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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Einiges ans dem englischen Rechtsleben

Rechtswesens, trotz der vorhandenen umfangreichen Bücher über diese Materie,
immerhin einige Anregungen bieten dürften.

Um beim Anfang anzufangen, sei zuerst von der Erziehungsfrage gesprochen.
Wenn man deutsche Fachliteratur sieht, so erstaunt man über die Fülle und
Intensität, mit der das Ausbildungsthema der jungen Juristen beständig zum
Gegenstand der Besprechung gemacht wird; und was für Ergebnisse auch schließlich
aus solchen vorbereitenden Arbeiten hervorgehen mögen, stets legen sie von
einem strebenden Bemühen und Vorwärtsdringen unzweifelhaftes Zeugnis ab.
In den englischen Zeitschriften findet man darüber so gut wie nichts. Es ist
richtig, daß seit dem Jahre 1873. vor welchem Zeitpunkte Prüfungen für die
Bar überhaupt nicht verlangt wurden, die Anforderungen zur Erlangung der
Qualifikation von Zeit zu Zeit verschärft worden sind, so daß die Prüfungen
gegenwärtig eine sehr erhebliche Menge von Gedächtnisstoff voraussetzen. Die
vier Nechtsinnungen, welche Studenten zur Bar berufen, haben gemeinschaftlich
eine Lehr- und Prüfungsbehörde geschaffen. Während der vier Gerichtssttzungs-
perioden, in die das Geschäftsjahr eingeteilt ist, werden Vorträge gehalten.
Nach dem letzten Bericht sind für diesen Zweck sechs "Readers", vier "Assistant
Readers" und ein "Lecturer" (für indisches Recht) angestellt, die von Jahr
zu Jahr ernannt werden. Die "Readers" sind zugleich Examinatoren, und
dieser Umstand wirkt wohl unvermeidlich und meines Erachtens ungünstig auf
den Charakter des Examens ein. Die Fragebogen (die Prüfungen sind der
Hauptsache nach schriftlich) behandeln teils ganz elementare Begriffsbestimmungen,
teils höchst komplizierte Rechtsverhältnisse, die man ohne Zuhilfenahme und
Studium von Präjudizien kaum in annähernd sicherer Weise klar legen kann.
Dadurch wird unabweisbar der Eindruck hervorgerufen, daß solche Fragen auf
spezielle Erörterungen in den Vorlesungen Bezug nehmen. Abgesehen davon
ist kaum ein Anzeichen dafür gegeben, daß von dem Kandidaten selbständiges
juristisches Denken in Anwendung ans konkrete Verhältnisse erwartet wird. Nach
bestandenen Examen in den verschiedenen Fächern werden die Kandidaten zur
Bar berufen.

Ihr weiterer Werdegang ist sehr verschieden. Statistik und tatsächliche
Feststellungen gibt es darüber nicht. Doch kann im ganzen und großen folgendes
gesagt werden: ein nicht unbedeutender Prozentsatz von diesen Barristers sind
Inder. Diese gehen bald nach ihrer Berufung in ihr Land zurück, um dort
als Advokaten oder Richter in indischen Sachen zu wirken. Andere gehen in
ihre heimatliche Grafschaft, wo sie sich als "country gentlemen" niederlassen,
an "Sports" und "Gaues" teilnehmen und bald als Friedensrichter in Frage
kommen, für welches Amt sie auf Grund ihrer "juristischen Bildung" als
besonders qualifiziert erachtet werden, obgleich bekanntlich der ständige "Clerc"
der Friedensgerichte (ein Solicitor) das ^U8 liefert und man nicht recht einzu¬
sehen vermag, warum für diese niedere Laien-Strafgerichtsbarkeit theoretische
Juristenbildung besonders wünschenswert sein sollte. Manche von den so


Einiges ans dem englischen Rechtsleben

Rechtswesens, trotz der vorhandenen umfangreichen Bücher über diese Materie,
immerhin einige Anregungen bieten dürften.

Um beim Anfang anzufangen, sei zuerst von der Erziehungsfrage gesprochen.
Wenn man deutsche Fachliteratur sieht, so erstaunt man über die Fülle und
Intensität, mit der das Ausbildungsthema der jungen Juristen beständig zum
Gegenstand der Besprechung gemacht wird; und was für Ergebnisse auch schließlich
aus solchen vorbereitenden Arbeiten hervorgehen mögen, stets legen sie von
einem strebenden Bemühen und Vorwärtsdringen unzweifelhaftes Zeugnis ab.
In den englischen Zeitschriften findet man darüber so gut wie nichts. Es ist
richtig, daß seit dem Jahre 1873. vor welchem Zeitpunkte Prüfungen für die
Bar überhaupt nicht verlangt wurden, die Anforderungen zur Erlangung der
Qualifikation von Zeit zu Zeit verschärft worden sind, so daß die Prüfungen
gegenwärtig eine sehr erhebliche Menge von Gedächtnisstoff voraussetzen. Die
vier Nechtsinnungen, welche Studenten zur Bar berufen, haben gemeinschaftlich
eine Lehr- und Prüfungsbehörde geschaffen. Während der vier Gerichtssttzungs-
perioden, in die das Geschäftsjahr eingeteilt ist, werden Vorträge gehalten.
Nach dem letzten Bericht sind für diesen Zweck sechs „Readers", vier „Assistant
Readers" und ein „Lecturer" (für indisches Recht) angestellt, die von Jahr
zu Jahr ernannt werden. Die „Readers" sind zugleich Examinatoren, und
dieser Umstand wirkt wohl unvermeidlich und meines Erachtens ungünstig auf
den Charakter des Examens ein. Die Fragebogen (die Prüfungen sind der
Hauptsache nach schriftlich) behandeln teils ganz elementare Begriffsbestimmungen,
teils höchst komplizierte Rechtsverhältnisse, die man ohne Zuhilfenahme und
Studium von Präjudizien kaum in annähernd sicherer Weise klar legen kann.
Dadurch wird unabweisbar der Eindruck hervorgerufen, daß solche Fragen auf
spezielle Erörterungen in den Vorlesungen Bezug nehmen. Abgesehen davon
ist kaum ein Anzeichen dafür gegeben, daß von dem Kandidaten selbständiges
juristisches Denken in Anwendung ans konkrete Verhältnisse erwartet wird. Nach
bestandenen Examen in den verschiedenen Fächern werden die Kandidaten zur
Bar berufen.

Ihr weiterer Werdegang ist sehr verschieden. Statistik und tatsächliche
Feststellungen gibt es darüber nicht. Doch kann im ganzen und großen folgendes
gesagt werden: ein nicht unbedeutender Prozentsatz von diesen Barristers sind
Inder. Diese gehen bald nach ihrer Berufung in ihr Land zurück, um dort
als Advokaten oder Richter in indischen Sachen zu wirken. Andere gehen in
ihre heimatliche Grafschaft, wo sie sich als „country gentlemen" niederlassen,
an „Sports" und „Gaues" teilnehmen und bald als Friedensrichter in Frage
kommen, für welches Amt sie auf Grund ihrer „juristischen Bildung" als
besonders qualifiziert erachtet werden, obgleich bekanntlich der ständige „Clerc"
der Friedensgerichte (ein Solicitor) das ^U8 liefert und man nicht recht einzu¬
sehen vermag, warum für diese niedere Laien-Strafgerichtsbarkeit theoretische
Juristenbildung besonders wünschenswert sein sollte. Manche von den so


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/335>, abgerufen am 22.07.2024.