Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Städtische Musterlichtbildbühnen

Was seinem Auge geboten wird, ist berechtigt, denn es ist eben da. Mit Recht
betont daher ein Erlaß des Kultusministers vom 8. März 1912, an die Leiter
und Leiterinnen aller höheren Schulen gerichtet, daß durch den übermäßigen
Besuch kinematographischer Vorstellungen die Jugend nicht nur "vielfach zu
leichtfertigen Ausgaben und zu einem längeren Verweilen in gesundheitlich
unzureichenden Räumen verleitet wird", sondern daß auch ihr sittliches und
ästhetisches Empfinden dadurch geschädigt wird. "Das Gefühl für das Gute
und Böse, für das Schickliche und Gemeine muß sich durch derartige Vor¬
stellungen verwirren, und manches unverdorbene kindliche Gemüt gerät hierdurch
in Gefahr, auf Abwege gelenkt zu werden. Aber auch das ästhetische Empfinden
der Jugend wird auf diese Weise verdorben, die Sinne gewöhnen sich an starke,
nervenerregende Eindrücke, und die Freude an ruhiger Betrachtung guter künst¬
lerischer Darstellung geht verloren."

Das erste Mittel, das der Minister zur Abhilfe gegen diese Schädigungen
der Jugend durch die kinematographische Schunddramatik angewendet wissen will,
ist dieses, daß der Besuch der Kinematographentheater durch Schüler und
Schülerinnen denselben Beschränkungen unterworfen werde, denen nach der Schul¬
ordnung auch der Besuch der Theater, öffentlichen Konzerte, Vorträge und Schau¬
stellungen unterliegt. Ferner verlangt er, daß die Eltern über die Schädigungen
aufgeklärt werden, die ihren Kindern seitens mancher Kinematographentheater
drohen, und will nur den Besuch solcher kinematographischen Vorführungen durch
Schüler uneingeschränkt gestatten, die von Theaterbesitzern als Sondervorstellungen
zu Zwecken der Belehrung oder der den Absichten der Schule nicht wider¬
sprechenden Unterhaltung veranstaltet werden.

Was die erste dieser Maßregeln betrifft, so möchten wir im Interesse der
Allgemeinheit noch ein Hinausgehen über sie anempfehlen und einer noch weiter¬
gehenden Beschränkung des Kinderbesuches in Kinematographentheatern das
Wort reden. Ansätze zu einer Regelung dieses Kinderbesuches im Wege der
Polizeiverordnung sind an manchen Orten schon gemacht worden. Man hat
zum Beispiel die Anwesenheit von Kindern bei der Vorführung einzelner, von
der Zensur näher bestimmter "Filmdramen" verboten (Königsberg i. Pr.), oder
man hat die Anwesenheit von Kindern in Kinematographentheatern nach 8 Uhr
abends, selbst in Begleitung der Eltern, überhaupt verboten (Altona), und die
Rechtsgültigkeit dieser Polizeivorschriften ist trotz aller Einsprüche und An¬
fechtungen der Kinematographentheater aufrecht erhalten worden. In Münster
dürfen laut Polizeiverordnung "jugendliche Personen unter 16 Jahren nur zu
solchen öffentlichen kinematographischen Vorstellungen zugelassen werden, die auf
Grund des vorgelegten Spielplanes als Jugendvorstellung polizeilich genehmigt
und durch Anschlag als solche gekennzeichnet sind."

Wir halten aber auch alle diese Verordnungen noch für halbe Maßregeln
und hoffen, daß sich Mittel und Wege finden lassen werden, um den Kinder¬
besuch in privaten Kinematographentheatern überhaupt vollständig zu verbieten.


Städtische Musterlichtbildbühnen

Was seinem Auge geboten wird, ist berechtigt, denn es ist eben da. Mit Recht
betont daher ein Erlaß des Kultusministers vom 8. März 1912, an die Leiter
und Leiterinnen aller höheren Schulen gerichtet, daß durch den übermäßigen
Besuch kinematographischer Vorstellungen die Jugend nicht nur „vielfach zu
leichtfertigen Ausgaben und zu einem längeren Verweilen in gesundheitlich
unzureichenden Räumen verleitet wird", sondern daß auch ihr sittliches und
ästhetisches Empfinden dadurch geschädigt wird. „Das Gefühl für das Gute
und Böse, für das Schickliche und Gemeine muß sich durch derartige Vor¬
stellungen verwirren, und manches unverdorbene kindliche Gemüt gerät hierdurch
in Gefahr, auf Abwege gelenkt zu werden. Aber auch das ästhetische Empfinden
der Jugend wird auf diese Weise verdorben, die Sinne gewöhnen sich an starke,
nervenerregende Eindrücke, und die Freude an ruhiger Betrachtung guter künst¬
lerischer Darstellung geht verloren."

Das erste Mittel, das der Minister zur Abhilfe gegen diese Schädigungen
der Jugend durch die kinematographische Schunddramatik angewendet wissen will,
ist dieses, daß der Besuch der Kinematographentheater durch Schüler und
Schülerinnen denselben Beschränkungen unterworfen werde, denen nach der Schul¬
ordnung auch der Besuch der Theater, öffentlichen Konzerte, Vorträge und Schau¬
stellungen unterliegt. Ferner verlangt er, daß die Eltern über die Schädigungen
aufgeklärt werden, die ihren Kindern seitens mancher Kinematographentheater
drohen, und will nur den Besuch solcher kinematographischen Vorführungen durch
Schüler uneingeschränkt gestatten, die von Theaterbesitzern als Sondervorstellungen
zu Zwecken der Belehrung oder der den Absichten der Schule nicht wider¬
sprechenden Unterhaltung veranstaltet werden.

Was die erste dieser Maßregeln betrifft, so möchten wir im Interesse der
Allgemeinheit noch ein Hinausgehen über sie anempfehlen und einer noch weiter¬
gehenden Beschränkung des Kinderbesuches in Kinematographentheatern das
Wort reden. Ansätze zu einer Regelung dieses Kinderbesuches im Wege der
Polizeiverordnung sind an manchen Orten schon gemacht worden. Man hat
zum Beispiel die Anwesenheit von Kindern bei der Vorführung einzelner, von
der Zensur näher bestimmter „Filmdramen" verboten (Königsberg i. Pr.), oder
man hat die Anwesenheit von Kindern in Kinematographentheatern nach 8 Uhr
abends, selbst in Begleitung der Eltern, überhaupt verboten (Altona), und die
Rechtsgültigkeit dieser Polizeivorschriften ist trotz aller Einsprüche und An¬
fechtungen der Kinematographentheater aufrecht erhalten worden. In Münster
dürfen laut Polizeiverordnung „jugendliche Personen unter 16 Jahren nur zu
solchen öffentlichen kinematographischen Vorstellungen zugelassen werden, die auf
Grund des vorgelegten Spielplanes als Jugendvorstellung polizeilich genehmigt
und durch Anschlag als solche gekennzeichnet sind."

Wir halten aber auch alle diese Verordnungen noch für halbe Maßregeln
und hoffen, daß sich Mittel und Wege finden lassen werden, um den Kinder¬
besuch in privaten Kinematographentheatern überhaupt vollständig zu verbieten.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0622" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/322369"/>
          <fw type="header" place="top"> Städtische Musterlichtbildbühnen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2771" prev="#ID_2770"> Was seinem Auge geboten wird, ist berechtigt, denn es ist eben da. Mit Recht<lb/>
betont daher ein Erlaß des Kultusministers vom 8. März 1912, an die Leiter<lb/>
und Leiterinnen aller höheren Schulen gerichtet, daß durch den übermäßigen<lb/>
Besuch kinematographischer Vorstellungen die Jugend nicht nur &#x201E;vielfach zu<lb/>
leichtfertigen Ausgaben und zu einem längeren Verweilen in gesundheitlich<lb/>
unzureichenden Räumen verleitet wird", sondern daß auch ihr sittliches und<lb/>
ästhetisches Empfinden dadurch geschädigt wird. &#x201E;Das Gefühl für das Gute<lb/>
und Böse, für das Schickliche und Gemeine muß sich durch derartige Vor¬<lb/>
stellungen verwirren, und manches unverdorbene kindliche Gemüt gerät hierdurch<lb/>
in Gefahr, auf Abwege gelenkt zu werden. Aber auch das ästhetische Empfinden<lb/>
der Jugend wird auf diese Weise verdorben, die Sinne gewöhnen sich an starke,<lb/>
nervenerregende Eindrücke, und die Freude an ruhiger Betrachtung guter künst¬<lb/>
lerischer Darstellung geht verloren."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2772"> Das erste Mittel, das der Minister zur Abhilfe gegen diese Schädigungen<lb/>
der Jugend durch die kinematographische Schunddramatik angewendet wissen will,<lb/>
ist dieses, daß der Besuch der Kinematographentheater durch Schüler und<lb/>
Schülerinnen denselben Beschränkungen unterworfen werde, denen nach der Schul¬<lb/>
ordnung auch der Besuch der Theater, öffentlichen Konzerte, Vorträge und Schau¬<lb/>
stellungen unterliegt. Ferner verlangt er, daß die Eltern über die Schädigungen<lb/>
aufgeklärt werden, die ihren Kindern seitens mancher Kinematographentheater<lb/>
drohen, und will nur den Besuch solcher kinematographischen Vorführungen durch<lb/>
Schüler uneingeschränkt gestatten, die von Theaterbesitzern als Sondervorstellungen<lb/>
zu Zwecken der Belehrung oder der den Absichten der Schule nicht wider¬<lb/>
sprechenden Unterhaltung veranstaltet werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2773"> Was die erste dieser Maßregeln betrifft, so möchten wir im Interesse der<lb/>
Allgemeinheit noch ein Hinausgehen über sie anempfehlen und einer noch weiter¬<lb/>
gehenden Beschränkung des Kinderbesuches in Kinematographentheatern das<lb/>
Wort reden. Ansätze zu einer Regelung dieses Kinderbesuches im Wege der<lb/>
Polizeiverordnung sind an manchen Orten schon gemacht worden. Man hat<lb/>
zum Beispiel die Anwesenheit von Kindern bei der Vorführung einzelner, von<lb/>
der Zensur näher bestimmter &#x201E;Filmdramen" verboten (Königsberg i. Pr.), oder<lb/>
man hat die Anwesenheit von Kindern in Kinematographentheatern nach 8 Uhr<lb/>
abends, selbst in Begleitung der Eltern, überhaupt verboten (Altona), und die<lb/>
Rechtsgültigkeit dieser Polizeivorschriften ist trotz aller Einsprüche und An¬<lb/>
fechtungen der Kinematographentheater aufrecht erhalten worden. In Münster<lb/>
dürfen laut Polizeiverordnung &#x201E;jugendliche Personen unter 16 Jahren nur zu<lb/>
solchen öffentlichen kinematographischen Vorstellungen zugelassen werden, die auf<lb/>
Grund des vorgelegten Spielplanes als Jugendvorstellung polizeilich genehmigt<lb/>
und durch Anschlag als solche gekennzeichnet sind."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2774" next="#ID_2775"> Wir halten aber auch alle diese Verordnungen noch für halbe Maßregeln<lb/>
und hoffen, daß sich Mittel und Wege finden lassen werden, um den Kinder¬<lb/>
besuch in privaten Kinematographentheatern überhaupt vollständig zu verbieten.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0622] Städtische Musterlichtbildbühnen Was seinem Auge geboten wird, ist berechtigt, denn es ist eben da. Mit Recht betont daher ein Erlaß des Kultusministers vom 8. März 1912, an die Leiter und Leiterinnen aller höheren Schulen gerichtet, daß durch den übermäßigen Besuch kinematographischer Vorstellungen die Jugend nicht nur „vielfach zu leichtfertigen Ausgaben und zu einem längeren Verweilen in gesundheitlich unzureichenden Räumen verleitet wird", sondern daß auch ihr sittliches und ästhetisches Empfinden dadurch geschädigt wird. „Das Gefühl für das Gute und Böse, für das Schickliche und Gemeine muß sich durch derartige Vor¬ stellungen verwirren, und manches unverdorbene kindliche Gemüt gerät hierdurch in Gefahr, auf Abwege gelenkt zu werden. Aber auch das ästhetische Empfinden der Jugend wird auf diese Weise verdorben, die Sinne gewöhnen sich an starke, nervenerregende Eindrücke, und die Freude an ruhiger Betrachtung guter künst¬ lerischer Darstellung geht verloren." Das erste Mittel, das der Minister zur Abhilfe gegen diese Schädigungen der Jugend durch die kinematographische Schunddramatik angewendet wissen will, ist dieses, daß der Besuch der Kinematographentheater durch Schüler und Schülerinnen denselben Beschränkungen unterworfen werde, denen nach der Schul¬ ordnung auch der Besuch der Theater, öffentlichen Konzerte, Vorträge und Schau¬ stellungen unterliegt. Ferner verlangt er, daß die Eltern über die Schädigungen aufgeklärt werden, die ihren Kindern seitens mancher Kinematographentheater drohen, und will nur den Besuch solcher kinematographischen Vorführungen durch Schüler uneingeschränkt gestatten, die von Theaterbesitzern als Sondervorstellungen zu Zwecken der Belehrung oder der den Absichten der Schule nicht wider¬ sprechenden Unterhaltung veranstaltet werden. Was die erste dieser Maßregeln betrifft, so möchten wir im Interesse der Allgemeinheit noch ein Hinausgehen über sie anempfehlen und einer noch weiter¬ gehenden Beschränkung des Kinderbesuches in Kinematographentheatern das Wort reden. Ansätze zu einer Regelung dieses Kinderbesuches im Wege der Polizeiverordnung sind an manchen Orten schon gemacht worden. Man hat zum Beispiel die Anwesenheit von Kindern bei der Vorführung einzelner, von der Zensur näher bestimmter „Filmdramen" verboten (Königsberg i. Pr.), oder man hat die Anwesenheit von Kindern in Kinematographentheatern nach 8 Uhr abends, selbst in Begleitung der Eltern, überhaupt verboten (Altona), und die Rechtsgültigkeit dieser Polizeivorschriften ist trotz aller Einsprüche und An¬ fechtungen der Kinematographentheater aufrecht erhalten worden. In Münster dürfen laut Polizeiverordnung „jugendliche Personen unter 16 Jahren nur zu solchen öffentlichen kinematographischen Vorstellungen zugelassen werden, die auf Grund des vorgelegten Spielplanes als Jugendvorstellung polizeilich genehmigt und durch Anschlag als solche gekennzeichnet sind." Wir halten aber auch alle diese Verordnungen noch für halbe Maßregeln und hoffen, daß sich Mittel und Wege finden lassen werden, um den Kinder¬ besuch in privaten Kinematographentheatern überhaupt vollständig zu verbieten.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/622
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/622>, abgerufen am 22.07.2024.