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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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ausfindig machen; nur dem Wanderer, der den kaum erkennbaren Pfad im ver¬
schlungenen Walde bereits betreten hat, erhellt sich dieser Schritt für Schritt, während
er am Anfange nicht mehr als die Richtung anzugeben vermag. Zweitens lassen
sich die Kräfte, welche die feindliche Tendenz tragen, nicht einfach beiseite schieben.
Die einzige Möglichkeit, sich mit ihnen abzufinden, besteht darin, sie für das
neue Ziel zu gewinnen. Möglich ist eine solche innere Umbiegung in der Tat.
Unsere Industrie hat an sich kein größeres Interesse daran, geschmacklose als
geschmackvolle Häuser zu bauen, und der berufliche Ehrgeiz eines Lehrers kann
ebensogut darauf gerichtet sein, die Seelenkräfte seines Zöglings zu erwecken
als sie zu ertöten.

Wodurch kann nun aber ein solcher Umschwung verwirklicht werden?

Im Prinzip ist diese Frage bereits beantwortet durch die großen, neues
Leben schaffenden Reformbewegungen unserer Zeit, wie die Frauenbewegung,
die Kunst- und Kunsthandwerksbewegung, die Käuferbünde, die Bemühungen
um die Reform des Unterrichts oder die Hebung der Volksgesundheit. Alle
diese Bewegungen sind Tendenzen in dem oben angedeuteten Sinne dieses
Wortes. Es verquicken sich bei ihrer Herrschaft hohe und niedere Motive, es
verquicken sich dabei die Initiativen einzelner und die Interessen von Massen.
Das Hauptmittel, durch das jene Bewegungen sich durchsetzen, besteht bekanntlich
in der Organisation von Vereinen, in denen Liebhaber- und Berufstätigkeit
sich miteinander verbinden. Neben den idealen, den rein sachlichen Interessen
sind hier überall Ehrgeiz, Eitelkeit, Erwerbsinteressen und die Aussicht auf
das Vorwärtskommen wirksam. Ohne diesen Mechanismus wären alle jene
Bewegungen nicht möglich. In eben dieser Weise muß sich ganz allgemein die
Gegenkraft gegen die Tendenz zur reinen Konsumtion entwickeln und betätigen.
Und zwar kommt es bei ihr darauf an, eine neue Lebensauffassung zur
Geltung zu bringen. Ihr Schlagwort muß lauten: von der Produktion
zur Konsumtion. Damit ist gemeint: der Schwerpunkt miserer Lebens¬
führung und unserer öffentlichen und privaten Interessen liegt bis jetzt in
der Erzeugung von Gütern, nicht in ihrer Verwendung. Das Streben
der Zeit geht darauf aus, möglichst viel zu erzeugen auf möglichst ökono¬
mischem Wege, insbesondere so, daß ein großer Profit dabei gemacht wird; und
alles dies ohne Rücksicht auf die Art der Verwendung und deren weitere
Folgen. Einem Möbelfabrikanten z. B. ist es bei seiner Kalkulation gleichgültig,
ob durch seine Erzeugnisse der Geschmack des Publikums veredelt oder ver¬
schlechtert wird. Und so läßt es unsere ganze Industrie im Prinzip kalt, ob ihre
Produkte Segen oder Gift verbreiten. Maßgebend ist lediglich der Grad der
Rentabilität der Arbeit. Tatsächlich liegt hier eine Umkehrung des natürlichen
und gesunden Verhältnisses vor; und es ist die größte Aufgabe der Gegen¬
strömung, diese Wahrheit zur Geltung zu bringen. Wertvoll ist für die
Gesamtheit, für den Staat und die Gesellschaft nicht das, was
Geld einbringt, sondern was gesunde Bedürfnisse befriedigt,


Schaffe» und Genießen

ausfindig machen; nur dem Wanderer, der den kaum erkennbaren Pfad im ver¬
schlungenen Walde bereits betreten hat, erhellt sich dieser Schritt für Schritt, während
er am Anfange nicht mehr als die Richtung anzugeben vermag. Zweitens lassen
sich die Kräfte, welche die feindliche Tendenz tragen, nicht einfach beiseite schieben.
Die einzige Möglichkeit, sich mit ihnen abzufinden, besteht darin, sie für das
neue Ziel zu gewinnen. Möglich ist eine solche innere Umbiegung in der Tat.
Unsere Industrie hat an sich kein größeres Interesse daran, geschmacklose als
geschmackvolle Häuser zu bauen, und der berufliche Ehrgeiz eines Lehrers kann
ebensogut darauf gerichtet sein, die Seelenkräfte seines Zöglings zu erwecken
als sie zu ertöten.

Wodurch kann nun aber ein solcher Umschwung verwirklicht werden?

Im Prinzip ist diese Frage bereits beantwortet durch die großen, neues
Leben schaffenden Reformbewegungen unserer Zeit, wie die Frauenbewegung,
die Kunst- und Kunsthandwerksbewegung, die Käuferbünde, die Bemühungen
um die Reform des Unterrichts oder die Hebung der Volksgesundheit. Alle
diese Bewegungen sind Tendenzen in dem oben angedeuteten Sinne dieses
Wortes. Es verquicken sich bei ihrer Herrschaft hohe und niedere Motive, es
verquicken sich dabei die Initiativen einzelner und die Interessen von Massen.
Das Hauptmittel, durch das jene Bewegungen sich durchsetzen, besteht bekanntlich
in der Organisation von Vereinen, in denen Liebhaber- und Berufstätigkeit
sich miteinander verbinden. Neben den idealen, den rein sachlichen Interessen
sind hier überall Ehrgeiz, Eitelkeit, Erwerbsinteressen und die Aussicht auf
das Vorwärtskommen wirksam. Ohne diesen Mechanismus wären alle jene
Bewegungen nicht möglich. In eben dieser Weise muß sich ganz allgemein die
Gegenkraft gegen die Tendenz zur reinen Konsumtion entwickeln und betätigen.
Und zwar kommt es bei ihr darauf an, eine neue Lebensauffassung zur
Geltung zu bringen. Ihr Schlagwort muß lauten: von der Produktion
zur Konsumtion. Damit ist gemeint: der Schwerpunkt miserer Lebens¬
führung und unserer öffentlichen und privaten Interessen liegt bis jetzt in
der Erzeugung von Gütern, nicht in ihrer Verwendung. Das Streben
der Zeit geht darauf aus, möglichst viel zu erzeugen auf möglichst ökono¬
mischem Wege, insbesondere so, daß ein großer Profit dabei gemacht wird; und
alles dies ohne Rücksicht auf die Art der Verwendung und deren weitere
Folgen. Einem Möbelfabrikanten z. B. ist es bei seiner Kalkulation gleichgültig,
ob durch seine Erzeugnisse der Geschmack des Publikums veredelt oder ver¬
schlechtert wird. Und so läßt es unsere ganze Industrie im Prinzip kalt, ob ihre
Produkte Segen oder Gift verbreiten. Maßgebend ist lediglich der Grad der
Rentabilität der Arbeit. Tatsächlich liegt hier eine Umkehrung des natürlichen
und gesunden Verhältnisses vor; und es ist die größte Aufgabe der Gegen¬
strömung, diese Wahrheit zur Geltung zu bringen. Wertvoll ist für die
Gesamtheit, für den Staat und die Gesellschaft nicht das, was
Geld einbringt, sondern was gesunde Bedürfnisse befriedigt,


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[0424] Schaffe» und Genießen ausfindig machen; nur dem Wanderer, der den kaum erkennbaren Pfad im ver¬ schlungenen Walde bereits betreten hat, erhellt sich dieser Schritt für Schritt, während er am Anfange nicht mehr als die Richtung anzugeben vermag. Zweitens lassen sich die Kräfte, welche die feindliche Tendenz tragen, nicht einfach beiseite schieben. Die einzige Möglichkeit, sich mit ihnen abzufinden, besteht darin, sie für das neue Ziel zu gewinnen. Möglich ist eine solche innere Umbiegung in der Tat. Unsere Industrie hat an sich kein größeres Interesse daran, geschmacklose als geschmackvolle Häuser zu bauen, und der berufliche Ehrgeiz eines Lehrers kann ebensogut darauf gerichtet sein, die Seelenkräfte seines Zöglings zu erwecken als sie zu ertöten. Wodurch kann nun aber ein solcher Umschwung verwirklicht werden? Im Prinzip ist diese Frage bereits beantwortet durch die großen, neues Leben schaffenden Reformbewegungen unserer Zeit, wie die Frauenbewegung, die Kunst- und Kunsthandwerksbewegung, die Käuferbünde, die Bemühungen um die Reform des Unterrichts oder die Hebung der Volksgesundheit. Alle diese Bewegungen sind Tendenzen in dem oben angedeuteten Sinne dieses Wortes. Es verquicken sich bei ihrer Herrschaft hohe und niedere Motive, es verquicken sich dabei die Initiativen einzelner und die Interessen von Massen. Das Hauptmittel, durch das jene Bewegungen sich durchsetzen, besteht bekanntlich in der Organisation von Vereinen, in denen Liebhaber- und Berufstätigkeit sich miteinander verbinden. Neben den idealen, den rein sachlichen Interessen sind hier überall Ehrgeiz, Eitelkeit, Erwerbsinteressen und die Aussicht auf das Vorwärtskommen wirksam. Ohne diesen Mechanismus wären alle jene Bewegungen nicht möglich. In eben dieser Weise muß sich ganz allgemein die Gegenkraft gegen die Tendenz zur reinen Konsumtion entwickeln und betätigen. Und zwar kommt es bei ihr darauf an, eine neue Lebensauffassung zur Geltung zu bringen. Ihr Schlagwort muß lauten: von der Produktion zur Konsumtion. Damit ist gemeint: der Schwerpunkt miserer Lebens¬ führung und unserer öffentlichen und privaten Interessen liegt bis jetzt in der Erzeugung von Gütern, nicht in ihrer Verwendung. Das Streben der Zeit geht darauf aus, möglichst viel zu erzeugen auf möglichst ökono¬ mischem Wege, insbesondere so, daß ein großer Profit dabei gemacht wird; und alles dies ohne Rücksicht auf die Art der Verwendung und deren weitere Folgen. Einem Möbelfabrikanten z. B. ist es bei seiner Kalkulation gleichgültig, ob durch seine Erzeugnisse der Geschmack des Publikums veredelt oder ver¬ schlechtert wird. Und so läßt es unsere ganze Industrie im Prinzip kalt, ob ihre Produkte Segen oder Gift verbreiten. Maßgebend ist lediglich der Grad der Rentabilität der Arbeit. Tatsächlich liegt hier eine Umkehrung des natürlichen und gesunden Verhältnisses vor; und es ist die größte Aufgabe der Gegen¬ strömung, diese Wahrheit zur Geltung zu bringen. Wertvoll ist für die Gesamtheit, für den Staat und die Gesellschaft nicht das, was Geld einbringt, sondern was gesunde Bedürfnisse befriedigt,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/424>, abgerufen am 22.07.2024.