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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Aarl Salzer

und Bauern ihres Vaterlandes, am liebsten ihrer mährischen Heimat, sie bringt
selten stoffliche Überraschungen, sie reizt nicht durch gewollte Dunkelheiten. Klar
und ruhig fließen ihre Geschichten hin, aber sie haben alle wirklichen Fluß,
Fortbewegung zu einem Ziele, man erfährt wahrhafte Schicksale, und zumeist
ist einer da, den das Schicksal reinigt und durch Selbstüberwindung aufwärts
führt. Dabei fehlt alles Moralisieren, alles Schulmeistern -- Marie Ebner
malt das Leben wahrheitsgemäß ab und läßt es eben nur auf Menschen wirken,
denen sie von ihrer eigenen Stärke, Reinheit und Anlage zur Harmonie mit¬
geteilt hat.

Woraus dann ohne weiteres das im besten Wortsinn Erbauliche ihrer
Novellen resultiert, dazu der unbeschreibliche Reiz des Originalen.




Aarl Walzer
<Lin Roman
Richard Knies von
(Dritte Fortsetzung)
ö.

Karl sitzt dumpf brütend auf dem Stuhl, von dem seine Tante aufgestanden
ist. Er sucht in dem Wirrwar seiner Gedanken nach einem Punkt, auf dem er
stehen und alles überblicken könnte, aber er findet nichts. Da verläßt er den
Stuhl und geht ins Zimmer zur kranken Schwester.

Das Mädchen ist wieder ein wenig ruhiger. Die Märzen hat sich Tante
Settchens Strickstrumpf hervorgeholt und nadelt emsig. Bisweilen bleibt der graue
Wollfäden in den Rissen ihrer verarbeiteten Hand hängen. Sie fragt Karl, der,
die Hände in die Hosentaschen bohrend, vor ihr steht, neugierig:

"Sag mal, Karl, wie ist denn alles kommen?"

"Märzenl" antwortet Karl, "seid mir eben still davon wegen dem Made.
Nachher, wenn wir in der Scheuer Gummere zählen, will ich Euch ja alles sagen,
was ich weiß. Die Tante ist nauf aufs Rathaus, und ich muß jetzert Nach
Worms in die Apothek für die Sophie. So lang müßt Ihr noch bei der Sophie
hocken bleiben!"

Der Bursche wendet sich der Kranken zu. Sie liegt, still und teilnahmslos
nach den Fenstern starrend, in den Kissen. Karl fühlt bei dem Anblick ein Weh.
Die Bruderliebe, die noch nie einen Anlaß gehabt hat, aus der tiefsten Quelle zu
dringen, sprudelt in ihm auf, und er ruft mit aller Zärtlichkeit, die ein rauhes
Bauernherz aufbringen kann:


Aarl Salzer

und Bauern ihres Vaterlandes, am liebsten ihrer mährischen Heimat, sie bringt
selten stoffliche Überraschungen, sie reizt nicht durch gewollte Dunkelheiten. Klar
und ruhig fließen ihre Geschichten hin, aber sie haben alle wirklichen Fluß,
Fortbewegung zu einem Ziele, man erfährt wahrhafte Schicksale, und zumeist
ist einer da, den das Schicksal reinigt und durch Selbstüberwindung aufwärts
führt. Dabei fehlt alles Moralisieren, alles Schulmeistern — Marie Ebner
malt das Leben wahrheitsgemäß ab und läßt es eben nur auf Menschen wirken,
denen sie von ihrer eigenen Stärke, Reinheit und Anlage zur Harmonie mit¬
geteilt hat.

Woraus dann ohne weiteres das im besten Wortsinn Erbauliche ihrer
Novellen resultiert, dazu der unbeschreibliche Reiz des Originalen.




Aarl Walzer
<Lin Roman
Richard Knies von
(Dritte Fortsetzung)
ö.

Karl sitzt dumpf brütend auf dem Stuhl, von dem seine Tante aufgestanden
ist. Er sucht in dem Wirrwar seiner Gedanken nach einem Punkt, auf dem er
stehen und alles überblicken könnte, aber er findet nichts. Da verläßt er den
Stuhl und geht ins Zimmer zur kranken Schwester.

Das Mädchen ist wieder ein wenig ruhiger. Die Märzen hat sich Tante
Settchens Strickstrumpf hervorgeholt und nadelt emsig. Bisweilen bleibt der graue
Wollfäden in den Rissen ihrer verarbeiteten Hand hängen. Sie fragt Karl, der,
die Hände in die Hosentaschen bohrend, vor ihr steht, neugierig:

„Sag mal, Karl, wie ist denn alles kommen?"

„Märzenl" antwortet Karl, „seid mir eben still davon wegen dem Made.
Nachher, wenn wir in der Scheuer Gummere zählen, will ich Euch ja alles sagen,
was ich weiß. Die Tante ist nauf aufs Rathaus, und ich muß jetzert Nach
Worms in die Apothek für die Sophie. So lang müßt Ihr noch bei der Sophie
hocken bleiben!"

Der Bursche wendet sich der Kranken zu. Sie liegt, still und teilnahmslos
nach den Fenstern starrend, in den Kissen. Karl fühlt bei dem Anblick ein Weh.
Die Bruderliebe, die noch nie einen Anlaß gehabt hat, aus der tiefsten Quelle zu
dringen, sprudelt in ihm auf, und er ruft mit aller Zärtlichkeit, die ein rauhes
Bauernherz aufbringen kann:


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/575>, abgerufen am 22.07.2024.