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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Karl Salzcr

Gurkenfrüchte von den rauhen Ranken. Zwischen den dunkelgrünen Blättern
lugen auch goldgelbe Früchte hervor, die man nicht abbricht. Sie bleiben als
Samengurken hängen bis nach der Haupternte. Dann werden sie aufs Schuppen¬
dach gelegt, wo die Sonne sie voll ausreifen mag.

Die Arbeit der Geschwister geht rasch vonstatten. Ist ein Körbchen gefüllt,
so wird es in die Säcke geleert, die aufrecht zwischen den Zeilen stehen bleiben.
AIs die beiden am Ende der Zeile angelangt waren, sagt Karl, der Bruder,
zu Sophie, der Schwester:

"Mach du "weil (einstweilen) in der anderen Zeil allein weiter. Ich bird
die Säckelchen zu und trag sie hinauf an den Weg, damit der Vater sie gleich
aufladen kann, wenn er kommt!"

Karl richtet sich auf, setzt den breitrandigen Strohhut ab und trocknet den
Stirnschweiß. Dann greift er in die Hosentasche und holt ein Bündel Körbel
heraus, faltete die Sackenden zusammen und umschnürt die Bauschen mit dem
Bindfaden. So Zeile um Zeile. Als er mit dem Zubinden fertig ist, trägt
er die kurzen Säcke auf dem Rücken an den fuhrgleiszerrissenen Weg und
schichtet sie aufeinander. Dann hilft er der Schwester wieder beim Abbrechen
der Gurken.

Die Sonne brennt heiß vom dunstigblauen Himmel herab. Man könnte
einen guten Regen brauchen. Der Boden ist harttrocken und rissig, die Gurken¬
pflanzen sind welk. Karl sagt zu seiner Schwester:

"Sophie, wenn's mit dieser Trockenung so weiter geht, brauchen wir auf
Kerb (Kirchweih) keine Gummern mehr zu brechen!"

"'s ist noch lang bis dorthinI" antwortet das Mädchen. "Da kann's
noch genung Regen geben. Aweil (eben) haben wir erst anfangs August, die
Kerb ist am dritten Sonntag im September. Ich wollt, ich hätt soviel Mark,
als bis dorthin noch Regentröpfelchen vom Himmel fallen!"

Der Wunsch der Schwester bringt die Gedanken des Burschen auf die
Angelegenheit seines Vaters. Er sagt:

"Sophie, ich möcht nur wissen, wie ein so miserabel Geschwätz über unsern
Vater hat aufkommen können. Ich glaub, er nimmt sich's arg zu Herzen!"

"Karl, ich glaub von unserm Vater net, daß er zu einem Spitzbub werden
könnt, wie das die Baueren meinen, aber ich hab doch so Angst und weiß net
warum!"

Das Herz schlägt ihr rascher und bis zum Halse herauf. Sie lüftet unter
dem Kinn den Knoten des weißen Kopftuches, das so weit nach vorn gebunden
ist, daß das erhitzte Gesicht des Mädchens nur durch einen schmalen Schlitz
sichtbar ist.

Es wird ihr zu enge.

"'s war heut morgen auch so auffällig, wie er sich benommen hat," meint
der Bruder. "Und das komisch Geschwätz, das wir alle drei zusammen geschmust


Karl Salzcr

Gurkenfrüchte von den rauhen Ranken. Zwischen den dunkelgrünen Blättern
lugen auch goldgelbe Früchte hervor, die man nicht abbricht. Sie bleiben als
Samengurken hängen bis nach der Haupternte. Dann werden sie aufs Schuppen¬
dach gelegt, wo die Sonne sie voll ausreifen mag.

Die Arbeit der Geschwister geht rasch vonstatten. Ist ein Körbchen gefüllt,
so wird es in die Säcke geleert, die aufrecht zwischen den Zeilen stehen bleiben.
AIs die beiden am Ende der Zeile angelangt waren, sagt Karl, der Bruder,
zu Sophie, der Schwester:

„Mach du «weil (einstweilen) in der anderen Zeil allein weiter. Ich bird
die Säckelchen zu und trag sie hinauf an den Weg, damit der Vater sie gleich
aufladen kann, wenn er kommt!"

Karl richtet sich auf, setzt den breitrandigen Strohhut ab und trocknet den
Stirnschweiß. Dann greift er in die Hosentasche und holt ein Bündel Körbel
heraus, faltete die Sackenden zusammen und umschnürt die Bauschen mit dem
Bindfaden. So Zeile um Zeile. Als er mit dem Zubinden fertig ist, trägt
er die kurzen Säcke auf dem Rücken an den fuhrgleiszerrissenen Weg und
schichtet sie aufeinander. Dann hilft er der Schwester wieder beim Abbrechen
der Gurken.

Die Sonne brennt heiß vom dunstigblauen Himmel herab. Man könnte
einen guten Regen brauchen. Der Boden ist harttrocken und rissig, die Gurken¬
pflanzen sind welk. Karl sagt zu seiner Schwester:

„Sophie, wenn's mit dieser Trockenung so weiter geht, brauchen wir auf
Kerb (Kirchweih) keine Gummern mehr zu brechen!"

„'s ist noch lang bis dorthinI" antwortet das Mädchen. „Da kann's
noch genung Regen geben. Aweil (eben) haben wir erst anfangs August, die
Kerb ist am dritten Sonntag im September. Ich wollt, ich hätt soviel Mark,
als bis dorthin noch Regentröpfelchen vom Himmel fallen!"

Der Wunsch der Schwester bringt die Gedanken des Burschen auf die
Angelegenheit seines Vaters. Er sagt:

„Sophie, ich möcht nur wissen, wie ein so miserabel Geschwätz über unsern
Vater hat aufkommen können. Ich glaub, er nimmt sich's arg zu Herzen!"

„Karl, ich glaub von unserm Vater net, daß er zu einem Spitzbub werden
könnt, wie das die Baueren meinen, aber ich hab doch so Angst und weiß net
warum!"

Das Herz schlägt ihr rascher und bis zum Halse herauf. Sie lüftet unter
dem Kinn den Knoten des weißen Kopftuches, das so weit nach vorn gebunden
ist, daß das erhitzte Gesicht des Mädchens nur durch einen schmalen Schlitz
sichtbar ist.

Es wird ihr zu enge.

„'s war heut morgen auch so auffällig, wie er sich benommen hat," meint
der Bruder. „Und das komisch Geschwätz, das wir alle drei zusammen geschmust


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[0434] Karl Salzcr Gurkenfrüchte von den rauhen Ranken. Zwischen den dunkelgrünen Blättern lugen auch goldgelbe Früchte hervor, die man nicht abbricht. Sie bleiben als Samengurken hängen bis nach der Haupternte. Dann werden sie aufs Schuppen¬ dach gelegt, wo die Sonne sie voll ausreifen mag. Die Arbeit der Geschwister geht rasch vonstatten. Ist ein Körbchen gefüllt, so wird es in die Säcke geleert, die aufrecht zwischen den Zeilen stehen bleiben. AIs die beiden am Ende der Zeile angelangt waren, sagt Karl, der Bruder, zu Sophie, der Schwester: „Mach du «weil (einstweilen) in der anderen Zeil allein weiter. Ich bird die Säckelchen zu und trag sie hinauf an den Weg, damit der Vater sie gleich aufladen kann, wenn er kommt!" Karl richtet sich auf, setzt den breitrandigen Strohhut ab und trocknet den Stirnschweiß. Dann greift er in die Hosentasche und holt ein Bündel Körbel heraus, faltete die Sackenden zusammen und umschnürt die Bauschen mit dem Bindfaden. So Zeile um Zeile. Als er mit dem Zubinden fertig ist, trägt er die kurzen Säcke auf dem Rücken an den fuhrgleiszerrissenen Weg und schichtet sie aufeinander. Dann hilft er der Schwester wieder beim Abbrechen der Gurken. Die Sonne brennt heiß vom dunstigblauen Himmel herab. Man könnte einen guten Regen brauchen. Der Boden ist harttrocken und rissig, die Gurken¬ pflanzen sind welk. Karl sagt zu seiner Schwester: „Sophie, wenn's mit dieser Trockenung so weiter geht, brauchen wir auf Kerb (Kirchweih) keine Gummern mehr zu brechen!" „'s ist noch lang bis dorthinI" antwortet das Mädchen. „Da kann's noch genung Regen geben. Aweil (eben) haben wir erst anfangs August, die Kerb ist am dritten Sonntag im September. Ich wollt, ich hätt soviel Mark, als bis dorthin noch Regentröpfelchen vom Himmel fallen!" Der Wunsch der Schwester bringt die Gedanken des Burschen auf die Angelegenheit seines Vaters. Er sagt: „Sophie, ich möcht nur wissen, wie ein so miserabel Geschwätz über unsern Vater hat aufkommen können. Ich glaub, er nimmt sich's arg zu Herzen!" „Karl, ich glaub von unserm Vater net, daß er zu einem Spitzbub werden könnt, wie das die Baueren meinen, aber ich hab doch so Angst und weiß net warum!" Das Herz schlägt ihr rascher und bis zum Halse herauf. Sie lüftet unter dem Kinn den Knoten des weißen Kopftuches, das so weit nach vorn gebunden ist, daß das erhitzte Gesicht des Mädchens nur durch einen schmalen Schlitz sichtbar ist. Es wird ihr zu enge. „'s war heut morgen auch so auffällig, wie er sich benommen hat," meint der Bruder. „Und das komisch Geschwätz, das wir alle drei zusammen geschmust

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/434>, abgerufen am 22.07.2024.