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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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ranks der Reserve Knittel, den P. P, Knittel
zur Landwehr überführen zu lassen. In einem
als "privat" gekennzeichneten Schreiben an
den Kommandeur, Obersten von Wundt, er¬
läuterte der Bezirkskommandeur, Oberstleut¬
nant Freiherr von Vietinghoff, das Gesuch,
indem er Verdächtigungen und Übertreibungen,
die der Wahlkampf und persönliche Mißgunst
gegen Knittel getrieben hatten, ohne Nach¬
prüfung auf ihre Berechtigung, weitergab und
unter anderem auch mitteilte, der Krieger¬
verein habe alle seine Mitglieder, die für den
Polnischen Kandidaten des Zentrums und der
Polen gestimmt hatten, zum Austritt ge¬
zwungen.

Um sich von diesen Vorwürfen zu reinigen,
beantragte Knittel einen ehrengerichtlichen
Spruch gegen sich selbst und, als dieser zu seinen
Gunsten ausfiel und der Bezirkskommandeur
keine Miene machte, ihn auch sonst in der
Gesellschaft zu rehabilitieren, betrat er den
Weg von Beschwerden, die sogar bis zur Aller¬
höchsten Stelle führten und infofern für den
Offizier erfolgreich waren, als seine Versetzung
zur Landwehr II rückgängig gemacht und
Knittel zur Landwehr I überführt wurde.
Aber die persönliche Rehabilitierung konnte
er mit gesetzlichen Mitteln nicht erzwingen.
So entschloß er sich zu einer Eingabe an den
Kriegsminister, in der er gegen Vorgesetzte,
insbesondere gegen den Bezirkskommandeur
Oberstleutnant Freiherrn von Vietinghoff und
gegen den Bezirksoffizier Hauptmann Kammler
die schwersten Beleidigungen aussprach. Diese
Eingabe führte nun zu einer Klage der
Heeresleitung gegen den Amtsrichter Knittel,
die in der abgelaufenen Woche zu Ratibor
verhandelt wurde und mit der Freisprechung
Kmttels endigte. In der Begründung des
Spruchs aber heißt es: "Dem Hauptmann
Kammler ist der Vorwurf gemacht worden,
er sei ein bösartiger Geistesschwacher,
vor dem man sich in dieser Beziehung in acht
nehmen müsse. Diesen Vorwurf hat das
Gericht als wahr erwiesen angesehen.
Die Geistesschwache wurde als festgestellt
betrachtet, auf Grund der Sachverständigen¬
gutachten. Die Bösartigkeit wurde erblickt
in dem zweideutigen und nicht offenen Ver¬
fahren gegenüber dem Angeklagten und dem
Oberleutnant Giese, sowie in dem Verhalten

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des Hauptmanns Kammler bei den Kontroll¬
versammlungen. Hierfür ist der Wahrheits¬
beweis objektiv erbracht. Den Oberleutnant
Giese hat der Hauptmann Kammler zu ver¬
hindern gewußt, daß er zu seiner Braut nach
Ratibor fahren konnte, und das Verhalten
Kammlers bei den Kontrollversammlungen,
seine Freude am Bestrafen beweisen seine
bösartigen Charaktereigenschaften. Der Vor -
wurf der Lüge und der wiederholten
Lüge gegenüber dem Hauptmann
Kammler ist durch den Wahrheits¬
beweis in zwei Fällen bewiesen.
Dem Bezirkskommandeur Baron von
Vietinghoff wurde wiederholte Lüge
vorgeworfen. Auch dafür hat das Gericht
den Wahrheitsbeweis als erbracht
angesehen. Baron Vietinghoff hat
bewußt die Unwahrheit gesagt."


Mit Recht fragt die Kölnische Zeitung, ob
der Prozeß notwendig gewesen sei, mit Recht
fragt die Post, "ob denn von den Verantwort¬
licher Stellen alle Mittel und Wege versucht
worden sind, dem Volke dieses Peinliche Schau¬
spiel zu ersparen." War es in der Tat not¬
wendig der Heeresleitung, dem Offizierkorps,
ja der ganzen Nation die Blamage zu be¬
reiten, die in dem gerechtfertigten Freispruch
Kmttels liegt? Nach nüchternem Menschen¬
verstand mußte von den dem Bezirkskom¬
mando vorgesetzten Stellen sorgfältig unter¬
sucht werden, wie denn die Widersprüche
zwischen den Angaben des preußischen Oberst¬
leutnants und des Preußischen Amtsrichters
möglich geworden find. Dann hätte sich un¬
zweifelhaft orgeben, daß an irgendeiner Stelle
dem "Privatbrief", der die Verfehlungen
Kmttels kennzeichnete, nicht die subtile Be¬
achtung zugewendet worden ist, die er ver¬
diente, nachdem er, dieser Privatbrief, die
Grundlage für die Maßregelung des an sich
tüchtigen Offiziers geworden war. Die An¬
gaben im Privatbrief des Bezirkskommandeurs
an den Regimentskommandeur mußten auf
ihre Wahrheit hin geprüft werden. Wäre
das mit der notwendigen Sorgfalt geschehen
und hätten nicht gewisse Beteiligte, die es
vielleicht an der Sorgfalt haben fehlen lassen,
sich immer wieder an das Formale geklam¬
mert, dann wäre es zweifellos zu der offene-

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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ranks der Reserve Knittel, den P. P, Knittel
zur Landwehr überführen zu lassen. In einem
als „privat" gekennzeichneten Schreiben an
den Kommandeur, Obersten von Wundt, er¬
läuterte der Bezirkskommandeur, Oberstleut¬
nant Freiherr von Vietinghoff, das Gesuch,
indem er Verdächtigungen und Übertreibungen,
die der Wahlkampf und persönliche Mißgunst
gegen Knittel getrieben hatten, ohne Nach¬
prüfung auf ihre Berechtigung, weitergab und
unter anderem auch mitteilte, der Krieger¬
verein habe alle seine Mitglieder, die für den
Polnischen Kandidaten des Zentrums und der
Polen gestimmt hatten, zum Austritt ge¬
zwungen.

Um sich von diesen Vorwürfen zu reinigen,
beantragte Knittel einen ehrengerichtlichen
Spruch gegen sich selbst und, als dieser zu seinen
Gunsten ausfiel und der Bezirkskommandeur
keine Miene machte, ihn auch sonst in der
Gesellschaft zu rehabilitieren, betrat er den
Weg von Beschwerden, die sogar bis zur Aller¬
höchsten Stelle führten und infofern für den
Offizier erfolgreich waren, als seine Versetzung
zur Landwehr II rückgängig gemacht und
Knittel zur Landwehr I überführt wurde.
Aber die persönliche Rehabilitierung konnte
er mit gesetzlichen Mitteln nicht erzwingen.
So entschloß er sich zu einer Eingabe an den
Kriegsminister, in der er gegen Vorgesetzte,
insbesondere gegen den Bezirkskommandeur
Oberstleutnant Freiherrn von Vietinghoff und
gegen den Bezirksoffizier Hauptmann Kammler
die schwersten Beleidigungen aussprach. Diese
Eingabe führte nun zu einer Klage der
Heeresleitung gegen den Amtsrichter Knittel,
die in der abgelaufenen Woche zu Ratibor
verhandelt wurde und mit der Freisprechung
Kmttels endigte. In der Begründung des
Spruchs aber heißt es: „Dem Hauptmann
Kammler ist der Vorwurf gemacht worden,
er sei ein bösartiger Geistesschwacher,
vor dem man sich in dieser Beziehung in acht
nehmen müsse. Diesen Vorwurf hat das
Gericht als wahr erwiesen angesehen.
Die Geistesschwache wurde als festgestellt
betrachtet, auf Grund der Sachverständigen¬
gutachten. Die Bösartigkeit wurde erblickt
in dem zweideutigen und nicht offenen Ver¬
fahren gegenüber dem Angeklagten und dem
Oberleutnant Giese, sowie in dem Verhalten

[Spaltenumbruch]

des Hauptmanns Kammler bei den Kontroll¬
versammlungen. Hierfür ist der Wahrheits¬
beweis objektiv erbracht. Den Oberleutnant
Giese hat der Hauptmann Kammler zu ver¬
hindern gewußt, daß er zu seiner Braut nach
Ratibor fahren konnte, und das Verhalten
Kammlers bei den Kontrollversammlungen,
seine Freude am Bestrafen beweisen seine
bösartigen Charaktereigenschaften. Der Vor -
wurf der Lüge und der wiederholten
Lüge gegenüber dem Hauptmann
Kammler ist durch den Wahrheits¬
beweis in zwei Fällen bewiesen.
Dem Bezirkskommandeur Baron von
Vietinghoff wurde wiederholte Lüge
vorgeworfen. Auch dafür hat das Gericht
den Wahrheitsbeweis als erbracht
angesehen. Baron Vietinghoff hat
bewußt die Unwahrheit gesagt."


Mit Recht fragt die Kölnische Zeitung, ob
der Prozeß notwendig gewesen sei, mit Recht
fragt die Post, „ob denn von den Verantwort¬
licher Stellen alle Mittel und Wege versucht
worden sind, dem Volke dieses Peinliche Schau¬
spiel zu ersparen." War es in der Tat not¬
wendig der Heeresleitung, dem Offizierkorps,
ja der ganzen Nation die Blamage zu be¬
reiten, die in dem gerechtfertigten Freispruch
Kmttels liegt? Nach nüchternem Menschen¬
verstand mußte von den dem Bezirkskom¬
mando vorgesetzten Stellen sorgfältig unter¬
sucht werden, wie denn die Widersprüche
zwischen den Angaben des preußischen Oberst¬
leutnants und des Preußischen Amtsrichters
möglich geworden find. Dann hätte sich un¬
zweifelhaft orgeben, daß an irgendeiner Stelle
dem „Privatbrief", der die Verfehlungen
Kmttels kennzeichnete, nicht die subtile Be¬
achtung zugewendet worden ist, die er ver¬
diente, nachdem er, dieser Privatbrief, die
Grundlage für die Maßregelung des an sich
tüchtigen Offiziers geworden war. Die An¬
gaben im Privatbrief des Bezirkskommandeurs
an den Regimentskommandeur mußten auf
ihre Wahrheit hin geprüft werden. Wäre
das mit der notwendigen Sorgfalt geschehen
und hätten nicht gewisse Beteiligte, die es
vielleicht an der Sorgfalt haben fehlen lassen,
sich immer wieder an das Formale geklam¬
mert, dann wäre es zweifellos zu der offene-

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[0486] Maßgebliches und Unmaßgebliches ranks der Reserve Knittel, den P. P, Knittel zur Landwehr überführen zu lassen. In einem als „privat" gekennzeichneten Schreiben an den Kommandeur, Obersten von Wundt, er¬ läuterte der Bezirkskommandeur, Oberstleut¬ nant Freiherr von Vietinghoff, das Gesuch, indem er Verdächtigungen und Übertreibungen, die der Wahlkampf und persönliche Mißgunst gegen Knittel getrieben hatten, ohne Nach¬ prüfung auf ihre Berechtigung, weitergab und unter anderem auch mitteilte, der Krieger¬ verein habe alle seine Mitglieder, die für den Polnischen Kandidaten des Zentrums und der Polen gestimmt hatten, zum Austritt ge¬ zwungen. Um sich von diesen Vorwürfen zu reinigen, beantragte Knittel einen ehrengerichtlichen Spruch gegen sich selbst und, als dieser zu seinen Gunsten ausfiel und der Bezirkskommandeur keine Miene machte, ihn auch sonst in der Gesellschaft zu rehabilitieren, betrat er den Weg von Beschwerden, die sogar bis zur Aller¬ höchsten Stelle führten und infofern für den Offizier erfolgreich waren, als seine Versetzung zur Landwehr II rückgängig gemacht und Knittel zur Landwehr I überführt wurde. Aber die persönliche Rehabilitierung konnte er mit gesetzlichen Mitteln nicht erzwingen. So entschloß er sich zu einer Eingabe an den Kriegsminister, in der er gegen Vorgesetzte, insbesondere gegen den Bezirkskommandeur Oberstleutnant Freiherrn von Vietinghoff und gegen den Bezirksoffizier Hauptmann Kammler die schwersten Beleidigungen aussprach. Diese Eingabe führte nun zu einer Klage der Heeresleitung gegen den Amtsrichter Knittel, die in der abgelaufenen Woche zu Ratibor verhandelt wurde und mit der Freisprechung Kmttels endigte. In der Begründung des Spruchs aber heißt es: „Dem Hauptmann Kammler ist der Vorwurf gemacht worden, er sei ein bösartiger Geistesschwacher, vor dem man sich in dieser Beziehung in acht nehmen müsse. Diesen Vorwurf hat das Gericht als wahr erwiesen angesehen. Die Geistesschwache wurde als festgestellt betrachtet, auf Grund der Sachverständigen¬ gutachten. Die Bösartigkeit wurde erblickt in dem zweideutigen und nicht offenen Ver¬ fahren gegenüber dem Angeklagten und dem Oberleutnant Giese, sowie in dem Verhalten des Hauptmanns Kammler bei den Kontroll¬ versammlungen. Hierfür ist der Wahrheits¬ beweis objektiv erbracht. Den Oberleutnant Giese hat der Hauptmann Kammler zu ver¬ hindern gewußt, daß er zu seiner Braut nach Ratibor fahren konnte, und das Verhalten Kammlers bei den Kontrollversammlungen, seine Freude am Bestrafen beweisen seine bösartigen Charaktereigenschaften. Der Vor - wurf der Lüge und der wiederholten Lüge gegenüber dem Hauptmann Kammler ist durch den Wahrheits¬ beweis in zwei Fällen bewiesen. Dem Bezirkskommandeur Baron von Vietinghoff wurde wiederholte Lüge vorgeworfen. Auch dafür hat das Gericht den Wahrheitsbeweis als erbracht angesehen. Baron Vietinghoff hat bewußt die Unwahrheit gesagt." Mit Recht fragt die Kölnische Zeitung, ob der Prozeß notwendig gewesen sei, mit Recht fragt die Post, „ob denn von den Verantwort¬ licher Stellen alle Mittel und Wege versucht worden sind, dem Volke dieses Peinliche Schau¬ spiel zu ersparen." War es in der Tat not¬ wendig der Heeresleitung, dem Offizierkorps, ja der ganzen Nation die Blamage zu be¬ reiten, die in dem gerechtfertigten Freispruch Kmttels liegt? Nach nüchternem Menschen¬ verstand mußte von den dem Bezirkskom¬ mando vorgesetzten Stellen sorgfältig unter¬ sucht werden, wie denn die Widersprüche zwischen den Angaben des preußischen Oberst¬ leutnants und des Preußischen Amtsrichters möglich geworden find. Dann hätte sich un¬ zweifelhaft orgeben, daß an irgendeiner Stelle dem „Privatbrief", der die Verfehlungen Kmttels kennzeichnete, nicht die subtile Be¬ achtung zugewendet worden ist, die er ver¬ diente, nachdem er, dieser Privatbrief, die Grundlage für die Maßregelung des an sich tüchtigen Offiziers geworden war. Die An¬ gaben im Privatbrief des Bezirkskommandeurs an den Regimentskommandeur mußten auf ihre Wahrheit hin geprüft werden. Wäre das mit der notwendigen Sorgfalt geschehen und hätten nicht gewisse Beteiligte, die es vielleicht an der Sorgfalt haben fehlen lassen, sich immer wieder an das Formale geklam¬ mert, dann wäre es zweifellos zu der offene-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/486>, abgerufen am 01.07.2024.