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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Reichsspiegel

Reichsspiegel
Nach den Ferien

So gegen Ende des Sommers, wenn man sich fern der Tagespolitik an
der Natur und bei guten Büchern für die bevorstehende politische Arbeit er¬
frischend vorbereiten konnte, kommt einem recht zum Bewußtsein, welchen Wert
doch des fünften Kanzlers Prinzip, die bürgerlichen Parteien durch den Zwang
praktischer Arbeit zusammenführen zu wollen, hat. Über intensiver Arbeit an
praktischen Aufgaben vergessen sich leicht persönliche Mißstimmungen und Feind¬
schaften, beim gewissenhaften Hineinsteigen in die Materien fallen Illusionen,
Unwahrheiten, Einseitigkeiten wie Schlacken von selbst ab und das wachsende
oder gar gelungene Werk dankt seinen Bildnern, indem es läuternd ihre Seele
bestrahlt. Solche Läuterung gibt philosophische Ruhe und jene geistige und
moralische Überlegenheit, die die feindseligen Ausfälle des politischen Gegners
am eigenen Wesen abprallen lassen. Wer gewissenhaft arbeitet wird daher auch
den inneren Gleichmut persönlichen Angriffen gegenüber bewahren können und
leichter eine Stimmung finden, die es ihn: ermöglicht, mit den Gegnern von
gestern heute einträchtig zusammenzuwirken.

In diesem Sommer hat nun ein Teil der Presse dem gegenwärtig
amtierenden Reichskanzler einige Betrachtungen gewidmet, da gerade drei
Jahre vergangen sind, seit Herr von Bethmann, den sie einen Philosophen
nennen, das schwierige Amt aus den Händen des fürstlichen Diplomaten
von Bülow übernahm. Man sagt, philosophische Ausgeglichenheit bilde den
Grundzug des Charakters des fünften Kanzlers. Man hat im allgemeinen
dies Urteil dazu benutzt um von ihm zu dem Schluß zu gelangen, daß ein
Mann mit anderen, mehr aggressiven Eigenschaften, daß ein Tatmensch, wie
Bismarck es gewesen, an die Spitze des heutigen deutschen Reiches gehöre.

Braucht das heutige Deutschland an seiner Spitze eine treibende oder eine
bremsende Kraft?

Da wir auf den Boden der Physik geraten sind, sei die Technik zum
Vergleich herbeigerufen. Das Dampfschiff trägt seine bewegenden Kräfte in
sich, in den Maschinen, in der Güte der Kohlen, in der Gewissenhaftigkeit des
Maschinenpersonals; die Abmessungen und Formen des Schiffes begrenzen den
Nutzeffekt der Maschinenleistung; aber die praktische Leistung des Schiffes hängt
ab von den Aufgaben, die ihm gestellt werden und von den Eigenschaften des
Führers. Verschieden sind die Aufgaben des Kauffahrers, des Piratenschiffes,
des Luxusbootes oder des Panzerkreuzers. Man wird das Deutsche Reich
nicht gern mit einem Piratenschiff oder Luxusboot vergleichen wollen, denn
weder zu Raub noch zu Wohlleben wurde es geschaffen. Aber einen
Kauffahrer, mit wertvollen Gütern beladen und darum auch aufs beste
gerüstet sie zu verteidigen, so darf man wohl das Deutsche Reich nennen.


Reichsspiegel

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Nach den Ferien

So gegen Ende des Sommers, wenn man sich fern der Tagespolitik an
der Natur und bei guten Büchern für die bevorstehende politische Arbeit er¬
frischend vorbereiten konnte, kommt einem recht zum Bewußtsein, welchen Wert
doch des fünften Kanzlers Prinzip, die bürgerlichen Parteien durch den Zwang
praktischer Arbeit zusammenführen zu wollen, hat. Über intensiver Arbeit an
praktischen Aufgaben vergessen sich leicht persönliche Mißstimmungen und Feind¬
schaften, beim gewissenhaften Hineinsteigen in die Materien fallen Illusionen,
Unwahrheiten, Einseitigkeiten wie Schlacken von selbst ab und das wachsende
oder gar gelungene Werk dankt seinen Bildnern, indem es läuternd ihre Seele
bestrahlt. Solche Läuterung gibt philosophische Ruhe und jene geistige und
moralische Überlegenheit, die die feindseligen Ausfälle des politischen Gegners
am eigenen Wesen abprallen lassen. Wer gewissenhaft arbeitet wird daher auch
den inneren Gleichmut persönlichen Angriffen gegenüber bewahren können und
leichter eine Stimmung finden, die es ihn: ermöglicht, mit den Gegnern von
gestern heute einträchtig zusammenzuwirken.

In diesem Sommer hat nun ein Teil der Presse dem gegenwärtig
amtierenden Reichskanzler einige Betrachtungen gewidmet, da gerade drei
Jahre vergangen sind, seit Herr von Bethmann, den sie einen Philosophen
nennen, das schwierige Amt aus den Händen des fürstlichen Diplomaten
von Bülow übernahm. Man sagt, philosophische Ausgeglichenheit bilde den
Grundzug des Charakters des fünften Kanzlers. Man hat im allgemeinen
dies Urteil dazu benutzt um von ihm zu dem Schluß zu gelangen, daß ein
Mann mit anderen, mehr aggressiven Eigenschaften, daß ein Tatmensch, wie
Bismarck es gewesen, an die Spitze des heutigen deutschen Reiches gehöre.

Braucht das heutige Deutschland an seiner Spitze eine treibende oder eine
bremsende Kraft?

Da wir auf den Boden der Physik geraten sind, sei die Technik zum
Vergleich herbeigerufen. Das Dampfschiff trägt seine bewegenden Kräfte in
sich, in den Maschinen, in der Güte der Kohlen, in der Gewissenhaftigkeit des
Maschinenpersonals; die Abmessungen und Formen des Schiffes begrenzen den
Nutzeffekt der Maschinenleistung; aber die praktische Leistung des Schiffes hängt
ab von den Aufgaben, die ihm gestellt werden und von den Eigenschaften des
Führers. Verschieden sind die Aufgaben des Kauffahrers, des Piratenschiffes,
des Luxusbootes oder des Panzerkreuzers. Man wird das Deutsche Reich
nicht gern mit einem Piratenschiff oder Luxusboot vergleichen wollen, denn
weder zu Raub noch zu Wohlleben wurde es geschaffen. Aber einen
Kauffahrer, mit wertvollen Gütern beladen und darum auch aufs beste
gerüstet sie zu verteidigen, so darf man wohl das Deutsche Reich nennen.


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[0346] Reichsspiegel Reichsspiegel Nach den Ferien So gegen Ende des Sommers, wenn man sich fern der Tagespolitik an der Natur und bei guten Büchern für die bevorstehende politische Arbeit er¬ frischend vorbereiten konnte, kommt einem recht zum Bewußtsein, welchen Wert doch des fünften Kanzlers Prinzip, die bürgerlichen Parteien durch den Zwang praktischer Arbeit zusammenführen zu wollen, hat. Über intensiver Arbeit an praktischen Aufgaben vergessen sich leicht persönliche Mißstimmungen und Feind¬ schaften, beim gewissenhaften Hineinsteigen in die Materien fallen Illusionen, Unwahrheiten, Einseitigkeiten wie Schlacken von selbst ab und das wachsende oder gar gelungene Werk dankt seinen Bildnern, indem es läuternd ihre Seele bestrahlt. Solche Läuterung gibt philosophische Ruhe und jene geistige und moralische Überlegenheit, die die feindseligen Ausfälle des politischen Gegners am eigenen Wesen abprallen lassen. Wer gewissenhaft arbeitet wird daher auch den inneren Gleichmut persönlichen Angriffen gegenüber bewahren können und leichter eine Stimmung finden, die es ihn: ermöglicht, mit den Gegnern von gestern heute einträchtig zusammenzuwirken. In diesem Sommer hat nun ein Teil der Presse dem gegenwärtig amtierenden Reichskanzler einige Betrachtungen gewidmet, da gerade drei Jahre vergangen sind, seit Herr von Bethmann, den sie einen Philosophen nennen, das schwierige Amt aus den Händen des fürstlichen Diplomaten von Bülow übernahm. Man sagt, philosophische Ausgeglichenheit bilde den Grundzug des Charakters des fünften Kanzlers. Man hat im allgemeinen dies Urteil dazu benutzt um von ihm zu dem Schluß zu gelangen, daß ein Mann mit anderen, mehr aggressiven Eigenschaften, daß ein Tatmensch, wie Bismarck es gewesen, an die Spitze des heutigen deutschen Reiches gehöre. Braucht das heutige Deutschland an seiner Spitze eine treibende oder eine bremsende Kraft? Da wir auf den Boden der Physik geraten sind, sei die Technik zum Vergleich herbeigerufen. Das Dampfschiff trägt seine bewegenden Kräfte in sich, in den Maschinen, in der Güte der Kohlen, in der Gewissenhaftigkeit des Maschinenpersonals; die Abmessungen und Formen des Schiffes begrenzen den Nutzeffekt der Maschinenleistung; aber die praktische Leistung des Schiffes hängt ab von den Aufgaben, die ihm gestellt werden und von den Eigenschaften des Führers. Verschieden sind die Aufgaben des Kauffahrers, des Piratenschiffes, des Luxusbootes oder des Panzerkreuzers. Man wird das Deutsche Reich nicht gern mit einem Piratenschiff oder Luxusboot vergleichen wollen, denn weder zu Raub noch zu Wohlleben wurde es geschaffen. Aber einen Kauffahrer, mit wertvollen Gütern beladen und darum auch aufs beste gerüstet sie zu verteidigen, so darf man wohl das Deutsche Reich nennen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/346>, abgerufen am 22.07.2024.