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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Ferdinand, Zar der Bulgaren

übernahm dabei eine Patenstelle. Unmittelbar darauf erfolgte durch die russische
Regierung die Anerkennung des Prinzen Ferdinand als Fürst von Bulgarien.
Die Hohe Pforte beeilte sich, dem Beispiel Rußlands zu folgen. Der Sultan
übertrug schon am 14. März dem Fürsten Ferdinand die Regierung von Ost-
rumelien. Der Fürst erschien in Konstantinopel, um wegen des Tributä"
verhältnisses zu huldigen, und verließ die türkische Hauptstadt nach gnädigem
Empfang durch den Padischah als türkischer Marschall. Dann ging er im
April als glücklicher Sieger über ein ganzes Heer von Schwierigkeiten nach
Petersburg und wohnte im Mai in Moskau den Krönungsfeierlichkeiten bei.
Es versteht sich von selbst, daß der russischen und türkischen Anerkennung nun
auch die europäischen Mächte folgten.

Nach neunjähriger Arbeit war also dem Fürsten die Erreichung des ersten
und schwersten Zieles gelungen. Über die nun folgende Periode können wir
schneller hinweggehen; sie war dem weiteren, friedlichen Ausbau des bulgarischen
Staats gewidmet, aber sie enthält sür eine Schilderung, die weniger die geschicht¬
lichen Einzelheiten als eine Charakteristik des Fürsten ins Auge faßt, keine
wesentlich neuen Momente. Die überlegene Klugheit des Fürsten wußte die
Leidenschaft der noch immer recht unbändigen Parteien immer wieder auf eine
nützliche Tätigkeit zu richten. So glückte es, eine Finanzreform zustande zu
bringen, die im Sommer 1899 durchgeführt werden konnte. Im weiteren
Verfolg dieser Maßregeln verzichtete der Fürst im Jahre 1900 aus die Hälfte
seiner Zivilliste. Alle Finanzsorgen konnten freilich damit nicht beseitigt werden;
es blieb dies ein schwieriges Kapitel, aber man kam wenigstens vorwärts, und
die Unentbehrlichkeit der Leitung des Fürsten wurde allen Parteien immer
klarer. Daher blieben die Anfeindungen, die der Fürst trotz alledem noch zeit¬
weise persönlich zu erfahren hatte, schließlich vollkommen wirkungslos. Es fehlte
auch nicht an Krisen, die jedem anderen Herrscher wohl hätten gefährlich werden
können, besonders als im Jahre 1902 neue Enthüllungen über die Ermordung
Stambulows die Zankowistische Partei schwer bloßstellten und das tüchtige und
volkstümliche Ministerium Dcmcw, das dieser Partei angehörte, beinahe zu Fall
brachten.

Das Verhältnis zu Rußland gestaltete sich jetzt immer freundlicher. Dem
Besuch Danews in Petersburg folgte die Ernennung eines bulgarischen Gesandten
beim russischen Hofe. Dann erschien der Großfürst Nikolaj Nikolajewitsch als
Gast in Sofia, und bald darauf erhielt der Fürst den Besuch des russischen
Ministers des Auswärtigen, des Grafen Lambsdorff, persönlich. Es kam
Bulgarien dabei zustatten, daß Rußland dem nahen Orient in dieser
Zeit gleichgültiger gegenüberstand und seine Hauptaufmerksamkeit aus den
fernen Osten gerichtet hatte. Doch auch abgesehen davon hatte die russische
Politik offenbar seit den Tagen der Sendung des Generals Kaulbars viel
gelernt und in richtiger Erkenntnis der Bedeutung des Fürsten Ferdinand
eingesehen, daß sie ihren, sozusagen legitimen Einfluß auf der Balkanhalbinsel


Ferdinand, Zar der Bulgaren

übernahm dabei eine Patenstelle. Unmittelbar darauf erfolgte durch die russische
Regierung die Anerkennung des Prinzen Ferdinand als Fürst von Bulgarien.
Die Hohe Pforte beeilte sich, dem Beispiel Rußlands zu folgen. Der Sultan
übertrug schon am 14. März dem Fürsten Ferdinand die Regierung von Ost-
rumelien. Der Fürst erschien in Konstantinopel, um wegen des Tributä»
verhältnisses zu huldigen, und verließ die türkische Hauptstadt nach gnädigem
Empfang durch den Padischah als türkischer Marschall. Dann ging er im
April als glücklicher Sieger über ein ganzes Heer von Schwierigkeiten nach
Petersburg und wohnte im Mai in Moskau den Krönungsfeierlichkeiten bei.
Es versteht sich von selbst, daß der russischen und türkischen Anerkennung nun
auch die europäischen Mächte folgten.

Nach neunjähriger Arbeit war also dem Fürsten die Erreichung des ersten
und schwersten Zieles gelungen. Über die nun folgende Periode können wir
schneller hinweggehen; sie war dem weiteren, friedlichen Ausbau des bulgarischen
Staats gewidmet, aber sie enthält sür eine Schilderung, die weniger die geschicht¬
lichen Einzelheiten als eine Charakteristik des Fürsten ins Auge faßt, keine
wesentlich neuen Momente. Die überlegene Klugheit des Fürsten wußte die
Leidenschaft der noch immer recht unbändigen Parteien immer wieder auf eine
nützliche Tätigkeit zu richten. So glückte es, eine Finanzreform zustande zu
bringen, die im Sommer 1899 durchgeführt werden konnte. Im weiteren
Verfolg dieser Maßregeln verzichtete der Fürst im Jahre 1900 aus die Hälfte
seiner Zivilliste. Alle Finanzsorgen konnten freilich damit nicht beseitigt werden;
es blieb dies ein schwieriges Kapitel, aber man kam wenigstens vorwärts, und
die Unentbehrlichkeit der Leitung des Fürsten wurde allen Parteien immer
klarer. Daher blieben die Anfeindungen, die der Fürst trotz alledem noch zeit¬
weise persönlich zu erfahren hatte, schließlich vollkommen wirkungslos. Es fehlte
auch nicht an Krisen, die jedem anderen Herrscher wohl hätten gefährlich werden
können, besonders als im Jahre 1902 neue Enthüllungen über die Ermordung
Stambulows die Zankowistische Partei schwer bloßstellten und das tüchtige und
volkstümliche Ministerium Dcmcw, das dieser Partei angehörte, beinahe zu Fall
brachten.

Das Verhältnis zu Rußland gestaltete sich jetzt immer freundlicher. Dem
Besuch Danews in Petersburg folgte die Ernennung eines bulgarischen Gesandten
beim russischen Hofe. Dann erschien der Großfürst Nikolaj Nikolajewitsch als
Gast in Sofia, und bald darauf erhielt der Fürst den Besuch des russischen
Ministers des Auswärtigen, des Grafen Lambsdorff, persönlich. Es kam
Bulgarien dabei zustatten, daß Rußland dem nahen Orient in dieser
Zeit gleichgültiger gegenüberstand und seine Hauptaufmerksamkeit aus den
fernen Osten gerichtet hatte. Doch auch abgesehen davon hatte die russische
Politik offenbar seit den Tagen der Sendung des Generals Kaulbars viel
gelernt und in richtiger Erkenntnis der Bedeutung des Fürsten Ferdinand
eingesehen, daß sie ihren, sozusagen legitimen Einfluß auf der Balkanhalbinsel


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/410>, abgerufen am 03.07.2024.