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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Reichsspiegel

Der Vergleich läßt sich weiter spinnen: auf vierzigjähriger friedlicher Fahrt ist das
Personal so vertraut mit der Behandlung der Maschinen und des Heizmaterials
geworden, daß deren Leistungsfähigkeit sich erheblich vergrößert hat. Dennoch
hat der Kapitän die Geschwindigkeit nur in dem Maße gesteigert, als auch die
Sicherheitsvorrichtungen verbessert werden konnten, damit die Lenkbarkeit nicht
litte und das Reichsschiff nicht mit anderen kollidierte oder gar auf Grund
geriete. Immerhin hat die Fahrt des Schiffes Deutsches Reich eine Ge¬
schwindigkeit erreicht, die die Aufmerksamkeit der anderen Schiffe erregen
mußte. Aufgescheucht aus ihrer Ruhe, bedroht im Alleinbesitz des Welthandels
glaubte man am deutschen Reichsschiff gewisse Merkmale zu entdecken, die auf
freibeuterische Absichten hindeuteten: die Fixigkeit, das schnelle Handeln, die
Plötzlichkeit des Auftauchens bei allen möglichen unerwünschten Gelegenheiten
und nicht zuletzt das stetige Ausgleichen der Stärke der Bestückung mit dem
steigenden Wert der geführten Güter! Noch mehr: die kriegsbereite Mannschaft
Deutschlands begehrt gegen den langen Frieden auf und gereizt durch die
dreisten Unterstellungen der anderen Schiffsbesatzungen glauben sie in der ab¬
wägenden Vorsicht des Kapitäns Mangel an Mut und gar zaghaftes Zurück¬
weichen vor unberechtigten Ansprüchen der anderen zu erkennen. Doch auch
der Wagemut der Schiffsherren, das ist die Nation, ist gewachsen und so
gleicht heute das Deutsche Reich einem riesigen Schiff, dessen Eigner und dessen
Besatzung eine Beschleunigung der Fahrt fordern und murrend den Kapitän
bestürmen.

Bei solchem Drängen kann der fünfte Kapitän nur darin seinen Trost
finden, daß auch seine vier Vorgänger dauernd mit den gleichen Vorwürfen
bedroht wurden und daß selbst der Erbauer des Reichsschiffes, der es doch in
allen seinen Teilen mit seinen Vorzügen und Fehlern gekannt haben sollte,
daß Bismarck sich ins Gesicht sagen lassen mußte: eS gelingt auch nichts mehr!
nichts kommt zustande!

Immerhin ist das ein schwacher Trost, mit dem man der frei und stark
gewordenen Kräfte nicht Herr wird. Das Drängen der Schiffseigner und der
Besatzung ist zu einem Problem der inneren Politik herangereift und Herr
von Bethmann ist dazu berufen, dies Problem zwar nicht zu lösen aber doch
seine Lösung vorzubereiten. Ist er der Mann dazu? Seine drei Jahre
währende Kanzlerschaft gibt darauf keine klare Antwort. Aber man findet in
ihr doch einige Anhaltspunkte, von denen sich Schlüsse auf die Zukunft ziehen
lassen: Die preußische Wahlrechtsreform, die Verfassung der Reichslande, die
Behandlung der Polenfrage; ferner das Eingreifen in die auswärtige Politik
gelegentlich der Bagdadbahu- und Marokkofrage sowie die erneute Verständigung
mit Rußland. Herr von Bethmann ist zweifellos gesonnen das Reichsschiff
einer Reparatur im Innern zu unterwerfen, um seine Leistungsfähigkeit auf
der stürmischen See der Weltpolitik zu steigern. Daß er sich fürchtete selbst an
die heikelsten Dinge zu rühren, darf man ihm dabei nicht nachsagen; ob er im


Reichsspiegel

Der Vergleich läßt sich weiter spinnen: auf vierzigjähriger friedlicher Fahrt ist das
Personal so vertraut mit der Behandlung der Maschinen und des Heizmaterials
geworden, daß deren Leistungsfähigkeit sich erheblich vergrößert hat. Dennoch
hat der Kapitän die Geschwindigkeit nur in dem Maße gesteigert, als auch die
Sicherheitsvorrichtungen verbessert werden konnten, damit die Lenkbarkeit nicht
litte und das Reichsschiff nicht mit anderen kollidierte oder gar auf Grund
geriete. Immerhin hat die Fahrt des Schiffes Deutsches Reich eine Ge¬
schwindigkeit erreicht, die die Aufmerksamkeit der anderen Schiffe erregen
mußte. Aufgescheucht aus ihrer Ruhe, bedroht im Alleinbesitz des Welthandels
glaubte man am deutschen Reichsschiff gewisse Merkmale zu entdecken, die auf
freibeuterische Absichten hindeuteten: die Fixigkeit, das schnelle Handeln, die
Plötzlichkeit des Auftauchens bei allen möglichen unerwünschten Gelegenheiten
und nicht zuletzt das stetige Ausgleichen der Stärke der Bestückung mit dem
steigenden Wert der geführten Güter! Noch mehr: die kriegsbereite Mannschaft
Deutschlands begehrt gegen den langen Frieden auf und gereizt durch die
dreisten Unterstellungen der anderen Schiffsbesatzungen glauben sie in der ab¬
wägenden Vorsicht des Kapitäns Mangel an Mut und gar zaghaftes Zurück¬
weichen vor unberechtigten Ansprüchen der anderen zu erkennen. Doch auch
der Wagemut der Schiffsherren, das ist die Nation, ist gewachsen und so
gleicht heute das Deutsche Reich einem riesigen Schiff, dessen Eigner und dessen
Besatzung eine Beschleunigung der Fahrt fordern und murrend den Kapitän
bestürmen.

Bei solchem Drängen kann der fünfte Kapitän nur darin seinen Trost
finden, daß auch seine vier Vorgänger dauernd mit den gleichen Vorwürfen
bedroht wurden und daß selbst der Erbauer des Reichsschiffes, der es doch in
allen seinen Teilen mit seinen Vorzügen und Fehlern gekannt haben sollte,
daß Bismarck sich ins Gesicht sagen lassen mußte: eS gelingt auch nichts mehr!
nichts kommt zustande!

Immerhin ist das ein schwacher Trost, mit dem man der frei und stark
gewordenen Kräfte nicht Herr wird. Das Drängen der Schiffseigner und der
Besatzung ist zu einem Problem der inneren Politik herangereift und Herr
von Bethmann ist dazu berufen, dies Problem zwar nicht zu lösen aber doch
seine Lösung vorzubereiten. Ist er der Mann dazu? Seine drei Jahre
währende Kanzlerschaft gibt darauf keine klare Antwort. Aber man findet in
ihr doch einige Anhaltspunkte, von denen sich Schlüsse auf die Zukunft ziehen
lassen: Die preußische Wahlrechtsreform, die Verfassung der Reichslande, die
Behandlung der Polenfrage; ferner das Eingreifen in die auswärtige Politik
gelegentlich der Bagdadbahu- und Marokkofrage sowie die erneute Verständigung
mit Rußland. Herr von Bethmann ist zweifellos gesonnen das Reichsschiff
einer Reparatur im Innern zu unterwerfen, um seine Leistungsfähigkeit auf
der stürmischen See der Weltpolitik zu steigern. Daß er sich fürchtete selbst an
die heikelsten Dinge zu rühren, darf man ihm dabei nicht nachsagen; ob er im


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[0347] Reichsspiegel Der Vergleich läßt sich weiter spinnen: auf vierzigjähriger friedlicher Fahrt ist das Personal so vertraut mit der Behandlung der Maschinen und des Heizmaterials geworden, daß deren Leistungsfähigkeit sich erheblich vergrößert hat. Dennoch hat der Kapitän die Geschwindigkeit nur in dem Maße gesteigert, als auch die Sicherheitsvorrichtungen verbessert werden konnten, damit die Lenkbarkeit nicht litte und das Reichsschiff nicht mit anderen kollidierte oder gar auf Grund geriete. Immerhin hat die Fahrt des Schiffes Deutsches Reich eine Ge¬ schwindigkeit erreicht, die die Aufmerksamkeit der anderen Schiffe erregen mußte. Aufgescheucht aus ihrer Ruhe, bedroht im Alleinbesitz des Welthandels glaubte man am deutschen Reichsschiff gewisse Merkmale zu entdecken, die auf freibeuterische Absichten hindeuteten: die Fixigkeit, das schnelle Handeln, die Plötzlichkeit des Auftauchens bei allen möglichen unerwünschten Gelegenheiten und nicht zuletzt das stetige Ausgleichen der Stärke der Bestückung mit dem steigenden Wert der geführten Güter! Noch mehr: die kriegsbereite Mannschaft Deutschlands begehrt gegen den langen Frieden auf und gereizt durch die dreisten Unterstellungen der anderen Schiffsbesatzungen glauben sie in der ab¬ wägenden Vorsicht des Kapitäns Mangel an Mut und gar zaghaftes Zurück¬ weichen vor unberechtigten Ansprüchen der anderen zu erkennen. Doch auch der Wagemut der Schiffsherren, das ist die Nation, ist gewachsen und so gleicht heute das Deutsche Reich einem riesigen Schiff, dessen Eigner und dessen Besatzung eine Beschleunigung der Fahrt fordern und murrend den Kapitän bestürmen. Bei solchem Drängen kann der fünfte Kapitän nur darin seinen Trost finden, daß auch seine vier Vorgänger dauernd mit den gleichen Vorwürfen bedroht wurden und daß selbst der Erbauer des Reichsschiffes, der es doch in allen seinen Teilen mit seinen Vorzügen und Fehlern gekannt haben sollte, daß Bismarck sich ins Gesicht sagen lassen mußte: eS gelingt auch nichts mehr! nichts kommt zustande! Immerhin ist das ein schwacher Trost, mit dem man der frei und stark gewordenen Kräfte nicht Herr wird. Das Drängen der Schiffseigner und der Besatzung ist zu einem Problem der inneren Politik herangereift und Herr von Bethmann ist dazu berufen, dies Problem zwar nicht zu lösen aber doch seine Lösung vorzubereiten. Ist er der Mann dazu? Seine drei Jahre währende Kanzlerschaft gibt darauf keine klare Antwort. Aber man findet in ihr doch einige Anhaltspunkte, von denen sich Schlüsse auf die Zukunft ziehen lassen: Die preußische Wahlrechtsreform, die Verfassung der Reichslande, die Behandlung der Polenfrage; ferner das Eingreifen in die auswärtige Politik gelegentlich der Bagdadbahu- und Marokkofrage sowie die erneute Verständigung mit Rußland. Herr von Bethmann ist zweifellos gesonnen das Reichsschiff einer Reparatur im Innern zu unterwerfen, um seine Leistungsfähigkeit auf der stürmischen See der Weltpolitik zu steigern. Daß er sich fürchtete selbst an die heikelsten Dinge zu rühren, darf man ihm dabei nicht nachsagen; ob er im

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/347>, abgerufen am 22.07.2024.