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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Rarl Salzer

ihrem Schlechtgeschwätze im Unrecht wären, so würde ihnen, der Tante Seelchen
und den beiden Geschwistern die Kaution von zehntausend Mark zurückbezahlt --
es wäre überhaupt alles in Ordnung, man wäre reich, und der Pfarrer würde
die kirchliche Beerdigung nicht verweigern.

Wenn . . . wenn . . .1! Ja, wenn . . . wennll

Als Karl in den Hof des Schmiedes Reinig kommt, beschlägt der gerade
einen Gaul. Der Bursche möchte so rasch wie nur möglich durch die Haustür
schlüpfen, um nicht gesehen zu werden. Aber da blickt der Schmied auch schon
von seiner Arbeit auf. Auch der Bauer, der den Huf des Tieres in die Höhe
hält, wendet sich um. Karl grüßt die beiden mit verlegenen Mienen. Die Männer
danken nur und sagen nichts weiter. Darüber will's dem Burschen wie eine
Dankbarkeit aufkommen.

Der Schmied Reinig hat dem Arzt die Wohnung auf städtische Art Herrichten
lassen; man muß nämlich durch einen Glasabschluß, um in die Zimmer zu
gelangen.

Karl schellt. Das Dienstmädchen öffnet; es ist aus dem Dorfe. Der Bursche fragt:

"Marie, ist der Herr Doktor zu sprechen?"

"Wart, Karl, ich will mal fragen!"

Nach einem Weilchen kommt sie zurück, führt Karl in das Sprechzimmer
und heißt ihn, sich zu setzen, bis der Herr Doktor käme. Der Stuhl, auf den sie
einladend mit der Hand zeigt, steht neben dem Skelettmenschen. Der Bursche
schüttelt sich vor Schauder und sagt:

"Nein, Marie, daneben hock ich mich net, lieber bleib ich stehenI"

"Der macht nix mehr!" lacht das Mädchen. "Aber wie du willst! Adscheh!"

Karl braucht nicht lange in der ungemütlichen stummen Gesellschaft zu warten.
Kaum hat das Mädchen sich entfernt, als der Arzt auch schon eintritt. Er streicht
seinen langen schmalen dunklen Bart bei der Frage:

"Nun, Karl Salzer, was willst du?"

Karl dreht seinen Hut in den Händen, sieht den Doktor an und schaut auf
den Boden. Dann holt er tief Atem und antwortet:

"El, Herr Dokter, die Tante hat schon deswegen mit Ihnen gesprochen, aber
ich wollt Ihnen auch noch mal drum bitten, Sie sollten uns doch einen Schein
schreiben, auf daß der Vater kirchlich begraben wird!"

Dem Arzt droht der Geduldsfaden zu reißen, doch er mäßigt sich und sagt,
er könne dem Karl nichts anderes entgegnen als seiner Tante, er müsse die gericht¬
liche Untersuchung abwarten.

In dem Burschen siedets. Dieses ewige Warten, das einen toll machen kann
mit seiner Ungewißheit!

"Herr Dokter, gell, wenn sich rausstellt, daß mein Vater das net ist, wofür
ihn die Bauern halten, dann schreiben Sie uns den Schein. Dann sind wir ja
auch noch ziemlich reiche Leut, und wenn reiche Leut sich umbringen, ist das ja
auch was anders als wenn's arme tun!"

Es kommt eine Bitterkeit in Karl und mit der Bitterkeit ein großer Hohn.
Vielleicht sind die beiden deshalb meistens beisammen, weil der Hohn die Bitternis
erträglicher zu machen scheint.


Grenzboten III 1912 72
Rarl Salzer

ihrem Schlechtgeschwätze im Unrecht wären, so würde ihnen, der Tante Seelchen
und den beiden Geschwistern die Kaution von zehntausend Mark zurückbezahlt —
es wäre überhaupt alles in Ordnung, man wäre reich, und der Pfarrer würde
die kirchliche Beerdigung nicht verweigern.

Wenn . . . wenn . . .1! Ja, wenn . . . wennll

Als Karl in den Hof des Schmiedes Reinig kommt, beschlägt der gerade
einen Gaul. Der Bursche möchte so rasch wie nur möglich durch die Haustür
schlüpfen, um nicht gesehen zu werden. Aber da blickt der Schmied auch schon
von seiner Arbeit auf. Auch der Bauer, der den Huf des Tieres in die Höhe
hält, wendet sich um. Karl grüßt die beiden mit verlegenen Mienen. Die Männer
danken nur und sagen nichts weiter. Darüber will's dem Burschen wie eine
Dankbarkeit aufkommen.

Der Schmied Reinig hat dem Arzt die Wohnung auf städtische Art Herrichten
lassen; man muß nämlich durch einen Glasabschluß, um in die Zimmer zu
gelangen.

Karl schellt. Das Dienstmädchen öffnet; es ist aus dem Dorfe. Der Bursche fragt:

„Marie, ist der Herr Doktor zu sprechen?"

„Wart, Karl, ich will mal fragen!"

Nach einem Weilchen kommt sie zurück, führt Karl in das Sprechzimmer
und heißt ihn, sich zu setzen, bis der Herr Doktor käme. Der Stuhl, auf den sie
einladend mit der Hand zeigt, steht neben dem Skelettmenschen. Der Bursche
schüttelt sich vor Schauder und sagt:

„Nein, Marie, daneben hock ich mich net, lieber bleib ich stehenI"

„Der macht nix mehr!" lacht das Mädchen. „Aber wie du willst! Adscheh!"

Karl braucht nicht lange in der ungemütlichen stummen Gesellschaft zu warten.
Kaum hat das Mädchen sich entfernt, als der Arzt auch schon eintritt. Er streicht
seinen langen schmalen dunklen Bart bei der Frage:

„Nun, Karl Salzer, was willst du?"

Karl dreht seinen Hut in den Händen, sieht den Doktor an und schaut auf
den Boden. Dann holt er tief Atem und antwortet:

„El, Herr Dokter, die Tante hat schon deswegen mit Ihnen gesprochen, aber
ich wollt Ihnen auch noch mal drum bitten, Sie sollten uns doch einen Schein
schreiben, auf daß der Vater kirchlich begraben wird!"

Dem Arzt droht der Geduldsfaden zu reißen, doch er mäßigt sich und sagt,
er könne dem Karl nichts anderes entgegnen als seiner Tante, er müsse die gericht¬
liche Untersuchung abwarten.

In dem Burschen siedets. Dieses ewige Warten, das einen toll machen kann
mit seiner Ungewißheit!

„Herr Dokter, gell, wenn sich rausstellt, daß mein Vater das net ist, wofür
ihn die Bauern halten, dann schreiben Sie uns den Schein. Dann sind wir ja
auch noch ziemlich reiche Leut, und wenn reiche Leut sich umbringen, ist das ja
auch was anders als wenn's arme tun!"

Es kommt eine Bitterkeit in Karl und mit der Bitterkeit ein großer Hohn.
Vielleicht sind die beiden deshalb meistens beisammen, weil der Hohn die Bitternis
erträglicher zu machen scheint.


Grenzboten III 1912 72
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[0577] Rarl Salzer ihrem Schlechtgeschwätze im Unrecht wären, so würde ihnen, der Tante Seelchen und den beiden Geschwistern die Kaution von zehntausend Mark zurückbezahlt — es wäre überhaupt alles in Ordnung, man wäre reich, und der Pfarrer würde die kirchliche Beerdigung nicht verweigern. Wenn . . . wenn . . .1! Ja, wenn . . . wennll Als Karl in den Hof des Schmiedes Reinig kommt, beschlägt der gerade einen Gaul. Der Bursche möchte so rasch wie nur möglich durch die Haustür schlüpfen, um nicht gesehen zu werden. Aber da blickt der Schmied auch schon von seiner Arbeit auf. Auch der Bauer, der den Huf des Tieres in die Höhe hält, wendet sich um. Karl grüßt die beiden mit verlegenen Mienen. Die Männer danken nur und sagen nichts weiter. Darüber will's dem Burschen wie eine Dankbarkeit aufkommen. Der Schmied Reinig hat dem Arzt die Wohnung auf städtische Art Herrichten lassen; man muß nämlich durch einen Glasabschluß, um in die Zimmer zu gelangen. Karl schellt. Das Dienstmädchen öffnet; es ist aus dem Dorfe. Der Bursche fragt: „Marie, ist der Herr Doktor zu sprechen?" „Wart, Karl, ich will mal fragen!" Nach einem Weilchen kommt sie zurück, führt Karl in das Sprechzimmer und heißt ihn, sich zu setzen, bis der Herr Doktor käme. Der Stuhl, auf den sie einladend mit der Hand zeigt, steht neben dem Skelettmenschen. Der Bursche schüttelt sich vor Schauder und sagt: „Nein, Marie, daneben hock ich mich net, lieber bleib ich stehenI" „Der macht nix mehr!" lacht das Mädchen. „Aber wie du willst! Adscheh!" Karl braucht nicht lange in der ungemütlichen stummen Gesellschaft zu warten. Kaum hat das Mädchen sich entfernt, als der Arzt auch schon eintritt. Er streicht seinen langen schmalen dunklen Bart bei der Frage: „Nun, Karl Salzer, was willst du?" Karl dreht seinen Hut in den Händen, sieht den Doktor an und schaut auf den Boden. Dann holt er tief Atem und antwortet: „El, Herr Dokter, die Tante hat schon deswegen mit Ihnen gesprochen, aber ich wollt Ihnen auch noch mal drum bitten, Sie sollten uns doch einen Schein schreiben, auf daß der Vater kirchlich begraben wird!" Dem Arzt droht der Geduldsfaden zu reißen, doch er mäßigt sich und sagt, er könne dem Karl nichts anderes entgegnen als seiner Tante, er müsse die gericht¬ liche Untersuchung abwarten. In dem Burschen siedets. Dieses ewige Warten, das einen toll machen kann mit seiner Ungewißheit! „Herr Dokter, gell, wenn sich rausstellt, daß mein Vater das net ist, wofür ihn die Bauern halten, dann schreiben Sie uns den Schein. Dann sind wir ja auch noch ziemlich reiche Leut, und wenn reiche Leut sich umbringen, ist das ja auch was anders als wenn's arme tun!" Es kommt eine Bitterkeit in Karl und mit der Bitterkeit ein großer Hohn. Vielleicht sind die beiden deshalb meistens beisammen, weil der Hohn die Bitternis erträglicher zu machen scheint. Grenzboten III 1912 72

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/577>, abgerufen am 22.07.2024.