Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.Reichsspiegel entdecken, daß die günstige Konjunktur von einem Umschwung bedroht ist. Freilich Reichsspiegel entdecken, daß die günstige Konjunktur von einem Umschwung bedroht ist. Freilich <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0399" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/322146"/> <fw type="header" place="top"> Reichsspiegel</fw><lb/> <p xml:id="ID_1678" prev="#ID_1677" next="#ID_1679"> entdecken, daß die günstige Konjunktur von einem Umschwung bedroht ist. Freilich<lb/> wissen wir nur allzu genau, daß die wirtschaftliche Entwicklung in Wellenlinien<lb/> verläuft, und daß dem Aufstieg ein Herabsinken folgen wird. Wenn aber in<lb/> früheren Perioden der Umschwung um so jäher und unvermittelter zu sein pflegte,<lb/> je rascher die Höhe erklommen wurde, so spricht doch jetzt vieles dafür, daß unsere<lb/> wirtschaftliche Organisation gefestigt genug ist, um auch einen Konjunkturwechsel<lb/> ohne allgemeines Debacle zu überstehen. Nicht zum wenigsten trägt dazu die<lb/> innere Stärkung bei, welche der Industrie die Kartellierung gewährt hat. Mag<lb/> auch im einzelnen die Syndizierung zu unhaltbaren, von der Industrie selbst als<lb/> solche empfundenen Zuständen geführt haben — der Stahlwerksverband und das<lb/> mitteldeutsche Braunkohlensyndikat geben Beispiele hierfür — so sind doch im<lb/> ganzen betrachtet, die Kartelle und Syndikate erst eigentlich die Erzieher unserer<lb/> Großindustrie geworden. Unter ihrem Schutz ist es möglich gewesen, rationeller<lb/> zu produzieren, den Gewinn in der Ersparnis der Selbstkosten, statt in der Steige¬<lb/> rung der Preise zu suchen und damit die Leistungsfähigkeit der Werke zu erhöhen,<lb/> ohne durch übermäßige Verteuerung der Produkte die Gefahr des Umschwunges<lb/> heraufzubeschwören. Die Preisbewegung der Eisenerzeugnisse ist hierfür ein Beleg.<lb/> Denn obwohl die Eisenpreise — wie alle Waren und Produkte — in die Höhe<lb/> gegangen sind, so halten sie sich doch noch weit unter dem Stand der letzten Hoch¬<lb/> konjunktur. Es läßt sich natürlich außerordentlich schwer beurteilen, ob die ganz<lb/> außerordentliche Expansion der Montanindustrie, die noch keineswegs am Ende<lb/> zu sein scheint (geht doch beispielsweise Gelsenkirchen schon wieder an eine Erweite¬<lb/> rung der neuen riesenhaften Anlagen in Esch) nicht doch zu einer Überproduktion</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0399]
Reichsspiegel
entdecken, daß die günstige Konjunktur von einem Umschwung bedroht ist. Freilich
wissen wir nur allzu genau, daß die wirtschaftliche Entwicklung in Wellenlinien
verläuft, und daß dem Aufstieg ein Herabsinken folgen wird. Wenn aber in
früheren Perioden der Umschwung um so jäher und unvermittelter zu sein pflegte,
je rascher die Höhe erklommen wurde, so spricht doch jetzt vieles dafür, daß unsere
wirtschaftliche Organisation gefestigt genug ist, um auch einen Konjunkturwechsel
ohne allgemeines Debacle zu überstehen. Nicht zum wenigsten trägt dazu die
innere Stärkung bei, welche der Industrie die Kartellierung gewährt hat. Mag
auch im einzelnen die Syndizierung zu unhaltbaren, von der Industrie selbst als
solche empfundenen Zuständen geführt haben — der Stahlwerksverband und das
mitteldeutsche Braunkohlensyndikat geben Beispiele hierfür — so sind doch im
ganzen betrachtet, die Kartelle und Syndikate erst eigentlich die Erzieher unserer
Großindustrie geworden. Unter ihrem Schutz ist es möglich gewesen, rationeller
zu produzieren, den Gewinn in der Ersparnis der Selbstkosten, statt in der Steige¬
rung der Preise zu suchen und damit die Leistungsfähigkeit der Werke zu erhöhen,
ohne durch übermäßige Verteuerung der Produkte die Gefahr des Umschwunges
heraufzubeschwören. Die Preisbewegung der Eisenerzeugnisse ist hierfür ein Beleg.
Denn obwohl die Eisenpreise — wie alle Waren und Produkte — in die Höhe
gegangen sind, so halten sie sich doch noch weit unter dem Stand der letzten Hoch¬
konjunktur. Es läßt sich natürlich außerordentlich schwer beurteilen, ob die ganz
außerordentliche Expansion der Montanindustrie, die noch keineswegs am Ende
zu sein scheint (geht doch beispielsweise Gelsenkirchen schon wieder an eine Erweite¬
rung der neuen riesenhaften Anlagen in Esch) nicht doch zu einer Überproduktion
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