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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Ans Processen d^'s Jahres

wie nicht geschehen. Aber eine Tat ist ein lebendiges Wesen, das nach jeder
Richtung fortwirkt: der Ermordete wird nicht wieder lebendig, seine Familie kommt
ins Elend, das verkaufte Mädchen wird nicht wieder unschuldig, es bleibt elend
und wirkt Unsittliches. Und auch für die Persönlichkeit des Verbrechers ist diese
philiströs - humane Auffassung unsinnig. Jeder wird auch durch das, was er tut;
alles, was einer je getan hat, das wirkt auch in ihm weiter. Wenn man den
Mädchenhändler brandmarkt, so ist das nötig nur für die unerfahrenen Menschen,
der Erfahrene erkennt den Schurken schon an dem Ausdruck, den seine eigenen
Taten seinem Gesicht ausgepreßt haben; aber für die Unerfahrenen gerade ist er
ja gefährlich.




Es ist am Anfange dieser Betrachtungen gesagt, daß das Recht früherer Zeiten
einen Gedankengang hatte, den man heute hat fallen lassen: daß der Verbrecher
den angerichteten Schaden ersetzen solle.

Auf diesem Gedanken beruht die Einrichtung der Verbrecherkolonien: mau
sucht die Arbeit des Verbrechers für die Gesellschaft zu nützen, nebenbei mit dem
Gedanken, ihn einerseits für fernere Zeiten unschädlich zu machen, anderseits ihm
doch die Möglichkeit zu geben, wieder ein guter Mensch zu werden; und da es
geschehen kann, daß auch ein guter Mensch ein Verbrechen begeht, so würde man
wenigstens gegen diesen, seltenen, Menschen gütig und sittlich handeln durch Dar¬
bietung dieser Möglichkeit. Aus verschiedenen Gründen haben die meisten Staaten
die Verbrecherkolomen aufgegeben; aber sollte man nicht das Prinzip beibehalten
können auch in anderer Ausführung?

Man könnte sich die Arbeitshäuser als Vorbilder nehmen, die ja doch auch
nicht Strafanstalten sind, sondern Anstalten, in denen man Menschen zur Arbeit
zwingt, die ohne den Zwang der Gesellschaft zur Last fallen. Man könnte etwa
solche verurteilten Verbrecher, wie Sollanek und ähnliche sind, von denen es klar
ist, daß sie in Freiheit eine beständige Bedrohung für die Menschheit bedeuten, in
solchen Arbeitshäusern unterbringen, bringt der Staat ja doch auch arme Irre
zwangsweise in Anstalten unter, nur weil sie für ihre Mitmenschen gefährlich sind.
Es käme auf die Organisation an, daß die Arbeit dieser Leute ihren gesellschaft¬
lichen Wert behielte und sie nicht mit einem Teil ihres Unterhalts der Gesellschaft
zur Last fielen; vor allem sollte man die gesundheitsschädlichen Industrien in
diesen Anstalten betreiben und so das Leben ordentlicher Leute, die sonst in ihnen
arbeiten, auf Kosten dieser wertlosen Menschen bewahren.




Grenzbvwn III 1912S8
Ans Processen d^'s Jahres

wie nicht geschehen. Aber eine Tat ist ein lebendiges Wesen, das nach jeder
Richtung fortwirkt: der Ermordete wird nicht wieder lebendig, seine Familie kommt
ins Elend, das verkaufte Mädchen wird nicht wieder unschuldig, es bleibt elend
und wirkt Unsittliches. Und auch für die Persönlichkeit des Verbrechers ist diese
philiströs - humane Auffassung unsinnig. Jeder wird auch durch das, was er tut;
alles, was einer je getan hat, das wirkt auch in ihm weiter. Wenn man den
Mädchenhändler brandmarkt, so ist das nötig nur für die unerfahrenen Menschen,
der Erfahrene erkennt den Schurken schon an dem Ausdruck, den seine eigenen
Taten seinem Gesicht ausgepreßt haben; aber für die Unerfahrenen gerade ist er
ja gefährlich.




Es ist am Anfange dieser Betrachtungen gesagt, daß das Recht früherer Zeiten
einen Gedankengang hatte, den man heute hat fallen lassen: daß der Verbrecher
den angerichteten Schaden ersetzen solle.

Auf diesem Gedanken beruht die Einrichtung der Verbrecherkolonien: mau
sucht die Arbeit des Verbrechers für die Gesellschaft zu nützen, nebenbei mit dem
Gedanken, ihn einerseits für fernere Zeiten unschädlich zu machen, anderseits ihm
doch die Möglichkeit zu geben, wieder ein guter Mensch zu werden; und da es
geschehen kann, daß auch ein guter Mensch ein Verbrechen begeht, so würde man
wenigstens gegen diesen, seltenen, Menschen gütig und sittlich handeln durch Dar¬
bietung dieser Möglichkeit. Aus verschiedenen Gründen haben die meisten Staaten
die Verbrecherkolomen aufgegeben; aber sollte man nicht das Prinzip beibehalten
können auch in anderer Ausführung?

Man könnte sich die Arbeitshäuser als Vorbilder nehmen, die ja doch auch
nicht Strafanstalten sind, sondern Anstalten, in denen man Menschen zur Arbeit
zwingt, die ohne den Zwang der Gesellschaft zur Last fallen. Man könnte etwa
solche verurteilten Verbrecher, wie Sollanek und ähnliche sind, von denen es klar
ist, daß sie in Freiheit eine beständige Bedrohung für die Menschheit bedeuten, in
solchen Arbeitshäusern unterbringen, bringt der Staat ja doch auch arme Irre
zwangsweise in Anstalten unter, nur weil sie für ihre Mitmenschen gefährlich sind.
Es käme auf die Organisation an, daß die Arbeit dieser Leute ihren gesellschaft¬
lichen Wert behielte und sie nicht mit einem Teil ihres Unterhalts der Gesellschaft
zur Last fielen; vor allem sollte man die gesundheitsschädlichen Industrien in
diesen Anstalten betreiben und so das Leben ordentlicher Leute, die sonst in ihnen
arbeiten, auf Kosten dieser wertlosen Menschen bewahren.




Grenzbvwn III 1912S8
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[0465] Ans Processen d^'s Jahres wie nicht geschehen. Aber eine Tat ist ein lebendiges Wesen, das nach jeder Richtung fortwirkt: der Ermordete wird nicht wieder lebendig, seine Familie kommt ins Elend, das verkaufte Mädchen wird nicht wieder unschuldig, es bleibt elend und wirkt Unsittliches. Und auch für die Persönlichkeit des Verbrechers ist diese philiströs - humane Auffassung unsinnig. Jeder wird auch durch das, was er tut; alles, was einer je getan hat, das wirkt auch in ihm weiter. Wenn man den Mädchenhändler brandmarkt, so ist das nötig nur für die unerfahrenen Menschen, der Erfahrene erkennt den Schurken schon an dem Ausdruck, den seine eigenen Taten seinem Gesicht ausgepreßt haben; aber für die Unerfahrenen gerade ist er ja gefährlich. Es ist am Anfange dieser Betrachtungen gesagt, daß das Recht früherer Zeiten einen Gedankengang hatte, den man heute hat fallen lassen: daß der Verbrecher den angerichteten Schaden ersetzen solle. Auf diesem Gedanken beruht die Einrichtung der Verbrecherkolonien: mau sucht die Arbeit des Verbrechers für die Gesellschaft zu nützen, nebenbei mit dem Gedanken, ihn einerseits für fernere Zeiten unschädlich zu machen, anderseits ihm doch die Möglichkeit zu geben, wieder ein guter Mensch zu werden; und da es geschehen kann, daß auch ein guter Mensch ein Verbrechen begeht, so würde man wenigstens gegen diesen, seltenen, Menschen gütig und sittlich handeln durch Dar¬ bietung dieser Möglichkeit. Aus verschiedenen Gründen haben die meisten Staaten die Verbrecherkolomen aufgegeben; aber sollte man nicht das Prinzip beibehalten können auch in anderer Ausführung? Man könnte sich die Arbeitshäuser als Vorbilder nehmen, die ja doch auch nicht Strafanstalten sind, sondern Anstalten, in denen man Menschen zur Arbeit zwingt, die ohne den Zwang der Gesellschaft zur Last fallen. Man könnte etwa solche verurteilten Verbrecher, wie Sollanek und ähnliche sind, von denen es klar ist, daß sie in Freiheit eine beständige Bedrohung für die Menschheit bedeuten, in solchen Arbeitshäusern unterbringen, bringt der Staat ja doch auch arme Irre zwangsweise in Anstalten unter, nur weil sie für ihre Mitmenschen gefährlich sind. Es käme auf die Organisation an, daß die Arbeit dieser Leute ihren gesellschaft¬ lichen Wert behielte und sie nicht mit einem Teil ihres Unterhalts der Gesellschaft zur Last fielen; vor allem sollte man die gesundheitsschädlichen Industrien in diesen Anstalten betreiben und so das Leben ordentlicher Leute, die sonst in ihnen arbeiten, auf Kosten dieser wertlosen Menschen bewahren. Grenzbvwn III 1912S8

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/465>, abgerufen am 22.07.2024.