Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

zielten Schreiben den Regimentskommandeur
um Beantragung der Überführung eines Re¬
serveoffiziers zur Landwehr unter Hinweis auf
die Bestimmungen der Wehrordnung. Die
durch angebliche Tatsachen belegte Begründung
der Forderung aber legt er in einem Privat¬
brief nieder. Dieser Privatbrief verhindert
den Regimentskommandeur, sich dienstliche
Auskunft zu erbitten, denn er muß ja dem im
Range gleich stehenden Kameraden glauben.
Der nicht ganz charakterfeste Kamerad aber
benutzt dieses Zusammentreffen, um Dinge in
die Armee zu tragen, die nicht nur ihrem
Charakter nach, sondern auch durch die
Verfassung mit der Armee nichts zu tun
haben.

Nun soll selbstverständlich nichts verall¬
gemeinert werden. Herr von Vietinghoff bildet
zweifellos eine Ausnahmeerscheinung unter
den Bezirkskommandeuren. Dennoch darf
eine Bestimmung nicht bestehen bleiben, deren
Gefahren durch einen so krassen Fall auf¬
gedeckt worden sind, will man nicht das Ver¬
trauen in den vornehmen Geist des Offiziers¬
korps erschüttern. Infolgedessen sollte die
Armeeleitung die Wehrordmmg dahin ab¬
ändern, daß der Antrag auf Versetzung eines
Reserveoffiziers zur Landwehr stets von der
Stelle (Regiment oder Bezirkskommando)
auszugehen hat, bei der die dienstlichen
Gründe dafür erkannt worden sind, nach
Einforderung eines Personalberichts über den
in Frage kommenden Offizier von der anderen
Kommandostelle. Wenn ein Bezirkskommandeur
zu der Überzeugung kommt, daß einer der
Offiziere seines Bezirks wegen seines Ver¬
haltens als Staatsbürger nicht mehr geeignet
oder nicht würdig erscheint, Reserveoffizier
oder überhaupt Offizier zu bleiben, dann soll
er auch die volle Verantwortung für seine
Auffassung tragen und diese nicht, auch nicht
zum Teil, auf andere Schultern abschieben
dürfen. Eine solche Anordnung entspräche
allein dem hohen Geist, der unser Offizier¬
korps durchwehen soll.

Ein zweiter Mißstand, den die Verhand¬
lung in Ratibor scharf beleuchtet, ist die
Pcrsoimlfrage. Wenn auch Vietinghoff und
Kammler Ausnahmeerscheinungen sind, so
bestätigt ihr Vorhandensein doch die weit ver¬
breitete Ansicht, daß die Posten der Bezirks¬

[Spaltenumbruch]

kommandeure und der Bezirksoffiziere nicht
durchgehends mit der nötigen Sorgfalt besetzt
werden. Sie gelten als Ruheposten oder
gewissermaßen als eine Art Gnadenbrod.
Das Vorhandensein solcher Stellen ist ja
einerseits zu begrüßen, weil es die Möglichkeit
gibt, an sich tüchtige Offiziere, die nicht voll¬
ständig felddienstfähig erscheinen, der Armee
zu erhalten.

Doch damit wird in allererster Linie
sozialen Gesichtspunkten Rechnung getragen,
nicht rein technisch-militärischen, da das Vor¬
handensein solcher Stellunge" mich zu Halb¬
heiten und Mangel an Entschlußfähigkeit
führe" kann. Kommandeure, die nicht gern
Verabschiedungen von ihrem Regiment aus
haben wollen, oder die persönliche Unan¬
nehmlichkeiten befürchten, kommen leicht dazu,
tatsächliche unfähige Offiziere an eine andere
Stelle abzuschieben, wo sie dann scheitern und
anderen Vorgesetzten Verdruß bereiten. Gewiß
sind Stellen notwendig für vorübergehend
nicht felddienstfähige Offiziere, in denen sich
diese wieder erholen können. Es sind sogar
solche erforderlich, die den ausgesprochenen
sozialen Zweck verfolgen, dem untauglich ge¬
wordenen Offizier den Übergang zu einem
anderen Beruf zu ermöglichen. Das Kom¬
mando für Bezirksoffizicre sollte immer
verbunden sein mit der Aufgabe, neben dem
Dienst beim Bezirkskommando noch eine be¬
stimmte Arbeit leisten zu müssen, die der
militärischen oder außernnlitärischen Aus¬
bildung des Betreffenden und seinem späteren
Fortkommen diente. Solche Arbeiten könnten
sein: Vorbereitung für den Lehrerberuf im
Kadettenkorps nach bestimmten Plänen, Vor¬
bereitung für BibliotheksdienstoderJournalistik,
Besuch von Handels- und anderen Fachhoch¬
schulen. So wie das Kommando jetzt ist,
scheint es ein Institut zu sein, daß den an
sich nicht ganz widerstandsfähigen Offizier
nur zur Trägheit erzieht. Nicht ganz so,
aber doch ähnlich liegen die Dinge bei einem
Teil unserer Bezirksadjutanten; auch den
hierzu ausgesuchten Offizieren würde ein
gewisser Zwang zu wissenschaftlichen Arbeiten
nichts schaden.

Damit aber würde dem sozialen Be¬
dürfnis genügend Rechnung getragen sein.
Im übrigen müßten ausschließlich technisch-

[Ende Spaltensatz]
Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

zielten Schreiben den Regimentskommandeur
um Beantragung der Überführung eines Re¬
serveoffiziers zur Landwehr unter Hinweis auf
die Bestimmungen der Wehrordnung. Die
durch angebliche Tatsachen belegte Begründung
der Forderung aber legt er in einem Privat¬
brief nieder. Dieser Privatbrief verhindert
den Regimentskommandeur, sich dienstliche
Auskunft zu erbitten, denn er muß ja dem im
Range gleich stehenden Kameraden glauben.
Der nicht ganz charakterfeste Kamerad aber
benutzt dieses Zusammentreffen, um Dinge in
die Armee zu tragen, die nicht nur ihrem
Charakter nach, sondern auch durch die
Verfassung mit der Armee nichts zu tun
haben.

Nun soll selbstverständlich nichts verall¬
gemeinert werden. Herr von Vietinghoff bildet
zweifellos eine Ausnahmeerscheinung unter
den Bezirkskommandeuren. Dennoch darf
eine Bestimmung nicht bestehen bleiben, deren
Gefahren durch einen so krassen Fall auf¬
gedeckt worden sind, will man nicht das Ver¬
trauen in den vornehmen Geist des Offiziers¬
korps erschüttern. Infolgedessen sollte die
Armeeleitung die Wehrordmmg dahin ab¬
ändern, daß der Antrag auf Versetzung eines
Reserveoffiziers zur Landwehr stets von der
Stelle (Regiment oder Bezirkskommando)
auszugehen hat, bei der die dienstlichen
Gründe dafür erkannt worden sind, nach
Einforderung eines Personalberichts über den
in Frage kommenden Offizier von der anderen
Kommandostelle. Wenn ein Bezirkskommandeur
zu der Überzeugung kommt, daß einer der
Offiziere seines Bezirks wegen seines Ver¬
haltens als Staatsbürger nicht mehr geeignet
oder nicht würdig erscheint, Reserveoffizier
oder überhaupt Offizier zu bleiben, dann soll
er auch die volle Verantwortung für seine
Auffassung tragen und diese nicht, auch nicht
zum Teil, auf andere Schultern abschieben
dürfen. Eine solche Anordnung entspräche
allein dem hohen Geist, der unser Offizier¬
korps durchwehen soll.

Ein zweiter Mißstand, den die Verhand¬
lung in Ratibor scharf beleuchtet, ist die
Pcrsoimlfrage. Wenn auch Vietinghoff und
Kammler Ausnahmeerscheinungen sind, so
bestätigt ihr Vorhandensein doch die weit ver¬
breitete Ansicht, daß die Posten der Bezirks¬

[Spaltenumbruch]

kommandeure und der Bezirksoffiziere nicht
durchgehends mit der nötigen Sorgfalt besetzt
werden. Sie gelten als Ruheposten oder
gewissermaßen als eine Art Gnadenbrod.
Das Vorhandensein solcher Stellen ist ja
einerseits zu begrüßen, weil es die Möglichkeit
gibt, an sich tüchtige Offiziere, die nicht voll¬
ständig felddienstfähig erscheinen, der Armee
zu erhalten.

Doch damit wird in allererster Linie
sozialen Gesichtspunkten Rechnung getragen,
nicht rein technisch-militärischen, da das Vor¬
handensein solcher Stellunge» mich zu Halb¬
heiten und Mangel an Entschlußfähigkeit
führe» kann. Kommandeure, die nicht gern
Verabschiedungen von ihrem Regiment aus
haben wollen, oder die persönliche Unan¬
nehmlichkeiten befürchten, kommen leicht dazu,
tatsächliche unfähige Offiziere an eine andere
Stelle abzuschieben, wo sie dann scheitern und
anderen Vorgesetzten Verdruß bereiten. Gewiß
sind Stellen notwendig für vorübergehend
nicht felddienstfähige Offiziere, in denen sich
diese wieder erholen können. Es sind sogar
solche erforderlich, die den ausgesprochenen
sozialen Zweck verfolgen, dem untauglich ge¬
wordenen Offizier den Übergang zu einem
anderen Beruf zu ermöglichen. Das Kom¬
mando für Bezirksoffizicre sollte immer
verbunden sein mit der Aufgabe, neben dem
Dienst beim Bezirkskommando noch eine be¬
stimmte Arbeit leisten zu müssen, die der
militärischen oder außernnlitärischen Aus¬
bildung des Betreffenden und seinem späteren
Fortkommen diente. Solche Arbeiten könnten
sein: Vorbereitung für den Lehrerberuf im
Kadettenkorps nach bestimmten Plänen, Vor¬
bereitung für BibliotheksdienstoderJournalistik,
Besuch von Handels- und anderen Fachhoch¬
schulen. So wie das Kommando jetzt ist,
scheint es ein Institut zu sein, daß den an
sich nicht ganz widerstandsfähigen Offizier
nur zur Trägheit erzieht. Nicht ganz so,
aber doch ähnlich liegen die Dinge bei einem
Teil unserer Bezirksadjutanten; auch den
hierzu ausgesuchten Offizieren würde ein
gewisser Zwang zu wissenschaftlichen Arbeiten
nichts schaden.

Damit aber würde dem sozialen Be¬
dürfnis genügend Rechnung getragen sein.
Im übrigen müßten ausschließlich technisch-

[Ende Spaltensatz]
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0488" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/322235"/>
            <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/>
            <cb type="start"/>
            <p xml:id="ID_2131" prev="#ID_2130"> zielten Schreiben den Regimentskommandeur<lb/>
um Beantragung der Überführung eines Re¬<lb/>
serveoffiziers zur Landwehr unter Hinweis auf<lb/>
die Bestimmungen der Wehrordnung. Die<lb/>
durch angebliche Tatsachen belegte Begründung<lb/>
der Forderung aber legt er in einem Privat¬<lb/>
brief nieder. Dieser Privatbrief verhindert<lb/>
den Regimentskommandeur, sich dienstliche<lb/>
Auskunft zu erbitten, denn er muß ja dem im<lb/>
Range gleich stehenden Kameraden glauben.<lb/>
Der nicht ganz charakterfeste Kamerad aber<lb/>
benutzt dieses Zusammentreffen, um Dinge in<lb/>
die Armee zu tragen, die nicht nur ihrem<lb/>
Charakter nach, sondern auch durch die<lb/>
Verfassung mit der Armee nichts zu tun<lb/>
haben.</p>
            <p xml:id="ID_2132"> Nun soll selbstverständlich nichts verall¬<lb/>
gemeinert werden. Herr von Vietinghoff bildet<lb/>
zweifellos eine Ausnahmeerscheinung unter<lb/>
den Bezirkskommandeuren. Dennoch darf<lb/>
eine Bestimmung nicht bestehen bleiben, deren<lb/>
Gefahren durch einen so krassen Fall auf¬<lb/>
gedeckt worden sind, will man nicht das Ver¬<lb/>
trauen in den vornehmen Geist des Offiziers¬<lb/>
korps erschüttern. Infolgedessen sollte die<lb/>
Armeeleitung die Wehrordmmg dahin ab¬<lb/>
ändern, daß der Antrag auf Versetzung eines<lb/>
Reserveoffiziers zur Landwehr stets von der<lb/>
Stelle (Regiment oder Bezirkskommando)<lb/>
auszugehen hat, bei der die dienstlichen<lb/>
Gründe dafür erkannt worden sind, nach<lb/>
Einforderung eines Personalberichts über den<lb/>
in Frage kommenden Offizier von der anderen<lb/>
Kommandostelle. Wenn ein Bezirkskommandeur<lb/>
zu der Überzeugung kommt, daß einer der<lb/>
Offiziere seines Bezirks wegen seines Ver¬<lb/>
haltens als Staatsbürger nicht mehr geeignet<lb/>
oder nicht würdig erscheint, Reserveoffizier<lb/>
oder überhaupt Offizier zu bleiben, dann soll<lb/>
er auch die volle Verantwortung für seine<lb/>
Auffassung tragen und diese nicht, auch nicht<lb/>
zum Teil, auf andere Schultern abschieben<lb/>
dürfen. Eine solche Anordnung entspräche<lb/>
allein dem hohen Geist, der unser Offizier¬<lb/>
korps durchwehen soll.</p>
            <p xml:id="ID_2133" next="#ID_2134"> Ein zweiter Mißstand, den die Verhand¬<lb/>
lung in Ratibor scharf beleuchtet, ist die<lb/>
Pcrsoimlfrage. Wenn auch Vietinghoff und<lb/>
Kammler Ausnahmeerscheinungen sind, so<lb/>
bestätigt ihr Vorhandensein doch die weit ver¬<lb/>
breitete Ansicht, daß die Posten der Bezirks¬</p>
            <cb/><lb/>
            <p xml:id="ID_2134" prev="#ID_2133"> kommandeure und der Bezirksoffiziere nicht<lb/>
durchgehends mit der nötigen Sorgfalt besetzt<lb/>
werden. Sie gelten als Ruheposten oder<lb/>
gewissermaßen als eine Art Gnadenbrod.<lb/>
Das Vorhandensein solcher Stellen ist ja<lb/>
einerseits zu begrüßen, weil es die Möglichkeit<lb/>
gibt, an sich tüchtige Offiziere, die nicht voll¬<lb/>
ständig felddienstfähig erscheinen, der Armee<lb/>
zu erhalten.</p>
            <p xml:id="ID_2135"> Doch damit wird in allererster Linie<lb/>
sozialen Gesichtspunkten Rechnung getragen,<lb/>
nicht rein technisch-militärischen, da das Vor¬<lb/>
handensein solcher Stellunge» mich zu Halb¬<lb/>
heiten und Mangel an Entschlußfähigkeit<lb/>
führe» kann. Kommandeure, die nicht gern<lb/>
Verabschiedungen von ihrem Regiment aus<lb/>
haben wollen, oder die persönliche Unan¬<lb/>
nehmlichkeiten befürchten, kommen leicht dazu,<lb/>
tatsächliche unfähige Offiziere an eine andere<lb/>
Stelle abzuschieben, wo sie dann scheitern und<lb/>
anderen Vorgesetzten Verdruß bereiten. Gewiß<lb/>
sind Stellen notwendig für vorübergehend<lb/>
nicht felddienstfähige Offiziere, in denen sich<lb/>
diese wieder erholen können. Es sind sogar<lb/>
solche erforderlich, die den ausgesprochenen<lb/>
sozialen Zweck verfolgen, dem untauglich ge¬<lb/>
wordenen Offizier den Übergang zu einem<lb/>
anderen Beruf zu ermöglichen. Das Kom¬<lb/>
mando für Bezirksoffizicre sollte immer<lb/>
verbunden sein mit der Aufgabe, neben dem<lb/>
Dienst beim Bezirkskommando noch eine be¬<lb/>
stimmte Arbeit leisten zu müssen, die der<lb/>
militärischen oder außernnlitärischen Aus¬<lb/>
bildung des Betreffenden und seinem späteren<lb/>
Fortkommen diente. Solche Arbeiten könnten<lb/>
sein: Vorbereitung für den Lehrerberuf im<lb/>
Kadettenkorps nach bestimmten Plänen, Vor¬<lb/>
bereitung für BibliotheksdienstoderJournalistik,<lb/>
Besuch von Handels- und anderen Fachhoch¬<lb/>
schulen. So wie das Kommando jetzt ist,<lb/>
scheint es ein Institut zu sein, daß den an<lb/>
sich nicht ganz widerstandsfähigen Offizier<lb/>
nur zur Trägheit erzieht. Nicht ganz so,<lb/>
aber doch ähnlich liegen die Dinge bei einem<lb/>
Teil unserer Bezirksadjutanten; auch den<lb/>
hierzu ausgesuchten Offizieren würde ein<lb/>
gewisser Zwang zu wissenschaftlichen Arbeiten<lb/>
nichts schaden.</p>
            <p xml:id="ID_2136" next="#ID_2137"> Damit aber würde dem sozialen Be¬<lb/>
dürfnis genügend Rechnung getragen sein.<lb/>
Im übrigen müßten ausschließlich technisch-</p>
            <cb type="end"/><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0488] Maßgebliches und Unmaßgebliches zielten Schreiben den Regimentskommandeur um Beantragung der Überführung eines Re¬ serveoffiziers zur Landwehr unter Hinweis auf die Bestimmungen der Wehrordnung. Die durch angebliche Tatsachen belegte Begründung der Forderung aber legt er in einem Privat¬ brief nieder. Dieser Privatbrief verhindert den Regimentskommandeur, sich dienstliche Auskunft zu erbitten, denn er muß ja dem im Range gleich stehenden Kameraden glauben. Der nicht ganz charakterfeste Kamerad aber benutzt dieses Zusammentreffen, um Dinge in die Armee zu tragen, die nicht nur ihrem Charakter nach, sondern auch durch die Verfassung mit der Armee nichts zu tun haben. Nun soll selbstverständlich nichts verall¬ gemeinert werden. Herr von Vietinghoff bildet zweifellos eine Ausnahmeerscheinung unter den Bezirkskommandeuren. Dennoch darf eine Bestimmung nicht bestehen bleiben, deren Gefahren durch einen so krassen Fall auf¬ gedeckt worden sind, will man nicht das Ver¬ trauen in den vornehmen Geist des Offiziers¬ korps erschüttern. Infolgedessen sollte die Armeeleitung die Wehrordmmg dahin ab¬ ändern, daß der Antrag auf Versetzung eines Reserveoffiziers zur Landwehr stets von der Stelle (Regiment oder Bezirkskommando) auszugehen hat, bei der die dienstlichen Gründe dafür erkannt worden sind, nach Einforderung eines Personalberichts über den in Frage kommenden Offizier von der anderen Kommandostelle. Wenn ein Bezirkskommandeur zu der Überzeugung kommt, daß einer der Offiziere seines Bezirks wegen seines Ver¬ haltens als Staatsbürger nicht mehr geeignet oder nicht würdig erscheint, Reserveoffizier oder überhaupt Offizier zu bleiben, dann soll er auch die volle Verantwortung für seine Auffassung tragen und diese nicht, auch nicht zum Teil, auf andere Schultern abschieben dürfen. Eine solche Anordnung entspräche allein dem hohen Geist, der unser Offizier¬ korps durchwehen soll. Ein zweiter Mißstand, den die Verhand¬ lung in Ratibor scharf beleuchtet, ist die Pcrsoimlfrage. Wenn auch Vietinghoff und Kammler Ausnahmeerscheinungen sind, so bestätigt ihr Vorhandensein doch die weit ver¬ breitete Ansicht, daß die Posten der Bezirks¬ kommandeure und der Bezirksoffiziere nicht durchgehends mit der nötigen Sorgfalt besetzt werden. Sie gelten als Ruheposten oder gewissermaßen als eine Art Gnadenbrod. Das Vorhandensein solcher Stellen ist ja einerseits zu begrüßen, weil es die Möglichkeit gibt, an sich tüchtige Offiziere, die nicht voll¬ ständig felddienstfähig erscheinen, der Armee zu erhalten. Doch damit wird in allererster Linie sozialen Gesichtspunkten Rechnung getragen, nicht rein technisch-militärischen, da das Vor¬ handensein solcher Stellunge» mich zu Halb¬ heiten und Mangel an Entschlußfähigkeit führe» kann. Kommandeure, die nicht gern Verabschiedungen von ihrem Regiment aus haben wollen, oder die persönliche Unan¬ nehmlichkeiten befürchten, kommen leicht dazu, tatsächliche unfähige Offiziere an eine andere Stelle abzuschieben, wo sie dann scheitern und anderen Vorgesetzten Verdruß bereiten. Gewiß sind Stellen notwendig für vorübergehend nicht felddienstfähige Offiziere, in denen sich diese wieder erholen können. Es sind sogar solche erforderlich, die den ausgesprochenen sozialen Zweck verfolgen, dem untauglich ge¬ wordenen Offizier den Übergang zu einem anderen Beruf zu ermöglichen. Das Kom¬ mando für Bezirksoffizicre sollte immer verbunden sein mit der Aufgabe, neben dem Dienst beim Bezirkskommando noch eine be¬ stimmte Arbeit leisten zu müssen, die der militärischen oder außernnlitärischen Aus¬ bildung des Betreffenden und seinem späteren Fortkommen diente. Solche Arbeiten könnten sein: Vorbereitung für den Lehrerberuf im Kadettenkorps nach bestimmten Plänen, Vor¬ bereitung für BibliotheksdienstoderJournalistik, Besuch von Handels- und anderen Fachhoch¬ schulen. So wie das Kommando jetzt ist, scheint es ein Institut zu sein, daß den an sich nicht ganz widerstandsfähigen Offizier nur zur Trägheit erzieht. Nicht ganz so, aber doch ähnlich liegen die Dinge bei einem Teil unserer Bezirksadjutanten; auch den hierzu ausgesuchten Offizieren würde ein gewisser Zwang zu wissenschaftlichen Arbeiten nichts schaden. Damit aber würde dem sozialen Be¬ dürfnis genügend Rechnung getragen sein. Im übrigen müßten ausschließlich technisch-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/488
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/488>, abgerufen am 01.07.2024.