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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Der Kronprinz und sein Buch

Aber auch so mancher tiefere Gedanke ist in die Erzählungen hinein¬
gewoben, der einen Blick in das innere Gemütsleben gestattet: Die gemein¬
samen Ausflüge mit der Gattin, die gute Kameradschaft mit Jugendfreunden
und Jagdgenossen, das Mitgefühl mit den armen Städtern, denen der Genuß
des freien Lebens dort draußen versagt ist, sogar das "Faible für die amüsanten
Strolche", die Zigeuner; und dann der immer wiederkehrende Preis der Natur,
das alles enthüllt so manche sympathische Seite und wird so treuherzig und
schlicht ausgesprochen, daß es anmutet wie ein warmer, freundlicher Händedruck.

"Die Zügel, die Büchse, der Bergstock sind meiner Hand gefügiger, als
die Feder." Das ist ein freimütiges und der Öffentlichkeit gegenüber nicht ganz
ungefährliches Geständnis. Man hat wenigstens dem Kronprinzen während
seiner indischen Reise wiederholt den Vorwurf gemacht, er widme sich zu aus¬
schließlich dem Sport und fände keine Zeit zu ernsten Studien.

Der Angegriffene nahm damals trotz seines obenstehenden Geständnisses
selbst die Feder zur Hand und verteidigte sich indem er betonte, er lerne im
Verlauf seiner Ausflüge im Gespräch mit den hohen englischen Beamten schneller
und mehr, als durch eingehende Spezialstudien.

Wer hat nun recht? Die Ansicht unserer Kritiker in Ehren; aber riecht
das Ganze nicht doch etwas nach der Studierstube des gründlichen deutschen
Professors? Ich entsinne mich, daß ich meinen tiefsten Einblick in das Getriebe
der anglo-indischen Verwaltung (allerdings in spezielle Verhältnisse, die aber
sehr den Verhältnissen in unseren afrikanischen Äquatorialkolonien gleichen) machte,
als ich, die Büchse in der Hand, mit einem englischen Beamten in den Ur¬
wäldern der Provinz Assam herumzog. Für einen Thronfolger ist es vor
allem wichtig, die "großen Linien" kennen zu lernen und zur Erreichung dieses
Zwecks war der in Indien betriebene Anschauungsunterricht sicher nicht die
schlechteste Methode.

Der in Indien lebende Engländer hält den Sport, in Anbetracht des
Klimas nicht mit Unrecht, für ebenso nötig zum Leben, wie Essen und Trinken.
Nur wer ein guter Sportsmann ist, gilt als ganzer Mann. Wäre da ein
steifer Kerl oder ein verzärteltes Muttersöhnchen aus Deutschland herüber¬
gekommen, so hätte man diesen: mit Rücksicht aus seine Stellung ja immer das
nötige Maß von Höflichkeit entgegengebracht, mehr aber nicht. Wenn dagegen
der Kronprinz nach seinem kurzen Aufenthalt in Indien überall als "a Zvocl
teil<z>v" bekannt und beliebt war, wenn noch heute so manches Engländers
Augen aufleuchten, sobald er von seinem Zusammensein mit dem "Lrowliprince"
erzählt, so zeigt das, daß dieser es den Engländern als Sportsmann angetan
und -- was dort so ungefähr dasselbe bedeutet --, bewiesen hat, daß er das
Herz auf dem rechten Fleck hat.

Wir brauchen uns ja gewiß nicht unser Urteil von Fremden vorschreiben
zu lassen, aber zur Vervollständigung eines Charakterbildes ist auch das fremde
Urteil wertvoll.


Der Kronprinz und sein Buch

Aber auch so mancher tiefere Gedanke ist in die Erzählungen hinein¬
gewoben, der einen Blick in das innere Gemütsleben gestattet: Die gemein¬
samen Ausflüge mit der Gattin, die gute Kameradschaft mit Jugendfreunden
und Jagdgenossen, das Mitgefühl mit den armen Städtern, denen der Genuß
des freien Lebens dort draußen versagt ist, sogar das „Faible für die amüsanten
Strolche", die Zigeuner; und dann der immer wiederkehrende Preis der Natur,
das alles enthüllt so manche sympathische Seite und wird so treuherzig und
schlicht ausgesprochen, daß es anmutet wie ein warmer, freundlicher Händedruck.

„Die Zügel, die Büchse, der Bergstock sind meiner Hand gefügiger, als
die Feder." Das ist ein freimütiges und der Öffentlichkeit gegenüber nicht ganz
ungefährliches Geständnis. Man hat wenigstens dem Kronprinzen während
seiner indischen Reise wiederholt den Vorwurf gemacht, er widme sich zu aus¬
schließlich dem Sport und fände keine Zeit zu ernsten Studien.

Der Angegriffene nahm damals trotz seines obenstehenden Geständnisses
selbst die Feder zur Hand und verteidigte sich indem er betonte, er lerne im
Verlauf seiner Ausflüge im Gespräch mit den hohen englischen Beamten schneller
und mehr, als durch eingehende Spezialstudien.

Wer hat nun recht? Die Ansicht unserer Kritiker in Ehren; aber riecht
das Ganze nicht doch etwas nach der Studierstube des gründlichen deutschen
Professors? Ich entsinne mich, daß ich meinen tiefsten Einblick in das Getriebe
der anglo-indischen Verwaltung (allerdings in spezielle Verhältnisse, die aber
sehr den Verhältnissen in unseren afrikanischen Äquatorialkolonien gleichen) machte,
als ich, die Büchse in der Hand, mit einem englischen Beamten in den Ur¬
wäldern der Provinz Assam herumzog. Für einen Thronfolger ist es vor
allem wichtig, die „großen Linien" kennen zu lernen und zur Erreichung dieses
Zwecks war der in Indien betriebene Anschauungsunterricht sicher nicht die
schlechteste Methode.

Der in Indien lebende Engländer hält den Sport, in Anbetracht des
Klimas nicht mit Unrecht, für ebenso nötig zum Leben, wie Essen und Trinken.
Nur wer ein guter Sportsmann ist, gilt als ganzer Mann. Wäre da ein
steifer Kerl oder ein verzärteltes Muttersöhnchen aus Deutschland herüber¬
gekommen, so hätte man diesen: mit Rücksicht aus seine Stellung ja immer das
nötige Maß von Höflichkeit entgegengebracht, mehr aber nicht. Wenn dagegen
der Kronprinz nach seinem kurzen Aufenthalt in Indien überall als „a Zvocl
teil<z>v" bekannt und beliebt war, wenn noch heute so manches Engländers
Augen aufleuchten, sobald er von seinem Zusammensein mit dem „Lrowliprince"
erzählt, so zeigt das, daß dieser es den Engländern als Sportsmann angetan
und — was dort so ungefähr dasselbe bedeutet —, bewiesen hat, daß er das
Herz auf dem rechten Fleck hat.

Wir brauchen uns ja gewiß nicht unser Urteil von Fremden vorschreiben
zu lassen, aber zur Vervollständigung eines Charakterbildes ist auch das fremde
Urteil wertvoll.


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[0427] Der Kronprinz und sein Buch Aber auch so mancher tiefere Gedanke ist in die Erzählungen hinein¬ gewoben, der einen Blick in das innere Gemütsleben gestattet: Die gemein¬ samen Ausflüge mit der Gattin, die gute Kameradschaft mit Jugendfreunden und Jagdgenossen, das Mitgefühl mit den armen Städtern, denen der Genuß des freien Lebens dort draußen versagt ist, sogar das „Faible für die amüsanten Strolche", die Zigeuner; und dann der immer wiederkehrende Preis der Natur, das alles enthüllt so manche sympathische Seite und wird so treuherzig und schlicht ausgesprochen, daß es anmutet wie ein warmer, freundlicher Händedruck. „Die Zügel, die Büchse, der Bergstock sind meiner Hand gefügiger, als die Feder." Das ist ein freimütiges und der Öffentlichkeit gegenüber nicht ganz ungefährliches Geständnis. Man hat wenigstens dem Kronprinzen während seiner indischen Reise wiederholt den Vorwurf gemacht, er widme sich zu aus¬ schließlich dem Sport und fände keine Zeit zu ernsten Studien. Der Angegriffene nahm damals trotz seines obenstehenden Geständnisses selbst die Feder zur Hand und verteidigte sich indem er betonte, er lerne im Verlauf seiner Ausflüge im Gespräch mit den hohen englischen Beamten schneller und mehr, als durch eingehende Spezialstudien. Wer hat nun recht? Die Ansicht unserer Kritiker in Ehren; aber riecht das Ganze nicht doch etwas nach der Studierstube des gründlichen deutschen Professors? Ich entsinne mich, daß ich meinen tiefsten Einblick in das Getriebe der anglo-indischen Verwaltung (allerdings in spezielle Verhältnisse, die aber sehr den Verhältnissen in unseren afrikanischen Äquatorialkolonien gleichen) machte, als ich, die Büchse in der Hand, mit einem englischen Beamten in den Ur¬ wäldern der Provinz Assam herumzog. Für einen Thronfolger ist es vor allem wichtig, die „großen Linien" kennen zu lernen und zur Erreichung dieses Zwecks war der in Indien betriebene Anschauungsunterricht sicher nicht die schlechteste Methode. Der in Indien lebende Engländer hält den Sport, in Anbetracht des Klimas nicht mit Unrecht, für ebenso nötig zum Leben, wie Essen und Trinken. Nur wer ein guter Sportsmann ist, gilt als ganzer Mann. Wäre da ein steifer Kerl oder ein verzärteltes Muttersöhnchen aus Deutschland herüber¬ gekommen, so hätte man diesen: mit Rücksicht aus seine Stellung ja immer das nötige Maß von Höflichkeit entgegengebracht, mehr aber nicht. Wenn dagegen der Kronprinz nach seinem kurzen Aufenthalt in Indien überall als „a Zvocl teil<z>v" bekannt und beliebt war, wenn noch heute so manches Engländers Augen aufleuchten, sobald er von seinem Zusammensein mit dem „Lrowliprince" erzählt, so zeigt das, daß dieser es den Engländern als Sportsmann angetan und — was dort so ungefähr dasselbe bedeutet —, bewiesen hat, daß er das Herz auf dem rechten Fleck hat. Wir brauchen uns ja gewiß nicht unser Urteil von Fremden vorschreiben zu lassen, aber zur Vervollständigung eines Charakterbildes ist auch das fremde Urteil wertvoll.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/427>, abgerufen am 22.07.2024.