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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Die Ncuroyalisten in Frankreich

seiner Tradition und Geschichte gemäßes Leben führen. Unter Tradition und
Geschichte ist hier natürlich das erbliche Königtum zu verstehen, das so viele
Jahrhunderte in Frankreich geherrscht hat. Diese Tradition sei durch die
Revolution abgebrochen worden und müsse uun wieder erneuert werden, wenn
Frankreich nicht von den "Mischungen" überwältigt werden wolle. Rassen¬
reinheit sei eine der Hauptlebensbedingungen der Staaten, denn die Nation sei
kein zufälliges Produkt. Die These vom Lontrat 80LmI, die in der Revolution
aufgestellt wurde, sei falsch, denn tatsächlich sei die Zugehörigkeit zu einer
Nation kein freiwilliger Akt, sondern ein natürlicher, historisch begründeter
Vorgang. Durch Eltern und Geburt wird jedem das Vaterland bestimmt.
Die völkische Gemeinschaft sei nicht sozialer Art, wie die dritte Republik
behauptet, sie ruhe auf dem alten ererbten nationalen Zusammengehörigkeits¬
gefühl, auf der gemeinsamen Geschichte, dem gemeinsamen Charakter, der ererbten
Autorität, also auch auf dem Königtum.

Die Ziele und Wünsche der Neuroyalisten treten deutlicher hervor durch
den Gegensatz zum Bestehenden. Sie wollen in allen Punkten etwas Neues,
Anderes, Gegensätzliches als die Republikaner. Sie wollen nicht nur die jetzige
Negierung durch einen König ersetzen, vielmehr soll -- und darin unterscheiden
sie sich auch von den Altroyalisten -- das .Königtum auf einem durchaus
anderen Prinzip errichtet werden: während die Republik demokratisch und
angeblich sozial ist, soll das Königtum Frankreich die alte Ständeordnung
als Grundlage haben und lediglich national sein. Die Demokratie sei schuld
am Strebertum und Egoismus der Zeit, an der Unfähigkeit der leitenden
Männer, an der Unzufriedenheit und Begehrlichkeit der unteren Klassen. Paul
Bourget, der Traditionist, zeigt in seinem Roman "I_/IÄÄpe", wie die Etappen
zwischen den einzelnen Gesellschaftsschichten nur mit großen Opfern an Glück,
mit dem gleichzeitigen Zusammenbruch einer ganzen Familie zu überschreiten
seien. Die alten traditionellen Schranken würden dagegen ein gar zu rasches
Aufsteigen verhindern, die Begehrlichkeit dämpfen und weit sicherer als soziale
Gesetze eine harmonische Gestaltung der Gesellschaft ermöglichen. Als die alten
Innungen und Klassen noch bestanden, da habe es nicht so viel Elend und
Armut gegeben wie heute unter der "sozialen Republik".

Die so fundamentierte Monarchie müsse auch mit der republikanischen Ver¬
waltung brechen: so bildet politische und wirtschaftliche Dezentralisation ein
weiteres Ziel des Neuroyalismus. Tatsächlich stellt die Zentralisation der
gesamten Verwaltung in Paris, die Ohnmacht und Abhängigkeit der Lokal¬
gewalten, die Bevormundung durch die Hauptstadt ein starkes Hindernis für
Frankreichs wirtschaftliche und geistige Entwicklung dar; die Dezentralisation
würde die kleinliche Kirchtumspolitik vernichten, die Selbständigwerdung geo¬
graphisch, landschaftlich oder industriell in sich geschlossener Landschaften würde
der Provinz die Bewegungsfreiheit und Initiative wiedergeben, die sie durch Paris
verloren hat. So sehr die Royalisten hierin für die Erneuerung Frankreichs


Die Ncuroyalisten in Frankreich

seiner Tradition und Geschichte gemäßes Leben führen. Unter Tradition und
Geschichte ist hier natürlich das erbliche Königtum zu verstehen, das so viele
Jahrhunderte in Frankreich geherrscht hat. Diese Tradition sei durch die
Revolution abgebrochen worden und müsse uun wieder erneuert werden, wenn
Frankreich nicht von den „Mischungen" überwältigt werden wolle. Rassen¬
reinheit sei eine der Hauptlebensbedingungen der Staaten, denn die Nation sei
kein zufälliges Produkt. Die These vom Lontrat 80LmI, die in der Revolution
aufgestellt wurde, sei falsch, denn tatsächlich sei die Zugehörigkeit zu einer
Nation kein freiwilliger Akt, sondern ein natürlicher, historisch begründeter
Vorgang. Durch Eltern und Geburt wird jedem das Vaterland bestimmt.
Die völkische Gemeinschaft sei nicht sozialer Art, wie die dritte Republik
behauptet, sie ruhe auf dem alten ererbten nationalen Zusammengehörigkeits¬
gefühl, auf der gemeinsamen Geschichte, dem gemeinsamen Charakter, der ererbten
Autorität, also auch auf dem Königtum.

Die Ziele und Wünsche der Neuroyalisten treten deutlicher hervor durch
den Gegensatz zum Bestehenden. Sie wollen in allen Punkten etwas Neues,
Anderes, Gegensätzliches als die Republikaner. Sie wollen nicht nur die jetzige
Negierung durch einen König ersetzen, vielmehr soll — und darin unterscheiden
sie sich auch von den Altroyalisten — das .Königtum auf einem durchaus
anderen Prinzip errichtet werden: während die Republik demokratisch und
angeblich sozial ist, soll das Königtum Frankreich die alte Ständeordnung
als Grundlage haben und lediglich national sein. Die Demokratie sei schuld
am Strebertum und Egoismus der Zeit, an der Unfähigkeit der leitenden
Männer, an der Unzufriedenheit und Begehrlichkeit der unteren Klassen. Paul
Bourget, der Traditionist, zeigt in seinem Roman „I_/IÄÄpe", wie die Etappen
zwischen den einzelnen Gesellschaftsschichten nur mit großen Opfern an Glück,
mit dem gleichzeitigen Zusammenbruch einer ganzen Familie zu überschreiten
seien. Die alten traditionellen Schranken würden dagegen ein gar zu rasches
Aufsteigen verhindern, die Begehrlichkeit dämpfen und weit sicherer als soziale
Gesetze eine harmonische Gestaltung der Gesellschaft ermöglichen. Als die alten
Innungen und Klassen noch bestanden, da habe es nicht so viel Elend und
Armut gegeben wie heute unter der „sozialen Republik".

Die so fundamentierte Monarchie müsse auch mit der republikanischen Ver¬
waltung brechen: so bildet politische und wirtschaftliche Dezentralisation ein
weiteres Ziel des Neuroyalismus. Tatsächlich stellt die Zentralisation der
gesamten Verwaltung in Paris, die Ohnmacht und Abhängigkeit der Lokal¬
gewalten, die Bevormundung durch die Hauptstadt ein starkes Hindernis für
Frankreichs wirtschaftliche und geistige Entwicklung dar; die Dezentralisation
würde die kleinliche Kirchtumspolitik vernichten, die Selbständigwerdung geo¬
graphisch, landschaftlich oder industriell in sich geschlossener Landschaften würde
der Provinz die Bewegungsfreiheit und Initiative wiedergeben, die sie durch Paris
verloren hat. So sehr die Royalisten hierin für die Erneuerung Frankreichs


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[0498] Die Ncuroyalisten in Frankreich seiner Tradition und Geschichte gemäßes Leben führen. Unter Tradition und Geschichte ist hier natürlich das erbliche Königtum zu verstehen, das so viele Jahrhunderte in Frankreich geherrscht hat. Diese Tradition sei durch die Revolution abgebrochen worden und müsse uun wieder erneuert werden, wenn Frankreich nicht von den „Mischungen" überwältigt werden wolle. Rassen¬ reinheit sei eine der Hauptlebensbedingungen der Staaten, denn die Nation sei kein zufälliges Produkt. Die These vom Lontrat 80LmI, die in der Revolution aufgestellt wurde, sei falsch, denn tatsächlich sei die Zugehörigkeit zu einer Nation kein freiwilliger Akt, sondern ein natürlicher, historisch begründeter Vorgang. Durch Eltern und Geburt wird jedem das Vaterland bestimmt. Die völkische Gemeinschaft sei nicht sozialer Art, wie die dritte Republik behauptet, sie ruhe auf dem alten ererbten nationalen Zusammengehörigkeits¬ gefühl, auf der gemeinsamen Geschichte, dem gemeinsamen Charakter, der ererbten Autorität, also auch auf dem Königtum. Die Ziele und Wünsche der Neuroyalisten treten deutlicher hervor durch den Gegensatz zum Bestehenden. Sie wollen in allen Punkten etwas Neues, Anderes, Gegensätzliches als die Republikaner. Sie wollen nicht nur die jetzige Negierung durch einen König ersetzen, vielmehr soll — und darin unterscheiden sie sich auch von den Altroyalisten — das .Königtum auf einem durchaus anderen Prinzip errichtet werden: während die Republik demokratisch und angeblich sozial ist, soll das Königtum Frankreich die alte Ständeordnung als Grundlage haben und lediglich national sein. Die Demokratie sei schuld am Strebertum und Egoismus der Zeit, an der Unfähigkeit der leitenden Männer, an der Unzufriedenheit und Begehrlichkeit der unteren Klassen. Paul Bourget, der Traditionist, zeigt in seinem Roman „I_/IÄÄpe", wie die Etappen zwischen den einzelnen Gesellschaftsschichten nur mit großen Opfern an Glück, mit dem gleichzeitigen Zusammenbruch einer ganzen Familie zu überschreiten seien. Die alten traditionellen Schranken würden dagegen ein gar zu rasches Aufsteigen verhindern, die Begehrlichkeit dämpfen und weit sicherer als soziale Gesetze eine harmonische Gestaltung der Gesellschaft ermöglichen. Als die alten Innungen und Klassen noch bestanden, da habe es nicht so viel Elend und Armut gegeben wie heute unter der „sozialen Republik". Die so fundamentierte Monarchie müsse auch mit der republikanischen Ver¬ waltung brechen: so bildet politische und wirtschaftliche Dezentralisation ein weiteres Ziel des Neuroyalismus. Tatsächlich stellt die Zentralisation der gesamten Verwaltung in Paris, die Ohnmacht und Abhängigkeit der Lokal¬ gewalten, die Bevormundung durch die Hauptstadt ein starkes Hindernis für Frankreichs wirtschaftliche und geistige Entwicklung dar; die Dezentralisation würde die kleinliche Kirchtumspolitik vernichten, die Selbständigwerdung geo¬ graphisch, landschaftlich oder industriell in sich geschlossener Landschaften würde der Provinz die Bewegungsfreiheit und Initiative wiedergeben, die sie durch Paris verloren hat. So sehr die Royalisten hierin für die Erneuerung Frankreichs

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/498>, abgerufen am 01.07.2024.