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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Reichsspiegel

Anwärter verfügen konnten, als der Staat. Diesen Zustand wollte man 1906
beseitigen und zugleich aus Billigkeitsgründen beide Kategorien gleichstellen.
Anstatt nun aber die für den Gemeindedienst gültigen Bestimmungen für den
Staatsdienst zu übernehmen, und alle im Zioildienst verwendeten Offiziere
gleich gut zu stellen, machte man es umgekehrt und stellte sie alle gleich schlecht.
Im wesentlichen der Kostenersparnis wegen. Der Herr Verfasser der in Rede
stehenden Broschüre meint, zu dieser sei der Staat im Interesse der Steuer¬
zahler verpflichtet. Es zeigt dies, meiner Ansicht nach, daß er die Wichtigkeit
der ganzen Frage als einer sozialen nicht genügend würdigt. Wir haben
Millionen und aber Millionen ausgegeben für das Wohl der Arbeiter und Un¬
bemittelten, für Leute, die noch keinen Finger für das Staatswohl gerührt haben,
ohne daß wir hier in erster Linie die Interessen der Steuerzahler mitsprechen
ließen. Denn wir erkennen, daß der Staat die Pflicht hat, bei vorhandenen
sozialen Schäden helfend einzugreifen, ohne sich immer auf den engen fiskalischen
Standpunkt zu stellen. Was aber den einfachsten Arbeitern recht ist, das sollte
doch den altgedienter Offizieren billig sein.

Endlich liegt dies System nicht im Interesse der Armee. Sehr richtig hat, nach
Zeitungsberichten, der Vertreter des Kriegsministeriums in der Budgetkommisston
des Reichstages, Generalleutnant Bacmeister, gesagt: "Die Versorgungsfrage ist
eine Lebensfrage für die Armee." Das gilt hinsichtlich der Offiziere fast noch
mehr als hinsichtlich der Unteroffiziere. Nur wenn die Zukunft der Offiziere,
auch derjenigen, die den aktiven Dienst vorzeitig verlassen müssen, in auskömmlicher
Weise sichergestellt ist, wird die Armee ihren alten bewährten Offizierersatz auch
in voller Güte sich bewahren können. Mit der Güte dieses Offizierersatzes steht
und fällt aber auch die Tüchtigkeit der Armee. Der Staat sollte also kein
Mittel vorübergehen lassen, die Versorgung der alten Offiziere zu heben. Der
Fortfall der Kürzungsbestimmungen ist hier eines der geeignetsten.

Ein weiterer Punkt, in welchem ich mit dem Herrn Verfasser nicht ein¬
verstanden sein kann, ist seine Ansicht über die Unterordnung des Offiziers unter
frühere Untergebene. Er schreibt hierüber: "Vielen früheren Offizieren wird
eine Anzahl der Stellen der Gruppe IZ." (d. i. der Stellen im Reichs-, Staats¬
und Kommunaldienst) "in Anbetracht ihrer bisherigen Stellung als sozial nicht
angemessen erscheinen. Sie können auch in die Lage kommen, mit früheren
Untergebenen im Wettbewerb um dieselbe Stelle zusammen zu treffen, ja unter
ihnen arbeiten zu müssen. Gewiß kein angenehmes Gefühl und eine Situation,
die von beiden Seiten Takt erfordert. Der ehemalige Offizier wird sich dann
sagen müssen, daß er eben, durch die Ungunst der Verhältnisse geführt, mitten
drin steht im harten Kampf ums Dasein. Er muß sich klar darüber sein, schon
bevor er sich um irgendeine Stelle bewirbt, daß er nicht mehr Mitglied einer
festgefügten Organisation ist, die allen ihren Angehörigen ohne weiteres eine
sozial fest umschriebene, gesicherte Stellung schafft. Mit einem Worte, er muß
den Mut der Situation besitzen."


Reichsspiegel

Anwärter verfügen konnten, als der Staat. Diesen Zustand wollte man 1906
beseitigen und zugleich aus Billigkeitsgründen beide Kategorien gleichstellen.
Anstatt nun aber die für den Gemeindedienst gültigen Bestimmungen für den
Staatsdienst zu übernehmen, und alle im Zioildienst verwendeten Offiziere
gleich gut zu stellen, machte man es umgekehrt und stellte sie alle gleich schlecht.
Im wesentlichen der Kostenersparnis wegen. Der Herr Verfasser der in Rede
stehenden Broschüre meint, zu dieser sei der Staat im Interesse der Steuer¬
zahler verpflichtet. Es zeigt dies, meiner Ansicht nach, daß er die Wichtigkeit
der ganzen Frage als einer sozialen nicht genügend würdigt. Wir haben
Millionen und aber Millionen ausgegeben für das Wohl der Arbeiter und Un¬
bemittelten, für Leute, die noch keinen Finger für das Staatswohl gerührt haben,
ohne daß wir hier in erster Linie die Interessen der Steuerzahler mitsprechen
ließen. Denn wir erkennen, daß der Staat die Pflicht hat, bei vorhandenen
sozialen Schäden helfend einzugreifen, ohne sich immer auf den engen fiskalischen
Standpunkt zu stellen. Was aber den einfachsten Arbeitern recht ist, das sollte
doch den altgedienter Offizieren billig sein.

Endlich liegt dies System nicht im Interesse der Armee. Sehr richtig hat, nach
Zeitungsberichten, der Vertreter des Kriegsministeriums in der Budgetkommisston
des Reichstages, Generalleutnant Bacmeister, gesagt: „Die Versorgungsfrage ist
eine Lebensfrage für die Armee." Das gilt hinsichtlich der Offiziere fast noch
mehr als hinsichtlich der Unteroffiziere. Nur wenn die Zukunft der Offiziere,
auch derjenigen, die den aktiven Dienst vorzeitig verlassen müssen, in auskömmlicher
Weise sichergestellt ist, wird die Armee ihren alten bewährten Offizierersatz auch
in voller Güte sich bewahren können. Mit der Güte dieses Offizierersatzes steht
und fällt aber auch die Tüchtigkeit der Armee. Der Staat sollte also kein
Mittel vorübergehen lassen, die Versorgung der alten Offiziere zu heben. Der
Fortfall der Kürzungsbestimmungen ist hier eines der geeignetsten.

Ein weiterer Punkt, in welchem ich mit dem Herrn Verfasser nicht ein¬
verstanden sein kann, ist seine Ansicht über die Unterordnung des Offiziers unter
frühere Untergebene. Er schreibt hierüber: „Vielen früheren Offizieren wird
eine Anzahl der Stellen der Gruppe IZ." (d. i. der Stellen im Reichs-, Staats¬
und Kommunaldienst) „in Anbetracht ihrer bisherigen Stellung als sozial nicht
angemessen erscheinen. Sie können auch in die Lage kommen, mit früheren
Untergebenen im Wettbewerb um dieselbe Stelle zusammen zu treffen, ja unter
ihnen arbeiten zu müssen. Gewiß kein angenehmes Gefühl und eine Situation,
die von beiden Seiten Takt erfordert. Der ehemalige Offizier wird sich dann
sagen müssen, daß er eben, durch die Ungunst der Verhältnisse geführt, mitten
drin steht im harten Kampf ums Dasein. Er muß sich klar darüber sein, schon
bevor er sich um irgendeine Stelle bewirbt, daß er nicht mehr Mitglied einer
festgefügten Organisation ist, die allen ihren Angehörigen ohne weiteres eine
sozial fest umschriebene, gesicherte Stellung schafft. Mit einem Worte, er muß
den Mut der Situation besitzen."


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[0058] Reichsspiegel Anwärter verfügen konnten, als der Staat. Diesen Zustand wollte man 1906 beseitigen und zugleich aus Billigkeitsgründen beide Kategorien gleichstellen. Anstatt nun aber die für den Gemeindedienst gültigen Bestimmungen für den Staatsdienst zu übernehmen, und alle im Zioildienst verwendeten Offiziere gleich gut zu stellen, machte man es umgekehrt und stellte sie alle gleich schlecht. Im wesentlichen der Kostenersparnis wegen. Der Herr Verfasser der in Rede stehenden Broschüre meint, zu dieser sei der Staat im Interesse der Steuer¬ zahler verpflichtet. Es zeigt dies, meiner Ansicht nach, daß er die Wichtigkeit der ganzen Frage als einer sozialen nicht genügend würdigt. Wir haben Millionen und aber Millionen ausgegeben für das Wohl der Arbeiter und Un¬ bemittelten, für Leute, die noch keinen Finger für das Staatswohl gerührt haben, ohne daß wir hier in erster Linie die Interessen der Steuerzahler mitsprechen ließen. Denn wir erkennen, daß der Staat die Pflicht hat, bei vorhandenen sozialen Schäden helfend einzugreifen, ohne sich immer auf den engen fiskalischen Standpunkt zu stellen. Was aber den einfachsten Arbeitern recht ist, das sollte doch den altgedienter Offizieren billig sein. Endlich liegt dies System nicht im Interesse der Armee. Sehr richtig hat, nach Zeitungsberichten, der Vertreter des Kriegsministeriums in der Budgetkommisston des Reichstages, Generalleutnant Bacmeister, gesagt: „Die Versorgungsfrage ist eine Lebensfrage für die Armee." Das gilt hinsichtlich der Offiziere fast noch mehr als hinsichtlich der Unteroffiziere. Nur wenn die Zukunft der Offiziere, auch derjenigen, die den aktiven Dienst vorzeitig verlassen müssen, in auskömmlicher Weise sichergestellt ist, wird die Armee ihren alten bewährten Offizierersatz auch in voller Güte sich bewahren können. Mit der Güte dieses Offizierersatzes steht und fällt aber auch die Tüchtigkeit der Armee. Der Staat sollte also kein Mittel vorübergehen lassen, die Versorgung der alten Offiziere zu heben. Der Fortfall der Kürzungsbestimmungen ist hier eines der geeignetsten. Ein weiterer Punkt, in welchem ich mit dem Herrn Verfasser nicht ein¬ verstanden sein kann, ist seine Ansicht über die Unterordnung des Offiziers unter frühere Untergebene. Er schreibt hierüber: „Vielen früheren Offizieren wird eine Anzahl der Stellen der Gruppe IZ." (d. i. der Stellen im Reichs-, Staats¬ und Kommunaldienst) „in Anbetracht ihrer bisherigen Stellung als sozial nicht angemessen erscheinen. Sie können auch in die Lage kommen, mit früheren Untergebenen im Wettbewerb um dieselbe Stelle zusammen zu treffen, ja unter ihnen arbeiten zu müssen. Gewiß kein angenehmes Gefühl und eine Situation, die von beiden Seiten Takt erfordert. Der ehemalige Offizier wird sich dann sagen müssen, daß er eben, durch die Ungunst der Verhältnisse geführt, mitten drin steht im harten Kampf ums Dasein. Er muß sich klar darüber sein, schon bevor er sich um irgendeine Stelle bewirbt, daß er nicht mehr Mitglied einer festgefügten Organisation ist, die allen ihren Angehörigen ohne weiteres eine sozial fest umschriebene, gesicherte Stellung schafft. Mit einem Worte, er muß den Mut der Situation besitzen."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/58>, abgerufen am 26.06.2024.