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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Städtische Mustcrlichtbildbühnon

weil einerseits die Schäden des Kinematographenwesens im Bannkreis des
städtischen Lebens sich am meisten geltend machen und am dringendsten Abhilfe
erheischen und weil anderseits gerade den städtischen Verwaltungen die Ein¬
richtung solcher Bühnen am leichtesten und mit den geringsten Opfern möglich ist.

Wir sparen uns den Beweis für die letzte Behauptung für später auf und
ziehen hier vorläufig ein Fazit aus unseren Darlegungen, indem wir die For¬
derung aufstellen:

Man soll kinematographische Musterbühnen errichten, um eine wirksame
Reform des Kinematographenwesens anzubahnen. Diese Musterbühnen soll man
aber nicht privater Regie überlassen, sondern soll sie unter städtische Verwaltung
nehmen und als gemeinnützige Anstalten betrachten, die auf materiellen Verdienst
zu verzichten haben." "




Es ist selbstverständlich, daß gegen die Errichtung solcher städtischer Muster¬
bühnen sofort von vielen Seiten her Bedenken erhoben werden können.

Das Nächstliegende wäre, vom wirtschaftlichen Standpunkte her Ein¬
wände zu erheben. Die bühnenmäßigen Theater vor allem könnten von der
Errichtung städtischer Lichtbildbühnen eine Erhöhung der Konkurrenz fürchten,
die die Kinematographentheater ihnen schon jetzt in so außerordentlich scharfer
Weise machen. Um die Tragweite solcher Einwände richtig zu ermessen, ist
es nötig, das Verhältnis zwischen Theater und Kino*) einmal etwas näher zu
untersuchen.

Es muß von vornherein zugegeben werden, daß das bühnenmäßige Theater
durch das Emporwuchern der Kinematographentheater an Boden verloren hat
und nach der Errichtung städtischer Lichtbildbühnen noch weiter verlieren wird.
Wir möchten das aber nicht unbedingt als einen so großen kulturellen Verlust
hinstellen, wie es von vielen Seiten beliebt ist. Wir möchten vielmehr die
Ansicht vertreten, daß hier lediglich eine Art Gebietsregulierung zwischen Theater
und Kino sich auf ganz natürlichem Wege vollzieht, eine reinliche Scheidung
zwischen beiden, die vom kulturellen Gesichtspunkte aus nur mit Freuden zu
begrüßen ist.

Die Notwendigkeit dieser Gebietsregulierung wird man aber um so eher
einsehen, wenn man beachtet, daß die Entwicklung unserer Schaubühne in den
letzten Jahrzehnten in mancher Hinsicht dem kommenden Kinematographen vor¬
gearbeitet hat, daß durch manche Erscheinungen unserer dramatischen Literatur
und durch die Darstellung, die diese auf der modernen Bühne fanden, der
Geschmack des Publikums langsam, aber sicher auf das vorbereitet worden ist,
was ihm jetzt im Kinematographentheater geboten wird.

Oder ist das naturalistische Prinzip, die Naturtreue, mit der die naturalistische
Dramatik und die naturalistische Bühne arbeiten, ein anderes als jenes, das



") Vgl. meinen Aufsatz in Ur. 23 der Grenzboten 1912.
Grenzboten III 191277
Städtische Mustcrlichtbildbühnon

weil einerseits die Schäden des Kinematographenwesens im Bannkreis des
städtischen Lebens sich am meisten geltend machen und am dringendsten Abhilfe
erheischen und weil anderseits gerade den städtischen Verwaltungen die Ein¬
richtung solcher Bühnen am leichtesten und mit den geringsten Opfern möglich ist.

Wir sparen uns den Beweis für die letzte Behauptung für später auf und
ziehen hier vorläufig ein Fazit aus unseren Darlegungen, indem wir die For¬
derung aufstellen:

Man soll kinematographische Musterbühnen errichten, um eine wirksame
Reform des Kinematographenwesens anzubahnen. Diese Musterbühnen soll man
aber nicht privater Regie überlassen, sondern soll sie unter städtische Verwaltung
nehmen und als gemeinnützige Anstalten betrachten, die auf materiellen Verdienst
zu verzichten haben.» »




Es ist selbstverständlich, daß gegen die Errichtung solcher städtischer Muster¬
bühnen sofort von vielen Seiten her Bedenken erhoben werden können.

Das Nächstliegende wäre, vom wirtschaftlichen Standpunkte her Ein¬
wände zu erheben. Die bühnenmäßigen Theater vor allem könnten von der
Errichtung städtischer Lichtbildbühnen eine Erhöhung der Konkurrenz fürchten,
die die Kinematographentheater ihnen schon jetzt in so außerordentlich scharfer
Weise machen. Um die Tragweite solcher Einwände richtig zu ermessen, ist
es nötig, das Verhältnis zwischen Theater und Kino*) einmal etwas näher zu
untersuchen.

Es muß von vornherein zugegeben werden, daß das bühnenmäßige Theater
durch das Emporwuchern der Kinematographentheater an Boden verloren hat
und nach der Errichtung städtischer Lichtbildbühnen noch weiter verlieren wird.
Wir möchten das aber nicht unbedingt als einen so großen kulturellen Verlust
hinstellen, wie es von vielen Seiten beliebt ist. Wir möchten vielmehr die
Ansicht vertreten, daß hier lediglich eine Art Gebietsregulierung zwischen Theater
und Kino sich auf ganz natürlichem Wege vollzieht, eine reinliche Scheidung
zwischen beiden, die vom kulturellen Gesichtspunkte aus nur mit Freuden zu
begrüßen ist.

Die Notwendigkeit dieser Gebietsregulierung wird man aber um so eher
einsehen, wenn man beachtet, daß die Entwicklung unserer Schaubühne in den
letzten Jahrzehnten in mancher Hinsicht dem kommenden Kinematographen vor¬
gearbeitet hat, daß durch manche Erscheinungen unserer dramatischen Literatur
und durch die Darstellung, die diese auf der modernen Bühne fanden, der
Geschmack des Publikums langsam, aber sicher auf das vorbereitet worden ist,
was ihm jetzt im Kinematographentheater geboten wird.

Oder ist das naturalistische Prinzip, die Naturtreue, mit der die naturalistische
Dramatik und die naturalistische Bühne arbeiten, ein anderes als jenes, das



") Vgl. meinen Aufsatz in Ur. 23 der Grenzboten 1912.
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[0617] Städtische Mustcrlichtbildbühnon weil einerseits die Schäden des Kinematographenwesens im Bannkreis des städtischen Lebens sich am meisten geltend machen und am dringendsten Abhilfe erheischen und weil anderseits gerade den städtischen Verwaltungen die Ein¬ richtung solcher Bühnen am leichtesten und mit den geringsten Opfern möglich ist. Wir sparen uns den Beweis für die letzte Behauptung für später auf und ziehen hier vorläufig ein Fazit aus unseren Darlegungen, indem wir die For¬ derung aufstellen: Man soll kinematographische Musterbühnen errichten, um eine wirksame Reform des Kinematographenwesens anzubahnen. Diese Musterbühnen soll man aber nicht privater Regie überlassen, sondern soll sie unter städtische Verwaltung nehmen und als gemeinnützige Anstalten betrachten, die auf materiellen Verdienst zu verzichten haben.» » Es ist selbstverständlich, daß gegen die Errichtung solcher städtischer Muster¬ bühnen sofort von vielen Seiten her Bedenken erhoben werden können. Das Nächstliegende wäre, vom wirtschaftlichen Standpunkte her Ein¬ wände zu erheben. Die bühnenmäßigen Theater vor allem könnten von der Errichtung städtischer Lichtbildbühnen eine Erhöhung der Konkurrenz fürchten, die die Kinematographentheater ihnen schon jetzt in so außerordentlich scharfer Weise machen. Um die Tragweite solcher Einwände richtig zu ermessen, ist es nötig, das Verhältnis zwischen Theater und Kino*) einmal etwas näher zu untersuchen. Es muß von vornherein zugegeben werden, daß das bühnenmäßige Theater durch das Emporwuchern der Kinematographentheater an Boden verloren hat und nach der Errichtung städtischer Lichtbildbühnen noch weiter verlieren wird. Wir möchten das aber nicht unbedingt als einen so großen kulturellen Verlust hinstellen, wie es von vielen Seiten beliebt ist. Wir möchten vielmehr die Ansicht vertreten, daß hier lediglich eine Art Gebietsregulierung zwischen Theater und Kino sich auf ganz natürlichem Wege vollzieht, eine reinliche Scheidung zwischen beiden, die vom kulturellen Gesichtspunkte aus nur mit Freuden zu begrüßen ist. Die Notwendigkeit dieser Gebietsregulierung wird man aber um so eher einsehen, wenn man beachtet, daß die Entwicklung unserer Schaubühne in den letzten Jahrzehnten in mancher Hinsicht dem kommenden Kinematographen vor¬ gearbeitet hat, daß durch manche Erscheinungen unserer dramatischen Literatur und durch die Darstellung, die diese auf der modernen Bühne fanden, der Geschmack des Publikums langsam, aber sicher auf das vorbereitet worden ist, was ihm jetzt im Kinematographentheater geboten wird. Oder ist das naturalistische Prinzip, die Naturtreue, mit der die naturalistische Dramatik und die naturalistische Bühne arbeiten, ein anderes als jenes, das ") Vgl. meinen Aufsatz in Ur. 23 der Grenzboten 1912. Grenzboten III 191277

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/617>, abgerufen am 22.07.2024.