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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Jesus auf der Bühne

Theaterräume jedem Bezahlenden versprechen". So ist es begreiflich, wenn
die Stimmung herrscht: das Heilige wird entweiht, wenn es auf die heutige
Bühne kommt. Wohl ist es das größte Trauerspiel, das die Menschheit erlebt
hat: das heldenhafte Ringen Jesu um sein Volk, und sein tragischer Untergang.
Aber wer wäre würdig, auf der Bühne als Jesus aufzutreten? Man empfindet
es als Verletzung des religiösen Gefühls, wenn der, an dem der Glaube der
Christenheit hängt, auf der heutigen Bühne erscheint. Und allerdings: das
gewöhnliche Theater verträgt Jesus auf der Bühne nicht. Seine Gestalt würde
sich zu fremdartig ausnehmen. Und doch ist es begreiflich: wie die Malerei
immer wieder versucht, die Szenen des Passionsdramas in neuer Auffassung
vorzuführen, so wird auch ein Dramatiker von dieser größten Heldentragödie
angezogen. Es ist ja in ihr alles so echt menschlich begreiflich und zugleich so
heldenhaft groß, der Sieg im äußeren Untergang!

Zwei Dramatiker haben in den letzten Jahren sich an der großen Aufgabe
versucht. Karl Weiser hat eine Tetralogie "Jesus" geschaffen. (Leipzig, Reclam,
1906.) Vier Abende nacheinander führen uns zuerst "Herodes den Großen"
und sein Hofleben vor, darin die Geburt Jesu und die Verfolgung des neu¬
geborenen Königs. Der zweite Abend hat "Johannes den Täufer" zum
Gegenstand, aber der Täufer wird verzeichnet, wenn er "unversöhnliche Rache
den Bedrückern" predigt. Er erscheint zu sehr als Politiker. Ein großer Effekt
wird erzielt, wenn der strenge Prophet in den Hof des liederlichen Antipas tritt.
Seine rauhe Größe verachtet den gesunkenen Herrscher und seine Hofschranzen.
Das führt zu seinem Untergang. Im ganzen gelingt es Weiser besser, die
Personen um Jesus und Johannes zu zeichnen als diese selbst. Im dritten
Stück "Der Heiland" verfällt Weiser anfangs in den Ton des Lustspiels, wenn
er die Hochzeit zu Kana so darstellt: der reiche Brautvater rückt den Wein aus
seinem Keller nicht heraus. Jesus läßt alle Krüge mit Wasser füllen. "Das
ist ja Wasser!" sagen enttäuscht die Gäste. Doch die Rede Jesu würzt das
Wasser, als wäre es Wein! Weiser unterscheidet auch sonst nicht die ausschmückende
Legende und die kritisch sichere Geschichte. Der größte Fehler ist: die "übernatürliche"
Geburt wird rationalisiert und entweiht, wenn ein Liebesverkehr mit einem
engelsgleichen Menschen heraus gesponnen wird. Die Erzählung bleibt nur weihe¬
voll, wenn sie als verherrlichende Dichtung betrachtet wird. Auch darin wird
Jesus verzeichnet, wenn er auf einer Wanderung nach Indien die heilige Lehre
vom Mitleid mitbringt und nun den Gott seiner Väter als den engen, beschränkten
Nationalgott ansieht. Weiser führt viel farbenreiche Bilder vor. Maria
Magdalena erscheint als die Geliebte des Antipas, des Kaiphas und des Pilatus.
Der Königshof und politische Intrigen von Judas Ischarioth nehmen einen
großen Raum ein. Die Person Jesu tritt zuweilen zurück hinter allen Neben¬
figuren, die weit wirksamer sind. Im ganzen ist Weihers Versuch mißglückt.
Jesus erscheint im vierten Teil "Jesu Leid" zu klein, wenn er in Gethsemane
ausruft:


Jesus auf der Bühne

Theaterräume jedem Bezahlenden versprechen". So ist es begreiflich, wenn
die Stimmung herrscht: das Heilige wird entweiht, wenn es auf die heutige
Bühne kommt. Wohl ist es das größte Trauerspiel, das die Menschheit erlebt
hat: das heldenhafte Ringen Jesu um sein Volk, und sein tragischer Untergang.
Aber wer wäre würdig, auf der Bühne als Jesus aufzutreten? Man empfindet
es als Verletzung des religiösen Gefühls, wenn der, an dem der Glaube der
Christenheit hängt, auf der heutigen Bühne erscheint. Und allerdings: das
gewöhnliche Theater verträgt Jesus auf der Bühne nicht. Seine Gestalt würde
sich zu fremdartig ausnehmen. Und doch ist es begreiflich: wie die Malerei
immer wieder versucht, die Szenen des Passionsdramas in neuer Auffassung
vorzuführen, so wird auch ein Dramatiker von dieser größten Heldentragödie
angezogen. Es ist ja in ihr alles so echt menschlich begreiflich und zugleich so
heldenhaft groß, der Sieg im äußeren Untergang!

Zwei Dramatiker haben in den letzten Jahren sich an der großen Aufgabe
versucht. Karl Weiser hat eine Tetralogie „Jesus" geschaffen. (Leipzig, Reclam,
1906.) Vier Abende nacheinander führen uns zuerst „Herodes den Großen"
und sein Hofleben vor, darin die Geburt Jesu und die Verfolgung des neu¬
geborenen Königs. Der zweite Abend hat „Johannes den Täufer" zum
Gegenstand, aber der Täufer wird verzeichnet, wenn er „unversöhnliche Rache
den Bedrückern" predigt. Er erscheint zu sehr als Politiker. Ein großer Effekt
wird erzielt, wenn der strenge Prophet in den Hof des liederlichen Antipas tritt.
Seine rauhe Größe verachtet den gesunkenen Herrscher und seine Hofschranzen.
Das führt zu seinem Untergang. Im ganzen gelingt es Weiser besser, die
Personen um Jesus und Johannes zu zeichnen als diese selbst. Im dritten
Stück „Der Heiland" verfällt Weiser anfangs in den Ton des Lustspiels, wenn
er die Hochzeit zu Kana so darstellt: der reiche Brautvater rückt den Wein aus
seinem Keller nicht heraus. Jesus läßt alle Krüge mit Wasser füllen. „Das
ist ja Wasser!" sagen enttäuscht die Gäste. Doch die Rede Jesu würzt das
Wasser, als wäre es Wein! Weiser unterscheidet auch sonst nicht die ausschmückende
Legende und die kritisch sichere Geschichte. Der größte Fehler ist: die „übernatürliche"
Geburt wird rationalisiert und entweiht, wenn ein Liebesverkehr mit einem
engelsgleichen Menschen heraus gesponnen wird. Die Erzählung bleibt nur weihe¬
voll, wenn sie als verherrlichende Dichtung betrachtet wird. Auch darin wird
Jesus verzeichnet, wenn er auf einer Wanderung nach Indien die heilige Lehre
vom Mitleid mitbringt und nun den Gott seiner Väter als den engen, beschränkten
Nationalgott ansieht. Weiser führt viel farbenreiche Bilder vor. Maria
Magdalena erscheint als die Geliebte des Antipas, des Kaiphas und des Pilatus.
Der Königshof und politische Intrigen von Judas Ischarioth nehmen einen
großen Raum ein. Die Person Jesu tritt zuweilen zurück hinter allen Neben¬
figuren, die weit wirksamer sind. Im ganzen ist Weihers Versuch mißglückt.
Jesus erscheint im vierten Teil „Jesu Leid" zu klein, wenn er in Gethsemane
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/582>, abgerufen am 01.07.2024.