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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Einiges aus dem englischen Rechtsleben

bestallter Barristers gehen auch, je nach ihren Beziehungen und Neigungen, in
Geschäfte, Fabriken, auf die Börse usw. Für alle ist ihre Berufung als Barrister
ein Lacket für gesellschaftliche Stellung und Intelligenz.

Die hier hauptsächlich interessierende Gruppe der Barristers bleibt in
London und bereitet sich mehr oder weniger ernstlich für die Praxis vor, meist
in der Art, daß die jungen Leute in das Bureau eines älteren Barristers ein¬
treten. Die Art der Beschäftigung ist sehr verschieden, was bei der hier un¬
vermeidlichen Spezialisierung in den Arbeitszweigen natürlich ist. Ist der Kandidat
in das Bureau eines in der Kings Beiles. praktizierenden Barristers eingetreten,
so wird seine Tätigkeit hauptsächlich in der Abfassung von Schriftsätzen, im
Aufsuchen von Präzedenzsällen, Beiwohnen von Gerichtsverhandlungen, Studium
der Advokatur mit ihren Regeln und Künsten, und in der Teilnahme an den
richterlichen Rundreisen (Circuits) bestehen. Bei Gelegenheit der letzteren mag
er wohl hin und wieder vom Richter die Verteidigung eines "armen" An¬
geklagten zugewiesen erhalten. Arbeitet er dagegen in dem Bureau eines
Kollegen von der Chancery-Bar, so wird der Schwerpunkt seiner Beschäftigung
nicht sowohl in Streitsachen liegen als in Sachen der freiwilligen Gerichts¬
barkeit (Conveycmcing) und gutachtlichen Arbeiten. Das praktische Studium
der Advokatur, das in der Kings Beiles von so eminenter Wichtigkeit ist, sällt
hier beinahe ganz fort und wird von den Barristers der Chancery-Bar so
wenig geübt, daß, wenn in ihren Sachen ein erhebliches Zeugenverhör nötig
wird, in den meisten Fällen ein Barister von der Kings Beiles zur Übernahme
eines solchen Verhörs speziell instruiert wird.

Natürlich geht das Streben aller dahin, aus diesem Zustande der Unselb¬
ständigkeit herauszutreten und eigene Praxis zu erlangen. Und darin liegt die
Crux des ganzen Systems. Wie gelangen die Barristers zu dem ersehnten
Ziel? Ein unverhältnismäßig großer Prozentsatz gelangt eben nie dazu. Die
Fähigkeiten allein genügen nicht. Sie bleiben der Regel nach latent im Bureau
des Kollegen stecken. Für die anderen aber mag folgendes ungefähr von regel¬
mäßiger Geltung sein. Als der wesentlichste Faktor für ihr Vorwärtskommen
müssen zweifellos "Konnexionen" gelten, und zwar nicht solche zu Ministern
oder anderen hohen Beamten, sondern intime (vorzugsweise verwandtschaftliche)
Beziehungen zu Solicitors in gut fundierter Praxis. Diese als die Vertrauens¬
männer des Publikums sind die eigentlichen "mcckers" von Barristers. Sie
schaffen ihnen die Gelegenheiten, ihre Fähigkeiten zu entwickeln, darzutun und
sich bekannt zu machen. Nun taucht folgerichtig die Frage auf: wie steht es
mit der Verantwortlichkeit der Solicitors ihren Klienten gegenüber, deren
Angelegenheiten sie auf diese Art ungeübten Händen anvertrauen? Die Antwort
ist: erstens können nur Solicitors in ganz gesicherter Stellung, von denen die
Klientel mehr abhängig ist als sie von ihr, sich diesen Luxus der Protektion
gestatten, und zweitens ist das Risiko in der Tat sachlich nicht bedeutend. Denn
einmal sind die Solicitors selbst erfahrene Juristen und in der Lage, eine


Einiges aus dem englischen Rechtsleben

bestallter Barristers gehen auch, je nach ihren Beziehungen und Neigungen, in
Geschäfte, Fabriken, auf die Börse usw. Für alle ist ihre Berufung als Barrister
ein Lacket für gesellschaftliche Stellung und Intelligenz.

Die hier hauptsächlich interessierende Gruppe der Barristers bleibt in
London und bereitet sich mehr oder weniger ernstlich für die Praxis vor, meist
in der Art, daß die jungen Leute in das Bureau eines älteren Barristers ein¬
treten. Die Art der Beschäftigung ist sehr verschieden, was bei der hier un¬
vermeidlichen Spezialisierung in den Arbeitszweigen natürlich ist. Ist der Kandidat
in das Bureau eines in der Kings Beiles. praktizierenden Barristers eingetreten,
so wird seine Tätigkeit hauptsächlich in der Abfassung von Schriftsätzen, im
Aufsuchen von Präzedenzsällen, Beiwohnen von Gerichtsverhandlungen, Studium
der Advokatur mit ihren Regeln und Künsten, und in der Teilnahme an den
richterlichen Rundreisen (Circuits) bestehen. Bei Gelegenheit der letzteren mag
er wohl hin und wieder vom Richter die Verteidigung eines „armen" An¬
geklagten zugewiesen erhalten. Arbeitet er dagegen in dem Bureau eines
Kollegen von der Chancery-Bar, so wird der Schwerpunkt seiner Beschäftigung
nicht sowohl in Streitsachen liegen als in Sachen der freiwilligen Gerichts¬
barkeit (Conveycmcing) und gutachtlichen Arbeiten. Das praktische Studium
der Advokatur, das in der Kings Beiles von so eminenter Wichtigkeit ist, sällt
hier beinahe ganz fort und wird von den Barristers der Chancery-Bar so
wenig geübt, daß, wenn in ihren Sachen ein erhebliches Zeugenverhör nötig
wird, in den meisten Fällen ein Barister von der Kings Beiles zur Übernahme
eines solchen Verhörs speziell instruiert wird.

Natürlich geht das Streben aller dahin, aus diesem Zustande der Unselb¬
ständigkeit herauszutreten und eigene Praxis zu erlangen. Und darin liegt die
Crux des ganzen Systems. Wie gelangen die Barristers zu dem ersehnten
Ziel? Ein unverhältnismäßig großer Prozentsatz gelangt eben nie dazu. Die
Fähigkeiten allein genügen nicht. Sie bleiben der Regel nach latent im Bureau
des Kollegen stecken. Für die anderen aber mag folgendes ungefähr von regel¬
mäßiger Geltung sein. Als der wesentlichste Faktor für ihr Vorwärtskommen
müssen zweifellos „Konnexionen" gelten, und zwar nicht solche zu Ministern
oder anderen hohen Beamten, sondern intime (vorzugsweise verwandtschaftliche)
Beziehungen zu Solicitors in gut fundierter Praxis. Diese als die Vertrauens¬
männer des Publikums sind die eigentlichen „mcckers" von Barristers. Sie
schaffen ihnen die Gelegenheiten, ihre Fähigkeiten zu entwickeln, darzutun und
sich bekannt zu machen. Nun taucht folgerichtig die Frage auf: wie steht es
mit der Verantwortlichkeit der Solicitors ihren Klienten gegenüber, deren
Angelegenheiten sie auf diese Art ungeübten Händen anvertrauen? Die Antwort
ist: erstens können nur Solicitors in ganz gesicherter Stellung, von denen die
Klientel mehr abhängig ist als sie von ihr, sich diesen Luxus der Protektion
gestatten, und zweitens ist das Risiko in der Tat sachlich nicht bedeutend. Denn
einmal sind die Solicitors selbst erfahrene Juristen und in der Lage, eine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/336>, abgerufen am 03.07.2024.