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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Österreichische Dichterinnen

wo sie das Tragischste darstellt, sie tut der Tragik keinen Abbruch durch stoisches
Benehmen, das der innersten Wahrheit doch nie entspricht, und sie hat den
wundervollen, aus heiligem, nicht flachem Optimismus fließenden Humor, der
zum Zerschmetternden das Versöhnende fügt.

All dieses, den harmonischen Optimismus, den gütigen Humor, die große
Kunst des Erzählens, hat sie erst spät erworben. Der Kindertränen der Komtesse
Dubsky, die leidenschaftliche Sehnsucht der Baronin Ebner gilt dem Drama
hohen Stils. Sie schafft unter seelischen Qualen manches Bühnenwerk, ohne
einen starken Erfolg, vor allem aber ohne eine völlige innere Befriedigung zu
gewinnen. Nicht eines ihrer Dramen hat sie in ihre gesammelten Werke auf¬
genommen oder auch nur im Buchhandel gelassen. Sie leidet schwer unter
ihren Bemühungen und vermag nicht davon abzustehen. Unter ihren wenigen
Gedichten ist eins, in dem die zärtlichen Angehörigen sprechen: "Das Dichten
reibt dich auf. Wir bitten, laß es! Tu es uns zuliebe." Die gequälte Ant¬
wort lautet: "Ich diene ja, seht ihr, bin willenlos in meines Dämons Macht."
Marie Ebner ist fünfundvierzig Jahre alt, als sie 1875 tief niedergeschlagen
dem Schaffen für die Bühne entsagt. Sie fühlt ihre eigentliche Jugend bis
auf den letzten Rest entschwunden, sie glaubt ihre besten Kräfte vergeudet zu
haben, glaubt den ständigen Enttäuschungen nicht mehr gewachsen zu sein.
Aber ganz vermag sie dem "Dämon" nicht zu entrinnen. Sie nimmt die
Novellistik auf wie ein Surrogat. Als sie nach manchem stolzen Drama die
erste schlichte Erzählung niederschreibe, ist ihr kaum anders zumute als Raimunds
Fortunatus Wurzel, von dem die Jugend Abschied genommen, und der nun
vom Wein zu Tee und Süppchen übergehen muß. Aber der Vergleich stimmt
auch weiter. Wie Fortunatus zu neuen Kräften gelangt, sobald er den seinem
Naturell widersprechenden Prunk los und wieder ein Bauer geworden ist, so
leistet Marie Ebner nun erst, da die prunkende Tätigkeit des dramatischen
Schaffens hinter ihr liegt, als schlichte Erzählerin ihr Wertvollstes. Und nun,
da die innere Befriedigung sich eingestellt hat, kann der äußere Erfolg entbehrt
und in guter Ruhe erwartet werden. Schließlich, wenn auch zögernd, stellt er
sich doch ein. Die Fünfzigjährige hat eine winzige Gemeinde, die Sechzigerin
wird mit großen Ehren genannt, der siebzigste Geburtstag bringt stürmische,
der achtzigste unendliche Lobpreisungen. Und was das Einzigartige an dieser
schließlichen Ruhmesfülle ist: die begeisterte Anerkennung ist nicht auf eine Partei
beschränkt, sondern alle, die Altmodischsten wie die Jüngstmodernen, rühmen
und lieben von Herzen Marie Ebners Kunst.

Es mag der gleiche Grund sein, der das Späte und das Völlige dieser
Anerkennung hervorbrachte. In einer drolligen Parabel: "Die Ausgestoßenen"
eifert die Dichterin einmal gegen die Pedanterie der Literarhistoriker. Sie
könnten nur gebrauchen, was sie in "Fächer und Fächerchen, Laden und Lädchen"
einordnen, was sie glattweg zu registrieren vermöchten. Für "Mißgebilde, die
sich in gar keine Kategorie einteilen lassen", sei keine Verwendung. Das ist


Österreichische Dichterinnen

wo sie das Tragischste darstellt, sie tut der Tragik keinen Abbruch durch stoisches
Benehmen, das der innersten Wahrheit doch nie entspricht, und sie hat den
wundervollen, aus heiligem, nicht flachem Optimismus fließenden Humor, der
zum Zerschmetternden das Versöhnende fügt.

All dieses, den harmonischen Optimismus, den gütigen Humor, die große
Kunst des Erzählens, hat sie erst spät erworben. Der Kindertränen der Komtesse
Dubsky, die leidenschaftliche Sehnsucht der Baronin Ebner gilt dem Drama
hohen Stils. Sie schafft unter seelischen Qualen manches Bühnenwerk, ohne
einen starken Erfolg, vor allem aber ohne eine völlige innere Befriedigung zu
gewinnen. Nicht eines ihrer Dramen hat sie in ihre gesammelten Werke auf¬
genommen oder auch nur im Buchhandel gelassen. Sie leidet schwer unter
ihren Bemühungen und vermag nicht davon abzustehen. Unter ihren wenigen
Gedichten ist eins, in dem die zärtlichen Angehörigen sprechen: „Das Dichten
reibt dich auf. Wir bitten, laß es! Tu es uns zuliebe." Die gequälte Ant¬
wort lautet: „Ich diene ja, seht ihr, bin willenlos in meines Dämons Macht."
Marie Ebner ist fünfundvierzig Jahre alt, als sie 1875 tief niedergeschlagen
dem Schaffen für die Bühne entsagt. Sie fühlt ihre eigentliche Jugend bis
auf den letzten Rest entschwunden, sie glaubt ihre besten Kräfte vergeudet zu
haben, glaubt den ständigen Enttäuschungen nicht mehr gewachsen zu sein.
Aber ganz vermag sie dem „Dämon" nicht zu entrinnen. Sie nimmt die
Novellistik auf wie ein Surrogat. Als sie nach manchem stolzen Drama die
erste schlichte Erzählung niederschreibe, ist ihr kaum anders zumute als Raimunds
Fortunatus Wurzel, von dem die Jugend Abschied genommen, und der nun
vom Wein zu Tee und Süppchen übergehen muß. Aber der Vergleich stimmt
auch weiter. Wie Fortunatus zu neuen Kräften gelangt, sobald er den seinem
Naturell widersprechenden Prunk los und wieder ein Bauer geworden ist, so
leistet Marie Ebner nun erst, da die prunkende Tätigkeit des dramatischen
Schaffens hinter ihr liegt, als schlichte Erzählerin ihr Wertvollstes. Und nun,
da die innere Befriedigung sich eingestellt hat, kann der äußere Erfolg entbehrt
und in guter Ruhe erwartet werden. Schließlich, wenn auch zögernd, stellt er
sich doch ein. Die Fünfzigjährige hat eine winzige Gemeinde, die Sechzigerin
wird mit großen Ehren genannt, der siebzigste Geburtstag bringt stürmische,
der achtzigste unendliche Lobpreisungen. Und was das Einzigartige an dieser
schließlichen Ruhmesfülle ist: die begeisterte Anerkennung ist nicht auf eine Partei
beschränkt, sondern alle, die Altmodischsten wie die Jüngstmodernen, rühmen
und lieben von Herzen Marie Ebners Kunst.

Es mag der gleiche Grund sein, der das Späte und das Völlige dieser
Anerkennung hervorbrachte. In einer drolligen Parabel: „Die Ausgestoßenen"
eifert die Dichterin einmal gegen die Pedanterie der Literarhistoriker. Sie
könnten nur gebrauchen, was sie in „Fächer und Fächerchen, Laden und Lädchen"
einordnen, was sie glattweg zu registrieren vermöchten. Für „Mißgebilde, die
sich in gar keine Kategorie einteilen lassen", sei keine Verwendung. Das ist


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[0572] Österreichische Dichterinnen wo sie das Tragischste darstellt, sie tut der Tragik keinen Abbruch durch stoisches Benehmen, das der innersten Wahrheit doch nie entspricht, und sie hat den wundervollen, aus heiligem, nicht flachem Optimismus fließenden Humor, der zum Zerschmetternden das Versöhnende fügt. All dieses, den harmonischen Optimismus, den gütigen Humor, die große Kunst des Erzählens, hat sie erst spät erworben. Der Kindertränen der Komtesse Dubsky, die leidenschaftliche Sehnsucht der Baronin Ebner gilt dem Drama hohen Stils. Sie schafft unter seelischen Qualen manches Bühnenwerk, ohne einen starken Erfolg, vor allem aber ohne eine völlige innere Befriedigung zu gewinnen. Nicht eines ihrer Dramen hat sie in ihre gesammelten Werke auf¬ genommen oder auch nur im Buchhandel gelassen. Sie leidet schwer unter ihren Bemühungen und vermag nicht davon abzustehen. Unter ihren wenigen Gedichten ist eins, in dem die zärtlichen Angehörigen sprechen: „Das Dichten reibt dich auf. Wir bitten, laß es! Tu es uns zuliebe." Die gequälte Ant¬ wort lautet: „Ich diene ja, seht ihr, bin willenlos in meines Dämons Macht." Marie Ebner ist fünfundvierzig Jahre alt, als sie 1875 tief niedergeschlagen dem Schaffen für die Bühne entsagt. Sie fühlt ihre eigentliche Jugend bis auf den letzten Rest entschwunden, sie glaubt ihre besten Kräfte vergeudet zu haben, glaubt den ständigen Enttäuschungen nicht mehr gewachsen zu sein. Aber ganz vermag sie dem „Dämon" nicht zu entrinnen. Sie nimmt die Novellistik auf wie ein Surrogat. Als sie nach manchem stolzen Drama die erste schlichte Erzählung niederschreibe, ist ihr kaum anders zumute als Raimunds Fortunatus Wurzel, von dem die Jugend Abschied genommen, und der nun vom Wein zu Tee und Süppchen übergehen muß. Aber der Vergleich stimmt auch weiter. Wie Fortunatus zu neuen Kräften gelangt, sobald er den seinem Naturell widersprechenden Prunk los und wieder ein Bauer geworden ist, so leistet Marie Ebner nun erst, da die prunkende Tätigkeit des dramatischen Schaffens hinter ihr liegt, als schlichte Erzählerin ihr Wertvollstes. Und nun, da die innere Befriedigung sich eingestellt hat, kann der äußere Erfolg entbehrt und in guter Ruhe erwartet werden. Schließlich, wenn auch zögernd, stellt er sich doch ein. Die Fünfzigjährige hat eine winzige Gemeinde, die Sechzigerin wird mit großen Ehren genannt, der siebzigste Geburtstag bringt stürmische, der achtzigste unendliche Lobpreisungen. Und was das Einzigartige an dieser schließlichen Ruhmesfülle ist: die begeisterte Anerkennung ist nicht auf eine Partei beschränkt, sondern alle, die Altmodischsten wie die Jüngstmodernen, rühmen und lieben von Herzen Marie Ebners Kunst. Es mag der gleiche Grund sein, der das Späte und das Völlige dieser Anerkennung hervorbrachte. In einer drolligen Parabel: „Die Ausgestoßenen" eifert die Dichterin einmal gegen die Pedanterie der Literarhistoriker. Sie könnten nur gebrauchen, was sie in „Fächer und Fächerchen, Laden und Lädchen" einordnen, was sie glattweg zu registrieren vermöchten. Für „Mißgebilde, die sich in gar keine Kategorie einteilen lassen", sei keine Verwendung. Das ist

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/572>, abgerufen am 03.07.2024.