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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Ferdinand, Zar der Bulgaren

Wieder befand sich der nunmehrige König Ferdinand in einer Lage, die
von den Mächten nicht anerkannt wurde. Aber wenn der König den gefahr¬
vollen und schwierigen Zustand seiner ersten Regierungsjahre ertragen und zum
guten Ende geführt hatte, so brauchte er sich jetzt erst recht nicht schrecken zu
lassen. Er hatte in jeder Beziehung den rechten Augenblick erfaßt. Das
völkerrechtlich Unkorrekte war jetzt nach allgemeiner Meinung das einzig Richtige
und Vernünftige, und man hatte jetzt Vertrauen zu seiner Person und zu der Zukunft
seines Landes. Man wußte auch, daß, wenn sich irgendeine Form finden ließ, um
die Änderung der Verträge annehmbar zu begründen, der neue König den Willen
und die Kraft hatte, den sonst schwer gefährdeten Frieden im Orient zu erhalten.
Bulgarien behauptete indessen den Winter hindurch zähe seine Stellung in der
Frage der Unabhängigkeit und in der der Orientbahnen und traf in Ruhe
seine Vorbereitungen für einen im Frühjahr doch vielleicht nötig werdenden
Feldzug. Im letzten Augenblick fand es Rußland geraten, statt einer Beteiligung
an einem gemeinsamen Schritt der Großmächte seine historische Befreierrolle
wieder aufzunehmen und mit Hilfe seiner Forderungen, die es noch an Kriegs¬
entschädigungskosten von der Türkei geltend zu machen hatte, einen Vermittlungs¬
vorschlag zu formulieren. Auf der Grundlage dieses Vorschlags gelang es im
Laufe des März 1909 die Frage der Entschädigung der Orientbahnen für die
Übernahme ihrer bulgarischen Strecken durch den Staat so weit zu regeln, daß im
April die Verhandlungen zwischen der Türkei und Bulgarien beginnen und bald
zu Ende geführt werden konnten. Ende April sah sich das Königreich Bulgarien
von allen Mächten anerkannt.

Die Entwicklung, die hier in großen Zügen zu schildern versucht wurde,
zeigt zur Genüge, wie glücklich, tüchtig und geschickt die Führung war, die den
Bulgaren durch die Hand Ferdinands von Koburg zuteil wurde. Die Welt
hat durch die unverständigen Urteile, mit denen es die Anfänge der Laufbahn
dieses Mannes begleitet hat, eine gewisse Schuld übernommen, die sie gut zu
machen hat. Und es scheint, daß man auf dem Wege dazu ist. König
Ferdinand, der sich seinen Ehrenplatz in der Weltgeschichte gesichert hat, kann
jetzt auch der Bewunderung und Anerkennung der Mitwelt sicher sein.




Ferdinand, Zar der Bulgaren

Wieder befand sich der nunmehrige König Ferdinand in einer Lage, die
von den Mächten nicht anerkannt wurde. Aber wenn der König den gefahr¬
vollen und schwierigen Zustand seiner ersten Regierungsjahre ertragen und zum
guten Ende geführt hatte, so brauchte er sich jetzt erst recht nicht schrecken zu
lassen. Er hatte in jeder Beziehung den rechten Augenblick erfaßt. Das
völkerrechtlich Unkorrekte war jetzt nach allgemeiner Meinung das einzig Richtige
und Vernünftige, und man hatte jetzt Vertrauen zu seiner Person und zu der Zukunft
seines Landes. Man wußte auch, daß, wenn sich irgendeine Form finden ließ, um
die Änderung der Verträge annehmbar zu begründen, der neue König den Willen
und die Kraft hatte, den sonst schwer gefährdeten Frieden im Orient zu erhalten.
Bulgarien behauptete indessen den Winter hindurch zähe seine Stellung in der
Frage der Unabhängigkeit und in der der Orientbahnen und traf in Ruhe
seine Vorbereitungen für einen im Frühjahr doch vielleicht nötig werdenden
Feldzug. Im letzten Augenblick fand es Rußland geraten, statt einer Beteiligung
an einem gemeinsamen Schritt der Großmächte seine historische Befreierrolle
wieder aufzunehmen und mit Hilfe seiner Forderungen, die es noch an Kriegs¬
entschädigungskosten von der Türkei geltend zu machen hatte, einen Vermittlungs¬
vorschlag zu formulieren. Auf der Grundlage dieses Vorschlags gelang es im
Laufe des März 1909 die Frage der Entschädigung der Orientbahnen für die
Übernahme ihrer bulgarischen Strecken durch den Staat so weit zu regeln, daß im
April die Verhandlungen zwischen der Türkei und Bulgarien beginnen und bald
zu Ende geführt werden konnten. Ende April sah sich das Königreich Bulgarien
von allen Mächten anerkannt.

Die Entwicklung, die hier in großen Zügen zu schildern versucht wurde,
zeigt zur Genüge, wie glücklich, tüchtig und geschickt die Führung war, die den
Bulgaren durch die Hand Ferdinands von Koburg zuteil wurde. Die Welt
hat durch die unverständigen Urteile, mit denen es die Anfänge der Laufbahn
dieses Mannes begleitet hat, eine gewisse Schuld übernommen, die sie gut zu
machen hat. Und es scheint, daß man auf dem Wege dazu ist. König
Ferdinand, der sich seinen Ehrenplatz in der Weltgeschichte gesichert hat, kann
jetzt auch der Bewunderung und Anerkennung der Mitwelt sicher sein.




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[0413] Ferdinand, Zar der Bulgaren Wieder befand sich der nunmehrige König Ferdinand in einer Lage, die von den Mächten nicht anerkannt wurde. Aber wenn der König den gefahr¬ vollen und schwierigen Zustand seiner ersten Regierungsjahre ertragen und zum guten Ende geführt hatte, so brauchte er sich jetzt erst recht nicht schrecken zu lassen. Er hatte in jeder Beziehung den rechten Augenblick erfaßt. Das völkerrechtlich Unkorrekte war jetzt nach allgemeiner Meinung das einzig Richtige und Vernünftige, und man hatte jetzt Vertrauen zu seiner Person und zu der Zukunft seines Landes. Man wußte auch, daß, wenn sich irgendeine Form finden ließ, um die Änderung der Verträge annehmbar zu begründen, der neue König den Willen und die Kraft hatte, den sonst schwer gefährdeten Frieden im Orient zu erhalten. Bulgarien behauptete indessen den Winter hindurch zähe seine Stellung in der Frage der Unabhängigkeit und in der der Orientbahnen und traf in Ruhe seine Vorbereitungen für einen im Frühjahr doch vielleicht nötig werdenden Feldzug. Im letzten Augenblick fand es Rußland geraten, statt einer Beteiligung an einem gemeinsamen Schritt der Großmächte seine historische Befreierrolle wieder aufzunehmen und mit Hilfe seiner Forderungen, die es noch an Kriegs¬ entschädigungskosten von der Türkei geltend zu machen hatte, einen Vermittlungs¬ vorschlag zu formulieren. Auf der Grundlage dieses Vorschlags gelang es im Laufe des März 1909 die Frage der Entschädigung der Orientbahnen für die Übernahme ihrer bulgarischen Strecken durch den Staat so weit zu regeln, daß im April die Verhandlungen zwischen der Türkei und Bulgarien beginnen und bald zu Ende geführt werden konnten. Ende April sah sich das Königreich Bulgarien von allen Mächten anerkannt. Die Entwicklung, die hier in großen Zügen zu schildern versucht wurde, zeigt zur Genüge, wie glücklich, tüchtig und geschickt die Führung war, die den Bulgaren durch die Hand Ferdinands von Koburg zuteil wurde. Die Welt hat durch die unverständigen Urteile, mit denen es die Anfänge der Laufbahn dieses Mannes begleitet hat, eine gewisse Schuld übernommen, die sie gut zu machen hat. Und es scheint, daß man auf dem Wege dazu ist. König Ferdinand, der sich seinen Ehrenplatz in der Weltgeschichte gesichert hat, kann jetzt auch der Bewunderung und Anerkennung der Mitwelt sicher sein.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/413>, abgerufen am 01.07.2024.