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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Die Neuroyalisten in Frankreich

arbeiten, so verkehrt ist es von ihnen zu behaupten, die Zerstörung der Lokal¬
gewalten wäre ein Werk der Revolution und den Traditionen des alten Frank¬
reichs entgegen, die Republik wäre im Prinzip zentralistisch. Allerdings lag den
Revolutionsmännern viel an einer straff organisierten Zentralgewalt, da sie
Paris in der Hand hatten; und zu diesem Zwecke haben sie an die Stelle der
durch ihre Parlamente recht selbständigen königlichen Provinzen die willkürlich
geschaffene Dcpartementseinteilung gesetzt. Aber damit blieben sie einigermaßen
in der Tradition, denn die Absorbierung der Provinz durch Paris hat schon
zwölf Jahrhunderte vor der das "anLien rüZime" umfassenden Zeit eingesetzt
und alle französischen Könige haben "n ihr gearbeitet. Erinnert man sich dieser
historischen Tatsache, so erscheint die Verknüpfung der Dezentralisationsforderung
mit der Verfassungsfrage als kaum mehr denn ein geschicktes taktisches Manöver
von feiten der Royalisten. Prinzipiell ist sie durchaus keine Forderung der
französischen Monarchie.

Etwas ganz anderes ist es dagegen mit einer weiteren aktuellen Frage, die
für die Theorie des absoluten Königtums von Bedeutung ist: mit dem Anti-
parlamentarismus. Frankreich ist parlamentsmüde. Die Zahl der Wähler
nimmt ab, die Gleichgültigkeit gegen den Parlamentarismus wächst. Zahlreiche
politische Skandale, die offenbare Korruption eines Teils der politischen Welt,
der Mandatshunger (15 000 Franken Gehalt im Jahr!), der Stimmenkauf, das
Versagen in wahrhaft großen Fragen, die Enttäuschung einiger Bevölkerungs¬
schichten, die ihre Wünsche vom Parlament nicht erfüllt sahen: alles dies hat
mit den Volksvertretern auch die Volksvertretung in Mißkredit gebracht. Seit
geraumer Zeit lebt eine antiparlamentarische Propaganda, die besonders von der
Lonföäüi'Allein an 1>g,van (den Gewerkschaftlern unter den Sozialisten) geführt
wird und zur Stimmenthaltung bei den Wahlen auffordert. Diese Stimmung
ist von den Royalisten bald erkannt und gefördert worden. Sie greifen zu
folgender Beweisführung: Die Deputierten und die aus ihrer Zahl gewählten
Minister sind vollkommen unfähig und korrumpiert; das System der Volks¬
vertretung führt zu einem Wirrwarr von Komvetenzlosigkeit und Unordnung,
zu einer würdelosen Komödie, in der die wahren Lebensinteressen Frankreichs
gar nicht zu Worte kommen; in der Sorge um die eigene Wiederwahl, um die
Interessen seiner Wähler und seiner Partei geht dem Abgeordneten das nationale
Bewußtsein verloren; nur ein nationaler, unbeschränkter und unabhängiger König
kann im Innern die Unterschiede gerecht und naturgemäß verteilen und nach
außen hin die nationale Würde wahren. Die Republikaner haben aus Frank¬
reich eine Interessengemeinschaft gemacht, eine G. in. b. H. -- erst das Königtum
könne wieder ein wahres Vaterland schaffen!

Die Kraft und Werbemacht des Neuroyalismus liegt in der Negierung,
im Angriff, in der Kritik des bestehenden Regimes. Die Action Fran?aise ist
ihr Organ; Aktion und nicht Resignation ist ihr Wahlspruch. Über das ganze
Land sind Ortsgruppen verstreut, Schulen royalistischer Weltanschauung und


Die Neuroyalisten in Frankreich

arbeiten, so verkehrt ist es von ihnen zu behaupten, die Zerstörung der Lokal¬
gewalten wäre ein Werk der Revolution und den Traditionen des alten Frank¬
reichs entgegen, die Republik wäre im Prinzip zentralistisch. Allerdings lag den
Revolutionsmännern viel an einer straff organisierten Zentralgewalt, da sie
Paris in der Hand hatten; und zu diesem Zwecke haben sie an die Stelle der
durch ihre Parlamente recht selbständigen königlichen Provinzen die willkürlich
geschaffene Dcpartementseinteilung gesetzt. Aber damit blieben sie einigermaßen
in der Tradition, denn die Absorbierung der Provinz durch Paris hat schon
zwölf Jahrhunderte vor der das „anLien rüZime" umfassenden Zeit eingesetzt
und alle französischen Könige haben «n ihr gearbeitet. Erinnert man sich dieser
historischen Tatsache, so erscheint die Verknüpfung der Dezentralisationsforderung
mit der Verfassungsfrage als kaum mehr denn ein geschicktes taktisches Manöver
von feiten der Royalisten. Prinzipiell ist sie durchaus keine Forderung der
französischen Monarchie.

Etwas ganz anderes ist es dagegen mit einer weiteren aktuellen Frage, die
für die Theorie des absoluten Königtums von Bedeutung ist: mit dem Anti-
parlamentarismus. Frankreich ist parlamentsmüde. Die Zahl der Wähler
nimmt ab, die Gleichgültigkeit gegen den Parlamentarismus wächst. Zahlreiche
politische Skandale, die offenbare Korruption eines Teils der politischen Welt,
der Mandatshunger (15 000 Franken Gehalt im Jahr!), der Stimmenkauf, das
Versagen in wahrhaft großen Fragen, die Enttäuschung einiger Bevölkerungs¬
schichten, die ihre Wünsche vom Parlament nicht erfüllt sahen: alles dies hat
mit den Volksvertretern auch die Volksvertretung in Mißkredit gebracht. Seit
geraumer Zeit lebt eine antiparlamentarische Propaganda, die besonders von der
Lonföäüi'Allein an 1>g,van (den Gewerkschaftlern unter den Sozialisten) geführt
wird und zur Stimmenthaltung bei den Wahlen auffordert. Diese Stimmung
ist von den Royalisten bald erkannt und gefördert worden. Sie greifen zu
folgender Beweisführung: Die Deputierten und die aus ihrer Zahl gewählten
Minister sind vollkommen unfähig und korrumpiert; das System der Volks¬
vertretung führt zu einem Wirrwarr von Komvetenzlosigkeit und Unordnung,
zu einer würdelosen Komödie, in der die wahren Lebensinteressen Frankreichs
gar nicht zu Worte kommen; in der Sorge um die eigene Wiederwahl, um die
Interessen seiner Wähler und seiner Partei geht dem Abgeordneten das nationale
Bewußtsein verloren; nur ein nationaler, unbeschränkter und unabhängiger König
kann im Innern die Unterschiede gerecht und naturgemäß verteilen und nach
außen hin die nationale Würde wahren. Die Republikaner haben aus Frank¬
reich eine Interessengemeinschaft gemacht, eine G. in. b. H. — erst das Königtum
könne wieder ein wahres Vaterland schaffen!

Die Kraft und Werbemacht des Neuroyalismus liegt in der Negierung,
im Angriff, in der Kritik des bestehenden Regimes. Die Action Fran?aise ist
ihr Organ; Aktion und nicht Resignation ist ihr Wahlspruch. Über das ganze
Land sind Ortsgruppen verstreut, Schulen royalistischer Weltanschauung und


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[0499] Die Neuroyalisten in Frankreich arbeiten, so verkehrt ist es von ihnen zu behaupten, die Zerstörung der Lokal¬ gewalten wäre ein Werk der Revolution und den Traditionen des alten Frank¬ reichs entgegen, die Republik wäre im Prinzip zentralistisch. Allerdings lag den Revolutionsmännern viel an einer straff organisierten Zentralgewalt, da sie Paris in der Hand hatten; und zu diesem Zwecke haben sie an die Stelle der durch ihre Parlamente recht selbständigen königlichen Provinzen die willkürlich geschaffene Dcpartementseinteilung gesetzt. Aber damit blieben sie einigermaßen in der Tradition, denn die Absorbierung der Provinz durch Paris hat schon zwölf Jahrhunderte vor der das „anLien rüZime" umfassenden Zeit eingesetzt und alle französischen Könige haben «n ihr gearbeitet. Erinnert man sich dieser historischen Tatsache, so erscheint die Verknüpfung der Dezentralisationsforderung mit der Verfassungsfrage als kaum mehr denn ein geschicktes taktisches Manöver von feiten der Royalisten. Prinzipiell ist sie durchaus keine Forderung der französischen Monarchie. Etwas ganz anderes ist es dagegen mit einer weiteren aktuellen Frage, die für die Theorie des absoluten Königtums von Bedeutung ist: mit dem Anti- parlamentarismus. Frankreich ist parlamentsmüde. Die Zahl der Wähler nimmt ab, die Gleichgültigkeit gegen den Parlamentarismus wächst. Zahlreiche politische Skandale, die offenbare Korruption eines Teils der politischen Welt, der Mandatshunger (15 000 Franken Gehalt im Jahr!), der Stimmenkauf, das Versagen in wahrhaft großen Fragen, die Enttäuschung einiger Bevölkerungs¬ schichten, die ihre Wünsche vom Parlament nicht erfüllt sahen: alles dies hat mit den Volksvertretern auch die Volksvertretung in Mißkredit gebracht. Seit geraumer Zeit lebt eine antiparlamentarische Propaganda, die besonders von der Lonföäüi'Allein an 1>g,van (den Gewerkschaftlern unter den Sozialisten) geführt wird und zur Stimmenthaltung bei den Wahlen auffordert. Diese Stimmung ist von den Royalisten bald erkannt und gefördert worden. Sie greifen zu folgender Beweisführung: Die Deputierten und die aus ihrer Zahl gewählten Minister sind vollkommen unfähig und korrumpiert; das System der Volks¬ vertretung führt zu einem Wirrwarr von Komvetenzlosigkeit und Unordnung, zu einer würdelosen Komödie, in der die wahren Lebensinteressen Frankreichs gar nicht zu Worte kommen; in der Sorge um die eigene Wiederwahl, um die Interessen seiner Wähler und seiner Partei geht dem Abgeordneten das nationale Bewußtsein verloren; nur ein nationaler, unbeschränkter und unabhängiger König kann im Innern die Unterschiede gerecht und naturgemäß verteilen und nach außen hin die nationale Würde wahren. Die Republikaner haben aus Frank¬ reich eine Interessengemeinschaft gemacht, eine G. in. b. H. — erst das Königtum könne wieder ein wahres Vaterland schaffen! Die Kraft und Werbemacht des Neuroyalismus liegt in der Negierung, im Angriff, in der Kritik des bestehenden Regimes. Die Action Fran?aise ist ihr Organ; Aktion und nicht Resignation ist ihr Wahlspruch. Über das ganze Land sind Ortsgruppen verstreut, Schulen royalistischer Weltanschauung und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/499>, abgerufen am 01.10.2024.