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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Österreichische Dichterinnen

schwerere Anklagen gegen das "Denkwürdige Jahr" nicht einstimmen. Man hat
es gelegentlich für einen Akt der Intoleranz erklärt, daß der "Athens" Mac
Endoll durch ein Berliner protestantisches Gericht für seine philosophische Über-
zeugungstreue so schrecklich leiden müsse, während Enrica Handels heimischer
Katholizismus in mildem Glänze erstrahle, und man hat es zu zweit als arg
tendenziös bezeichnet, daß der Sohn des Gottesleugners, eines Pantheisten
übrigens, seinen Weg zum Katholizismus hinüber finde. Der erste Vorwurf
wurde hinfällig, sobald die Dichterin in späteren Werken auch durch katholische
Richter harte Sprüche fällen ließ (wie denn Sünde und Sühne Lieblings¬
vorstellungen ihrer Phantasie ausmachen). Sie malt harte und milde Richter
beider Konfessionen, sie macht kein Hehl daraus, daß sie die Milde der Strenge
vorziehe, aber es ist ihr doch eine durchaus geläufige und nicht unliebe Vor¬
stellung, daß irdische Sühne spätere Qualen abwende. Der Vorwurf des
Tendenziösen in der Bekehrungsgeschichte wiederum ist haltlos, weil es sich bei
dem kleinen Edwin um gar keine eigentliche Bekehrung handelt. Denn bekehren
kann doch nur heißen, einen denkenden Menschen von der Schlechtigkeit seiner
Meinung zugunsten einer anderen zu überzeugen. Das Kind Edwin aber weiß
von dem Wesen des Protestantismus so wenig wie von dem des Katholizismus,
und also naturgemäß auch gar nichts von dem Unterschied beider Konfessionen.
Es weiß nur, wie viel Liebe es bei Pater Meinrad in: Kloster Kremsmünster
gefunden, und wie gräßlich die Protestanten seinen stolzen Vater gefoltert haben;
so wendet sich Edwin mit begreiflichen Schaudern von einer Kirche ab, an der das
Blut seines Vaters klebt, mit begreiflicher Sehnsucht einer Friedensstätte zu, in
der ihn ein anderer Vater erwartet. Ich glaube, das Buch besitzt so wenig
tendenziöse Schwächen wie philosophische Vorzüge. Enrica Handel philosophiert
nicht, sondern sie glaubt, sie polemisiert nicht, sondern sie bemitleidet. Man
muß das hinnehmen und sich ihrer dichterischen Gaben freuen. Dichterisch in
diesem Roman ist das aufgerollte Kulturgemälde des Klosterlebens, dichterisch
ist die ungemeine Fülle der Charaktere, und dichterisch vor allen: ist die Dar¬
stellung des Knaben und des innigen Verhältnisses zwischen dem kindlich ein¬
fältigen Mönch und der ihm anvertrauten Kindesseele. Und gerade in diesem
zentralen Punkt des Buches macht sich bei aller historischen Ferne doch die
Gegenwart, in der die Dichterin lebt, bemerkbar: da spürt man etwas wie eine
Verwandtschaft der frommen Katholikin mit ihrer Antipodin Ellen Key; auch
Enrica Handel lebt im Jahrhundert des Kindes, auch ihr ist das Kind ein Gegen¬
stand fast religiöser Verehrung.

Das Kind und die Mutter -- in dieser Erweiterung, mit stärkerer Be¬
tonung des Modernen, mit einer unbeschreiblich kunstvollen und dabei vielleicht
unbewußten Verquickung im Anbeten irdischer Mutterschaft und Verehrer der
himmlischen Muttergottes herrscht der gleiche Gedanke in Enrica Handels bedeutend
weiter gedehntem und stilistisch bedeutend freier geschriebenen nächsten Werk, dem
Roman aus dem Donaulande: "Jesse und Maria". Von irgendeinem sonderlichen


Österreichische Dichterinnen

schwerere Anklagen gegen das „Denkwürdige Jahr" nicht einstimmen. Man hat
es gelegentlich für einen Akt der Intoleranz erklärt, daß der „Athens" Mac
Endoll durch ein Berliner protestantisches Gericht für seine philosophische Über-
zeugungstreue so schrecklich leiden müsse, während Enrica Handels heimischer
Katholizismus in mildem Glänze erstrahle, und man hat es zu zweit als arg
tendenziös bezeichnet, daß der Sohn des Gottesleugners, eines Pantheisten
übrigens, seinen Weg zum Katholizismus hinüber finde. Der erste Vorwurf
wurde hinfällig, sobald die Dichterin in späteren Werken auch durch katholische
Richter harte Sprüche fällen ließ (wie denn Sünde und Sühne Lieblings¬
vorstellungen ihrer Phantasie ausmachen). Sie malt harte und milde Richter
beider Konfessionen, sie macht kein Hehl daraus, daß sie die Milde der Strenge
vorziehe, aber es ist ihr doch eine durchaus geläufige und nicht unliebe Vor¬
stellung, daß irdische Sühne spätere Qualen abwende. Der Vorwurf des
Tendenziösen in der Bekehrungsgeschichte wiederum ist haltlos, weil es sich bei
dem kleinen Edwin um gar keine eigentliche Bekehrung handelt. Denn bekehren
kann doch nur heißen, einen denkenden Menschen von der Schlechtigkeit seiner
Meinung zugunsten einer anderen zu überzeugen. Das Kind Edwin aber weiß
von dem Wesen des Protestantismus so wenig wie von dem des Katholizismus,
und also naturgemäß auch gar nichts von dem Unterschied beider Konfessionen.
Es weiß nur, wie viel Liebe es bei Pater Meinrad in: Kloster Kremsmünster
gefunden, und wie gräßlich die Protestanten seinen stolzen Vater gefoltert haben;
so wendet sich Edwin mit begreiflichen Schaudern von einer Kirche ab, an der das
Blut seines Vaters klebt, mit begreiflicher Sehnsucht einer Friedensstätte zu, in
der ihn ein anderer Vater erwartet. Ich glaube, das Buch besitzt so wenig
tendenziöse Schwächen wie philosophische Vorzüge. Enrica Handel philosophiert
nicht, sondern sie glaubt, sie polemisiert nicht, sondern sie bemitleidet. Man
muß das hinnehmen und sich ihrer dichterischen Gaben freuen. Dichterisch in
diesem Roman ist das aufgerollte Kulturgemälde des Klosterlebens, dichterisch
ist die ungemeine Fülle der Charaktere, und dichterisch vor allen: ist die Dar¬
stellung des Knaben und des innigen Verhältnisses zwischen dem kindlich ein¬
fältigen Mönch und der ihm anvertrauten Kindesseele. Und gerade in diesem
zentralen Punkt des Buches macht sich bei aller historischen Ferne doch die
Gegenwart, in der die Dichterin lebt, bemerkbar: da spürt man etwas wie eine
Verwandtschaft der frommen Katholikin mit ihrer Antipodin Ellen Key; auch
Enrica Handel lebt im Jahrhundert des Kindes, auch ihr ist das Kind ein Gegen¬
stand fast religiöser Verehrung.

Das Kind und die Mutter — in dieser Erweiterung, mit stärkerer Be¬
tonung des Modernen, mit einer unbeschreiblich kunstvollen und dabei vielleicht
unbewußten Verquickung im Anbeten irdischer Mutterschaft und Verehrer der
himmlischen Muttergottes herrscht der gleiche Gedanke in Enrica Handels bedeutend
weiter gedehntem und stilistisch bedeutend freier geschriebenen nächsten Werk, dem
Roman aus dem Donaulande: „Jesse und Maria". Von irgendeinem sonderlichen


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[0568] Österreichische Dichterinnen schwerere Anklagen gegen das „Denkwürdige Jahr" nicht einstimmen. Man hat es gelegentlich für einen Akt der Intoleranz erklärt, daß der „Athens" Mac Endoll durch ein Berliner protestantisches Gericht für seine philosophische Über- zeugungstreue so schrecklich leiden müsse, während Enrica Handels heimischer Katholizismus in mildem Glänze erstrahle, und man hat es zu zweit als arg tendenziös bezeichnet, daß der Sohn des Gottesleugners, eines Pantheisten übrigens, seinen Weg zum Katholizismus hinüber finde. Der erste Vorwurf wurde hinfällig, sobald die Dichterin in späteren Werken auch durch katholische Richter harte Sprüche fällen ließ (wie denn Sünde und Sühne Lieblings¬ vorstellungen ihrer Phantasie ausmachen). Sie malt harte und milde Richter beider Konfessionen, sie macht kein Hehl daraus, daß sie die Milde der Strenge vorziehe, aber es ist ihr doch eine durchaus geläufige und nicht unliebe Vor¬ stellung, daß irdische Sühne spätere Qualen abwende. Der Vorwurf des Tendenziösen in der Bekehrungsgeschichte wiederum ist haltlos, weil es sich bei dem kleinen Edwin um gar keine eigentliche Bekehrung handelt. Denn bekehren kann doch nur heißen, einen denkenden Menschen von der Schlechtigkeit seiner Meinung zugunsten einer anderen zu überzeugen. Das Kind Edwin aber weiß von dem Wesen des Protestantismus so wenig wie von dem des Katholizismus, und also naturgemäß auch gar nichts von dem Unterschied beider Konfessionen. Es weiß nur, wie viel Liebe es bei Pater Meinrad in: Kloster Kremsmünster gefunden, und wie gräßlich die Protestanten seinen stolzen Vater gefoltert haben; so wendet sich Edwin mit begreiflichen Schaudern von einer Kirche ab, an der das Blut seines Vaters klebt, mit begreiflicher Sehnsucht einer Friedensstätte zu, in der ihn ein anderer Vater erwartet. Ich glaube, das Buch besitzt so wenig tendenziöse Schwächen wie philosophische Vorzüge. Enrica Handel philosophiert nicht, sondern sie glaubt, sie polemisiert nicht, sondern sie bemitleidet. Man muß das hinnehmen und sich ihrer dichterischen Gaben freuen. Dichterisch in diesem Roman ist das aufgerollte Kulturgemälde des Klosterlebens, dichterisch ist die ungemeine Fülle der Charaktere, und dichterisch vor allen: ist die Dar¬ stellung des Knaben und des innigen Verhältnisses zwischen dem kindlich ein¬ fältigen Mönch und der ihm anvertrauten Kindesseele. Und gerade in diesem zentralen Punkt des Buches macht sich bei aller historischen Ferne doch die Gegenwart, in der die Dichterin lebt, bemerkbar: da spürt man etwas wie eine Verwandtschaft der frommen Katholikin mit ihrer Antipodin Ellen Key; auch Enrica Handel lebt im Jahrhundert des Kindes, auch ihr ist das Kind ein Gegen¬ stand fast religiöser Verehrung. Das Kind und die Mutter — in dieser Erweiterung, mit stärkerer Be¬ tonung des Modernen, mit einer unbeschreiblich kunstvollen und dabei vielleicht unbewußten Verquickung im Anbeten irdischer Mutterschaft und Verehrer der himmlischen Muttergottes herrscht der gleiche Gedanke in Enrica Handels bedeutend weiter gedehntem und stilistisch bedeutend freier geschriebenen nächsten Werk, dem Roman aus dem Donaulande: „Jesse und Maria". Von irgendeinem sonderlichen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/568>, abgerufen am 22.07.2024.