
es zugkräftig? Verspricht es daher Verdienst?"

Diese fehlende Instanz kann nun bei geeigneter Organisation durch die
Errichtung städtischer Musterlichtbildbühnen geschaffen werden. Die negative
Kritik, die die Leitungen dieser Theater an den Erzeugnissen der Filmindustrie
ausüben würden, fände allerdings wohl kaum in der Öffentlichkeit statt, sondern
würde sich in erster Reihe im privaten geschäftlichen Verkehr mit der Industrie
abspielen. Sie würde aber dennoch eine nicht zu unterschätzende praktische
Wirkung ausüben, da sie gleichbedeutend mit einer geschäftlichen Ignorierung,
mit einer Ablehnung der kritisierten Erzeugnisse von feiten der Mustertheater
fein würde.

Und der erzieherische Wert und die erzieherische Wirkung dieser praktischen
Kritik muß dadurch noch bedeutend verstärkt werden, daß die städtischen Muster¬
bühnen nun gleichzeitig mit der Nachfrage nach wirklich guter Filmdramatik
hervortreten können, nach Films mit ehrlich packender Handlung, aber mit
psychologisch wahrem Aufbau und voll sittlichen Ernstes oder voll übermütiger
Schalkheit, oder nach künstlerisch gesehenen und dargestellten Naturfilms, bei
denen nicht nur das sachliche Interesse an einer wiedergegebenen fremden Gegend,
sondern auch das ästhetische Interesse an der Schönheit der Naturerscheinung
auf seine Rechnung kommt.

Wie dieser kritische und erzieherische Einfluß am nachdrücklichsten und am
fruchtbarsten auszugestalten ist, das hängt von der praktischen Organisation der
städtischen Lichtbildbühnen ab, auf die wir jetzt näher eingehen wollen.




Die Organisation der städtischen Lichtbildbühnen muß sich selbstverständlich
aufs engste den verschiedenen Ausgaben wirtschaftlicher und kultureller Art
anpassen, die ihnen obliegen werden.

Wir haben oben an erster Stelle darauf hingewiesen, daß die nächste
Aufgabe der städtischen Musterlichtbildbühnen ein Kampf mit den gewöhnlichen
Kinematographentheatern um das Publikum sei. Wir möchten hier noch einmal
diejenigen Mittel zusammenstellen, die nach unserer Ansicht den städtischen
Musterbühnen den Sieg in diesem Kampfe verschaffen können, so daß nicht nur


Grenzboten III 1912 78
Städtische Musterlichtbildbühnen

positiv-kunsterzieherische Einwirkung auf beide und auch womöglich noch auf den
dritten Faktor, der bei dem Zustandekommen eines Films tätig ist, nämlich den
„Kinodichter". Bisher hat es aber an einer Instanz, die diese Kritik und eine
kunsterzieherische Einwirkung auf dem Gebiete des Kinematographenwesens hätte
ausüben können, völlig gefehlt. Es gab niemand, es gab keine Stelle, die die
Industrie mit genügendem Nachdruck hätte darauf aufmerksam machen können,
daß es bei ihren Darbietungen nicht nur auf das Was, sondern auch vor allem
auf das Wie ankomme. Die Beurteilung und Einschätzung eines Filmdramas
ist daher in den Kreisen der Kinoindustrie und der Kinoschausteller stets nur
nach dem geschäftlichen Gesichtspunkte mit Rücksicht auf die Frage erfolgt: „Ist
es zugkräftig? Verspricht es daher Verdienst?"

Diese fehlende Instanz kann nun bei geeigneter Organisation durch die
Errichtung städtischer Musterlichtbildbühnen geschaffen werden. Die negative
Kritik, die die Leitungen dieser Theater an den Erzeugnissen der Filmindustrie
ausüben würden, fände allerdings wohl kaum in der Öffentlichkeit statt, sondern
würde sich in erster Reihe im privaten geschäftlichen Verkehr mit der Industrie
abspielen. Sie würde aber dennoch eine nicht zu unterschätzende praktische
Wirkung ausüben, da sie gleichbedeutend mit einer geschäftlichen Ignorierung,
mit einer Ablehnung der kritisierten Erzeugnisse von feiten der Mustertheater
fein würde.

Und der erzieherische Wert und die erzieherische Wirkung dieser praktischen
Kritik muß dadurch noch bedeutend verstärkt werden, daß die städtischen Muster¬
bühnen nun gleichzeitig mit der Nachfrage nach wirklich guter Filmdramatik
hervortreten können, nach Films mit ehrlich packender Handlung, aber mit
psychologisch wahrem Aufbau und voll sittlichen Ernstes oder voll übermütiger
Schalkheit, oder nach künstlerisch gesehenen und dargestellten Naturfilms, bei
denen nicht nur das sachliche Interesse an einer wiedergegebenen fremden Gegend,
sondern auch das ästhetische Interesse an der Schönheit der Naturerscheinung
auf seine Rechnung kommt.

Wie dieser kritische und erzieherische Einfluß am nachdrücklichsten und am
fruchtbarsten auszugestalten ist, das hängt von der praktischen Organisation der
städtischen Lichtbildbühnen ab, auf die wir jetzt näher eingehen wollen.




Die Organisation der städtischen Lichtbildbühnen muß sich selbstverständlich
aufs engste den verschiedenen Ausgaben wirtschaftlicher und kultureller Art
anpassen, die ihnen obliegen werden.

Wir haben oben an erster Stelle darauf hingewiesen, daß die nächste
Aufgabe der städtischen Musterlichtbildbühnen ein Kampf mit den gewöhnlichen
Kinematographentheatern um das Publikum sei. Wir möchten hier noch einmal
diejenigen Mittel zusammenstellen, die nach unserer Ansicht den städtischen
Musterbühnen den Sieg in diesem Kampfe verschaffen können, so daß nicht nur


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[0625] Städtische Musterlichtbildbühnen positiv-kunsterzieherische Einwirkung auf beide und auch womöglich noch auf den dritten Faktor, der bei dem Zustandekommen eines Films tätig ist, nämlich den „Kinodichter". Bisher hat es aber an einer Instanz, die diese Kritik und eine kunsterzieherische Einwirkung auf dem Gebiete des Kinematographenwesens hätte ausüben können, völlig gefehlt. Es gab niemand, es gab keine Stelle, die die Industrie mit genügendem Nachdruck hätte darauf aufmerksam machen können, daß es bei ihren Darbietungen nicht nur auf das Was, sondern auch vor allem auf das Wie ankomme. Die Beurteilung und Einschätzung eines Filmdramas ist daher in den Kreisen der Kinoindustrie und der Kinoschausteller stets nur nach dem geschäftlichen Gesichtspunkte mit Rücksicht auf die Frage erfolgt: „Ist es zugkräftig? Verspricht es daher Verdienst?" Diese fehlende Instanz kann nun bei geeigneter Organisation durch die Errichtung städtischer Musterlichtbildbühnen geschaffen werden. Die negative Kritik, die die Leitungen dieser Theater an den Erzeugnissen der Filmindustrie ausüben würden, fände allerdings wohl kaum in der Öffentlichkeit statt, sondern würde sich in erster Reihe im privaten geschäftlichen Verkehr mit der Industrie abspielen. Sie würde aber dennoch eine nicht zu unterschätzende praktische Wirkung ausüben, da sie gleichbedeutend mit einer geschäftlichen Ignorierung, mit einer Ablehnung der kritisierten Erzeugnisse von feiten der Mustertheater fein würde. Und der erzieherische Wert und die erzieherische Wirkung dieser praktischen Kritik muß dadurch noch bedeutend verstärkt werden, daß die städtischen Muster¬ bühnen nun gleichzeitig mit der Nachfrage nach wirklich guter Filmdramatik hervortreten können, nach Films mit ehrlich packender Handlung, aber mit psychologisch wahrem Aufbau und voll sittlichen Ernstes oder voll übermütiger Schalkheit, oder nach künstlerisch gesehenen und dargestellten Naturfilms, bei denen nicht nur das sachliche Interesse an einer wiedergegebenen fremden Gegend, sondern auch das ästhetische Interesse an der Schönheit der Naturerscheinung auf seine Rechnung kommt. Wie dieser kritische und erzieherische Einfluß am nachdrücklichsten und am fruchtbarsten auszugestalten ist, das hängt von der praktischen Organisation der städtischen Lichtbildbühnen ab, auf die wir jetzt näher eingehen wollen. Die Organisation der städtischen Lichtbildbühnen muß sich selbstverständlich aufs engste den verschiedenen Ausgaben wirtschaftlicher und kultureller Art anpassen, die ihnen obliegen werden. Wir haben oben an erster Stelle darauf hingewiesen, daß die nächste Aufgabe der städtischen Musterlichtbildbühnen ein Kampf mit den gewöhnlichen Kinematographentheatern um das Publikum sei. Wir möchten hier noch einmal diejenigen Mittel zusammenstellen, die nach unserer Ansicht den städtischen Musterbühnen den Sieg in diesem Kampfe verschaffen können, so daß nicht nur Grenzboten III 1912 78

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/625>, abgerufen am 22.07.2024.