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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Roichsspiegel

stille heraufzubeschwören, deren Konsequenzen er nicht zu überschauen vermag.
Das führt leicht zu einer Politik des Jais8er faire, Iai8Ler aller, deren Folgen
nicht klarer zu erkennen sind wie die der Konflikte und die darum nicht weniger
schwer zu sein brauchen. Die Furcht vor Konflikten tritt uns auch in
der Ostmarkenpolitik entgegen. Durchaus zustimmen muß man dem Kanzler,
wenn er den Kampf um den Boden aus dem Dunst nationaler Leidenschaften
hervorgezogen hat und ihn lediglich als eine Äußerung des wirtschaftlichen Lebens
anerkennen will. Soll aber dieser Wechsel nicht gleichbedeutend mit Preisgabe
der Oftmark an die Polen sein, dann bedarf es auch entsprechender wirtschaft¬
licher Maßnahmen, die die deutsche Bevölkerung in den Osten zu ziehen vermögen.
Wir haben davon nichts bemerkt und empfinden die Haltung der Regierung
als einen Mangel an Initiative, der uns bedenklich stimmt. Denn die bescheidenen
Ansätze innerer Kolonisation, denen wir hier und da begegnen, zeigen nur, daß
der Herr Reichskanzler die Gefahr erkannt hat, sie beweisen noch nicht, daß er
ihr ernstlich zu Leibe gehen will.

Die Frage der inneren Kolonisation sollte auch von rein politischen
Gesichtspunkten aus schärfer ins Auge gefaßt werden. Sie umfaßt ein so
umfangreiches Gebiet der Wirtschaft und der Politik, daß ihre ernsthafte und
allseitige Erörterung und politische Behandlung sehr wohl geeignet erscheint,
der Zersplitterung innerhalb der bürgerlichen Parteien Einhalt zu gebieten.
Man soll nur zweierlei nicht tun: die Förderer der inneren Kolonisation als
Feinde einer zielbewußter Kolonialpolitik und als erklärte Feinde des Gro߬
grundbesitzes hinstellen. Unsere Kolonialpolitik kann mit der inneren Kolonisation
sehr wohl parallel laufen, denn sie kommt in erster Linie für ganz andere Kreise
unseres Volkes in Frage wie die innere Kolonisation. Diese hat die Aufgabe:
Menschenmassen zu produzieren, jene soll die Tätigkeit des Handels erleichtern,
die Brücke zum Weltmarkt befestigen helfen und -- Herrenmenschen züchten, die
das heimische Bauernvolk vor Stagnation, Chinesierung bewahren können.
Kolonialpolitik kann aber nur auf den Schultern eines fruchtbaren Heimatvolkes
gesund und kräftig bleiben, das immer neue Ströme von tatkräftigen Menschen
über das Meer hinaufzusenden vermag und eine entsprechende Macht ausüben
kann. Wollen wir weiter Kolonialpolitik ohne planmäßige innere Kolonisation
treiben, so muß die Arbeit von dreißig Jahren den Angelsachsen wieder
zufallen, da wir nicht das Menschenmaterial heranschaffen könnten, das
zur Bewirtschaftung der Kolonien notwendig sein wird. Nicht nur das Land östlich
der Elbe, das heute noch deutsche Leute in die Kolonien entsendet, wird den Polen
gehören, auch die Industrie am deutschen Rhein. Die sogenannte Feindschaft
gegen den Großgrundbesitzer widerlegt sich bei einigem Nachdenken von selbst.
Wir erkennen freimütig an, daß die Bewirtschafter der großen landwirtschaft¬
lichen Betriebe zu den idealsten Früchten deutschen Stammes gehören; wir
bestreikn nur, daß zu ihrer Züchtung der Aufwand nötig ist, den die nationale
Wirtschaft um ihretwillen treibt. . . .


Roichsspiegel

stille heraufzubeschwören, deren Konsequenzen er nicht zu überschauen vermag.
Das führt leicht zu einer Politik des Jais8er faire, Iai8Ler aller, deren Folgen
nicht klarer zu erkennen sind wie die der Konflikte und die darum nicht weniger
schwer zu sein brauchen. Die Furcht vor Konflikten tritt uns auch in
der Ostmarkenpolitik entgegen. Durchaus zustimmen muß man dem Kanzler,
wenn er den Kampf um den Boden aus dem Dunst nationaler Leidenschaften
hervorgezogen hat und ihn lediglich als eine Äußerung des wirtschaftlichen Lebens
anerkennen will. Soll aber dieser Wechsel nicht gleichbedeutend mit Preisgabe
der Oftmark an die Polen sein, dann bedarf es auch entsprechender wirtschaft¬
licher Maßnahmen, die die deutsche Bevölkerung in den Osten zu ziehen vermögen.
Wir haben davon nichts bemerkt und empfinden die Haltung der Regierung
als einen Mangel an Initiative, der uns bedenklich stimmt. Denn die bescheidenen
Ansätze innerer Kolonisation, denen wir hier und da begegnen, zeigen nur, daß
der Herr Reichskanzler die Gefahr erkannt hat, sie beweisen noch nicht, daß er
ihr ernstlich zu Leibe gehen will.

Die Frage der inneren Kolonisation sollte auch von rein politischen
Gesichtspunkten aus schärfer ins Auge gefaßt werden. Sie umfaßt ein so
umfangreiches Gebiet der Wirtschaft und der Politik, daß ihre ernsthafte und
allseitige Erörterung und politische Behandlung sehr wohl geeignet erscheint,
der Zersplitterung innerhalb der bürgerlichen Parteien Einhalt zu gebieten.
Man soll nur zweierlei nicht tun: die Förderer der inneren Kolonisation als
Feinde einer zielbewußter Kolonialpolitik und als erklärte Feinde des Gro߬
grundbesitzes hinstellen. Unsere Kolonialpolitik kann mit der inneren Kolonisation
sehr wohl parallel laufen, denn sie kommt in erster Linie für ganz andere Kreise
unseres Volkes in Frage wie die innere Kolonisation. Diese hat die Aufgabe:
Menschenmassen zu produzieren, jene soll die Tätigkeit des Handels erleichtern,
die Brücke zum Weltmarkt befestigen helfen und — Herrenmenschen züchten, die
das heimische Bauernvolk vor Stagnation, Chinesierung bewahren können.
Kolonialpolitik kann aber nur auf den Schultern eines fruchtbaren Heimatvolkes
gesund und kräftig bleiben, das immer neue Ströme von tatkräftigen Menschen
über das Meer hinaufzusenden vermag und eine entsprechende Macht ausüben
kann. Wollen wir weiter Kolonialpolitik ohne planmäßige innere Kolonisation
treiben, so muß die Arbeit von dreißig Jahren den Angelsachsen wieder
zufallen, da wir nicht das Menschenmaterial heranschaffen könnten, das
zur Bewirtschaftung der Kolonien notwendig sein wird. Nicht nur das Land östlich
der Elbe, das heute noch deutsche Leute in die Kolonien entsendet, wird den Polen
gehören, auch die Industrie am deutschen Rhein. Die sogenannte Feindschaft
gegen den Großgrundbesitzer widerlegt sich bei einigem Nachdenken von selbst.
Wir erkennen freimütig an, daß die Bewirtschafter der großen landwirtschaft¬
lichen Betriebe zu den idealsten Früchten deutschen Stammes gehören; wir
bestreikn nur, daß zu ihrer Züchtung der Aufwand nötig ist, den die nationale
Wirtschaft um ihretwillen treibt. . . .


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[0351] Roichsspiegel stille heraufzubeschwören, deren Konsequenzen er nicht zu überschauen vermag. Das führt leicht zu einer Politik des Jais8er faire, Iai8Ler aller, deren Folgen nicht klarer zu erkennen sind wie die der Konflikte und die darum nicht weniger schwer zu sein brauchen. Die Furcht vor Konflikten tritt uns auch in der Ostmarkenpolitik entgegen. Durchaus zustimmen muß man dem Kanzler, wenn er den Kampf um den Boden aus dem Dunst nationaler Leidenschaften hervorgezogen hat und ihn lediglich als eine Äußerung des wirtschaftlichen Lebens anerkennen will. Soll aber dieser Wechsel nicht gleichbedeutend mit Preisgabe der Oftmark an die Polen sein, dann bedarf es auch entsprechender wirtschaft¬ licher Maßnahmen, die die deutsche Bevölkerung in den Osten zu ziehen vermögen. Wir haben davon nichts bemerkt und empfinden die Haltung der Regierung als einen Mangel an Initiative, der uns bedenklich stimmt. Denn die bescheidenen Ansätze innerer Kolonisation, denen wir hier und da begegnen, zeigen nur, daß der Herr Reichskanzler die Gefahr erkannt hat, sie beweisen noch nicht, daß er ihr ernstlich zu Leibe gehen will. Die Frage der inneren Kolonisation sollte auch von rein politischen Gesichtspunkten aus schärfer ins Auge gefaßt werden. Sie umfaßt ein so umfangreiches Gebiet der Wirtschaft und der Politik, daß ihre ernsthafte und allseitige Erörterung und politische Behandlung sehr wohl geeignet erscheint, der Zersplitterung innerhalb der bürgerlichen Parteien Einhalt zu gebieten. Man soll nur zweierlei nicht tun: die Förderer der inneren Kolonisation als Feinde einer zielbewußter Kolonialpolitik und als erklärte Feinde des Gro߬ grundbesitzes hinstellen. Unsere Kolonialpolitik kann mit der inneren Kolonisation sehr wohl parallel laufen, denn sie kommt in erster Linie für ganz andere Kreise unseres Volkes in Frage wie die innere Kolonisation. Diese hat die Aufgabe: Menschenmassen zu produzieren, jene soll die Tätigkeit des Handels erleichtern, die Brücke zum Weltmarkt befestigen helfen und — Herrenmenschen züchten, die das heimische Bauernvolk vor Stagnation, Chinesierung bewahren können. Kolonialpolitik kann aber nur auf den Schultern eines fruchtbaren Heimatvolkes gesund und kräftig bleiben, das immer neue Ströme von tatkräftigen Menschen über das Meer hinaufzusenden vermag und eine entsprechende Macht ausüben kann. Wollen wir weiter Kolonialpolitik ohne planmäßige innere Kolonisation treiben, so muß die Arbeit von dreißig Jahren den Angelsachsen wieder zufallen, da wir nicht das Menschenmaterial heranschaffen könnten, das zur Bewirtschaftung der Kolonien notwendig sein wird. Nicht nur das Land östlich der Elbe, das heute noch deutsche Leute in die Kolonien entsendet, wird den Polen gehören, auch die Industrie am deutschen Rhein. Die sogenannte Feindschaft gegen den Großgrundbesitzer widerlegt sich bei einigem Nachdenken von selbst. Wir erkennen freimütig an, daß die Bewirtschafter der großen landwirtschaft¬ lichen Betriebe zu den idealsten Früchten deutschen Stammes gehören; wir bestreikn nur, daß zu ihrer Züchtung der Aufwand nötig ist, den die nationale Wirtschaft um ihretwillen treibt. . . .

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/351>, abgerufen am 01.07.2024.