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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Rarl Salzer

ob der Schmied, wenn dieser Fall einträte, die Kasse mit ruhigem Gewissen
in andere Hände übergeben könne? Ob denn auch wirklich alles in bester
Ordnung sei?

Da wurde der Schmied ein wenig verwirrt. Er konnte gar nicht gleich
Worte finden und atmete ein paarmal recht schwer. Dann entschuldigte er sich
damit, das komme ihm alles so überraschend, daß er gar nicht recht wisse, wo
ein und wo aus. Gewiß sei mit der Kasse alles in bester Ordnung, und die
Bauern sollten doch nicht gleich so boshaft werden. Einmal habe er doch eine
Kaution in der Höhe von zehntausend Mark gestellt, und dann lege er doch
auch jedes Jahr Rechenschaftsbericht ab. Was das mit den Schulden bei dem
Wormser Eisenhändler betreffe, so brauche dieser nicht die Einbuße seiner
Forderung zu befürchten. Das sei halt mal so auf dem Dorfe, wie der Herr
Bürgermeister selbst wisse, daß die Bauern immer erst nach der Ernte bezahlten,
weil sie zu sonstigen Zeiten nicht viel Geld flüssig hätten. Im Herbste würde
er den Eisenhändler ganz oder doch zum größten Teile bezahlen. Dadurch,
daß er sich die vielen Äcker gepachtet und seitdem ständig auch die hohen Tag¬
löhne zu bezahlen habe, sei er mit seinen Bezahlungen für das Eisen etwas
in Rückstand geraten. So verhalte sich die Sache.

Was an Vermögen vorhanden sei, das wisse ja der Herr Bürgermeister
selbst. Die fünftausend Mark in bar, die ihm seine verstorbene Frau mit in
die Ehe gebracht habe, seien zur Stellung der Kaution verwendet worden; die
fünftausend Mark der zweiten Hälfte der Kaution habe seine Schwägerin ihm
in bar geliehen.

Auf seiner Hofreite in der Untergasse ruhe eine Hypothek von sechstausend
Mark. Und das seien die Schulden, denen allerdings wieder ein Immobilien-
Vermögen gegenüberstehe in Gestalt von achtzehn Morgen Ackerland, immerhin
ein Wert von achtzehn- bis zweiundzwanzigtausend Mark.

Der Bürgermeister ließ sich beruhigen und gab auch der Wormser Eisen¬
handlung beruhigende Auskunft.

Aber schon am nächsten Tage erregte es im Dorfe ein gewaltiges Auf¬
sehen, als man bemerkte, daß der Handelsmann Simon Rosenast, einer der
wenigen Juden im Ort, mit seiner ganzen Familie verschwunden war, und
einige wollten gesehen haben, daß der Schmied erst gegen Mitternacht aus des
Juden Haus gekommen sei, das er schon um halb neun Uhr betreten habe.

Der Schmied tat, als ob nichts geschehen wäre, gab seinen Taglöhnern,
die unter der Aufsicht seines sechszehnjährigen Sohnes arbeiteten, die nötigen
Anweisungen und schaffte selbst recht eifrig in der Werkstätte. Aber er beob¬
achtete doch, daß manche Bauern, die ihre Gäule sonst bei ihm beschlagen
ließen, just an diesem Tage an seinem Tore vorbei und in die Werkstätte
seines einzigen Konkurrenten, des Schmiedes Reinig in der Pfaugasse, trieben.

Gegen Abend desselben Tages brachte seine Schwägerin, die ihm seit dem
vor einigen Jahren erfolgten Tode seiner Frau die Haushaltung führte, von


Rarl Salzer

ob der Schmied, wenn dieser Fall einträte, die Kasse mit ruhigem Gewissen
in andere Hände übergeben könne? Ob denn auch wirklich alles in bester
Ordnung sei?

Da wurde der Schmied ein wenig verwirrt. Er konnte gar nicht gleich
Worte finden und atmete ein paarmal recht schwer. Dann entschuldigte er sich
damit, das komme ihm alles so überraschend, daß er gar nicht recht wisse, wo
ein und wo aus. Gewiß sei mit der Kasse alles in bester Ordnung, und die
Bauern sollten doch nicht gleich so boshaft werden. Einmal habe er doch eine
Kaution in der Höhe von zehntausend Mark gestellt, und dann lege er doch
auch jedes Jahr Rechenschaftsbericht ab. Was das mit den Schulden bei dem
Wormser Eisenhändler betreffe, so brauche dieser nicht die Einbuße seiner
Forderung zu befürchten. Das sei halt mal so auf dem Dorfe, wie der Herr
Bürgermeister selbst wisse, daß die Bauern immer erst nach der Ernte bezahlten,
weil sie zu sonstigen Zeiten nicht viel Geld flüssig hätten. Im Herbste würde
er den Eisenhändler ganz oder doch zum größten Teile bezahlen. Dadurch,
daß er sich die vielen Äcker gepachtet und seitdem ständig auch die hohen Tag¬
löhne zu bezahlen habe, sei er mit seinen Bezahlungen für das Eisen etwas
in Rückstand geraten. So verhalte sich die Sache.

Was an Vermögen vorhanden sei, das wisse ja der Herr Bürgermeister
selbst. Die fünftausend Mark in bar, die ihm seine verstorbene Frau mit in
die Ehe gebracht habe, seien zur Stellung der Kaution verwendet worden; die
fünftausend Mark der zweiten Hälfte der Kaution habe seine Schwägerin ihm
in bar geliehen.

Auf seiner Hofreite in der Untergasse ruhe eine Hypothek von sechstausend
Mark. Und das seien die Schulden, denen allerdings wieder ein Immobilien-
Vermögen gegenüberstehe in Gestalt von achtzehn Morgen Ackerland, immerhin
ein Wert von achtzehn- bis zweiundzwanzigtausend Mark.

Der Bürgermeister ließ sich beruhigen und gab auch der Wormser Eisen¬
handlung beruhigende Auskunft.

Aber schon am nächsten Tage erregte es im Dorfe ein gewaltiges Auf¬
sehen, als man bemerkte, daß der Handelsmann Simon Rosenast, einer der
wenigen Juden im Ort, mit seiner ganzen Familie verschwunden war, und
einige wollten gesehen haben, daß der Schmied erst gegen Mitternacht aus des
Juden Haus gekommen sei, das er schon um halb neun Uhr betreten habe.

Der Schmied tat, als ob nichts geschehen wäre, gab seinen Taglöhnern,
die unter der Aufsicht seines sechszehnjährigen Sohnes arbeiteten, die nötigen
Anweisungen und schaffte selbst recht eifrig in der Werkstätte. Aber er beob¬
achtete doch, daß manche Bauern, die ihre Gäule sonst bei ihm beschlagen
ließen, just an diesem Tage an seinem Tore vorbei und in die Werkstätte
seines einzigen Konkurrenten, des Schmiedes Reinig in der Pfaugasse, trieben.

Gegen Abend desselben Tages brachte seine Schwägerin, die ihm seit dem
vor einigen Jahren erfolgten Tode seiner Frau die Haushaltung führte, von


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[0431] Rarl Salzer ob der Schmied, wenn dieser Fall einträte, die Kasse mit ruhigem Gewissen in andere Hände übergeben könne? Ob denn auch wirklich alles in bester Ordnung sei? Da wurde der Schmied ein wenig verwirrt. Er konnte gar nicht gleich Worte finden und atmete ein paarmal recht schwer. Dann entschuldigte er sich damit, das komme ihm alles so überraschend, daß er gar nicht recht wisse, wo ein und wo aus. Gewiß sei mit der Kasse alles in bester Ordnung, und die Bauern sollten doch nicht gleich so boshaft werden. Einmal habe er doch eine Kaution in der Höhe von zehntausend Mark gestellt, und dann lege er doch auch jedes Jahr Rechenschaftsbericht ab. Was das mit den Schulden bei dem Wormser Eisenhändler betreffe, so brauche dieser nicht die Einbuße seiner Forderung zu befürchten. Das sei halt mal so auf dem Dorfe, wie der Herr Bürgermeister selbst wisse, daß die Bauern immer erst nach der Ernte bezahlten, weil sie zu sonstigen Zeiten nicht viel Geld flüssig hätten. Im Herbste würde er den Eisenhändler ganz oder doch zum größten Teile bezahlen. Dadurch, daß er sich die vielen Äcker gepachtet und seitdem ständig auch die hohen Tag¬ löhne zu bezahlen habe, sei er mit seinen Bezahlungen für das Eisen etwas in Rückstand geraten. So verhalte sich die Sache. Was an Vermögen vorhanden sei, das wisse ja der Herr Bürgermeister selbst. Die fünftausend Mark in bar, die ihm seine verstorbene Frau mit in die Ehe gebracht habe, seien zur Stellung der Kaution verwendet worden; die fünftausend Mark der zweiten Hälfte der Kaution habe seine Schwägerin ihm in bar geliehen. Auf seiner Hofreite in der Untergasse ruhe eine Hypothek von sechstausend Mark. Und das seien die Schulden, denen allerdings wieder ein Immobilien- Vermögen gegenüberstehe in Gestalt von achtzehn Morgen Ackerland, immerhin ein Wert von achtzehn- bis zweiundzwanzigtausend Mark. Der Bürgermeister ließ sich beruhigen und gab auch der Wormser Eisen¬ handlung beruhigende Auskunft. Aber schon am nächsten Tage erregte es im Dorfe ein gewaltiges Auf¬ sehen, als man bemerkte, daß der Handelsmann Simon Rosenast, einer der wenigen Juden im Ort, mit seiner ganzen Familie verschwunden war, und einige wollten gesehen haben, daß der Schmied erst gegen Mitternacht aus des Juden Haus gekommen sei, das er schon um halb neun Uhr betreten habe. Der Schmied tat, als ob nichts geschehen wäre, gab seinen Taglöhnern, die unter der Aufsicht seines sechszehnjährigen Sohnes arbeiteten, die nötigen Anweisungen und schaffte selbst recht eifrig in der Werkstätte. Aber er beob¬ achtete doch, daß manche Bauern, die ihre Gäule sonst bei ihm beschlagen ließen, just an diesem Tage an seinem Tore vorbei und in die Werkstätte seines einzigen Konkurrenten, des Schmiedes Reinig in der Pfaugasse, trieben. Gegen Abend desselben Tages brachte seine Schwägerin, die ihm seit dem vor einigen Jahren erfolgten Tode seiner Frau die Haushaltung führte, von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/431>, abgerufen am 26.06.2024.