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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Jesus auf der Bühne

"Es hat das liebende Weib mit seiner
Lockung zum Leben mein Herz erregt. --
Klammerst du, sterbliches Teil in mir,
Noch einmal dich an die heit're Welt
Mit Wünschen und Hoffen nach irdischem Glück?"

Von den Fehlern Weihers scheint Undank-Stahr gelernt zu haben. Er läßt
in seinem "Christusdrama" (Berlin, W. Borngräber, 1912) alle zu weit aus¬
geführten Nebenfiguren beiseite. Alles ist auf die Hauptsache zugespitzt. Die
Umwelt, Priester, Schriftgelehrte, Zeloten, Anhänger, Unentschiedene und Feinde
Jesu bereiten in der ersten Handlung das Auftreten Jesu vor. Ter Einzug in
Jerusalem ist ein wirksames Bühnenmoment; Tempelreinigung und Streitgespräche
folgen. Undank-Stahr bewältigt den reichen Stoff in sechs Handlungen. Alles
ist dadurch knapper und konzentrierter. Jesus hält keine langen Reden. Es
ist wirklich Handlung im Drama, die sich zur Katastrophe zuspitzt. In kurzen
Zügen treten alle Seiten des Wirkens Jesu auf. Er bringt die Heilung
eines Geistesgestörten auf die Bühne; daß er Totenerweckungen für
ungeschichtlich, für ausschmückende Dichtung ansteht, tritt klar hervor.
Undank-Stahr wagt es, das Heiligste wie das Grausigste darzustellen.
Die Einsetzung des Abendmahls, das Gebet in Gethsemane wird nicht
bloß erzählt. Alles geschieht auf offener Bühne. Ja als Höhepunkt des
Ganzen wird das Kreuz vor dem Zuschauer aufgerichtet. Undank-Stahr wirkt
durch möglichste Schlichtheit der Darstellung, nahen Anschluß an die biblischen
Worte. Er legt seiner Phantasie Zügel an; nur weniges wird ausgemalt, so
wenn Malus die Philosophie Heraklits vorträgt. Das Drama endigt damit,
daß am Grabe Jesu die Gewißheit seines geistigen Fortlebens aufleuchtet.
Man sieht, wie sich diese zur Sage der leiblichen Auferstehung verdichtet.

Auch Undanks Christusdrama paßt nicht auf die heutige Bühne. Es ist
ein Weihestück, etwa dem Parstfal vergleichbar. An sich ist es wohl ausführbar
und nicht ohne wirksame Kraft. Bisher ist es nur von Friedrich Kanßler
vorgelesen und hat seines Eindrucks nicht verfehlt. Sollte es wirklich aufgeführt
werden, so setzt es nicht bloß Schauspieler wie Kayßler, sondern auch eine
weihevoll gestimmte Zuhörerschaft voraus. Und sollte sich diese nicht etwa an
einen: der Festtage der Christenheit um ein "Christusdrama" sammeln dürfen?




Jesus auf der Bühne

„Es hat das liebende Weib mit seiner
Lockung zum Leben mein Herz erregt. —
Klammerst du, sterbliches Teil in mir,
Noch einmal dich an die heit're Welt
Mit Wünschen und Hoffen nach irdischem Glück?"

Von den Fehlern Weihers scheint Undank-Stahr gelernt zu haben. Er läßt
in seinem „Christusdrama" (Berlin, W. Borngräber, 1912) alle zu weit aus¬
geführten Nebenfiguren beiseite. Alles ist auf die Hauptsache zugespitzt. Die
Umwelt, Priester, Schriftgelehrte, Zeloten, Anhänger, Unentschiedene und Feinde
Jesu bereiten in der ersten Handlung das Auftreten Jesu vor. Ter Einzug in
Jerusalem ist ein wirksames Bühnenmoment; Tempelreinigung und Streitgespräche
folgen. Undank-Stahr bewältigt den reichen Stoff in sechs Handlungen. Alles
ist dadurch knapper und konzentrierter. Jesus hält keine langen Reden. Es
ist wirklich Handlung im Drama, die sich zur Katastrophe zuspitzt. In kurzen
Zügen treten alle Seiten des Wirkens Jesu auf. Er bringt die Heilung
eines Geistesgestörten auf die Bühne; daß er Totenerweckungen für
ungeschichtlich, für ausschmückende Dichtung ansteht, tritt klar hervor.
Undank-Stahr wagt es, das Heiligste wie das Grausigste darzustellen.
Die Einsetzung des Abendmahls, das Gebet in Gethsemane wird nicht
bloß erzählt. Alles geschieht auf offener Bühne. Ja als Höhepunkt des
Ganzen wird das Kreuz vor dem Zuschauer aufgerichtet. Undank-Stahr wirkt
durch möglichste Schlichtheit der Darstellung, nahen Anschluß an die biblischen
Worte. Er legt seiner Phantasie Zügel an; nur weniges wird ausgemalt, so
wenn Malus die Philosophie Heraklits vorträgt. Das Drama endigt damit,
daß am Grabe Jesu die Gewißheit seines geistigen Fortlebens aufleuchtet.
Man sieht, wie sich diese zur Sage der leiblichen Auferstehung verdichtet.

Auch Undanks Christusdrama paßt nicht auf die heutige Bühne. Es ist
ein Weihestück, etwa dem Parstfal vergleichbar. An sich ist es wohl ausführbar
und nicht ohne wirksame Kraft. Bisher ist es nur von Friedrich Kanßler
vorgelesen und hat seines Eindrucks nicht verfehlt. Sollte es wirklich aufgeführt
werden, so setzt es nicht bloß Schauspieler wie Kayßler, sondern auch eine
weihevoll gestimmte Zuhörerschaft voraus. Und sollte sich diese nicht etwa an
einen: der Festtage der Christenheit um ein „Christusdrama" sammeln dürfen?




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/583>, abgerufen am 01.07.2024.