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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Kann die Sozialdemokratie den sittlichen Einfluß der Religion ersetzen?

in Reuß ä. L. mit 56,6 und Hamburg mit 51,7 Prozent schon die Mehrheit,
während sie in Reutz j. L. mit 43,3 Prozent, Sachsen mit 35,3 Prozent, Berlin
mit 34,8 Prozent, Sachsen-Koburg-Gotha mit 31,6 Prozent sehr stark vertreten
waren. Auch 1907 zeigen Posen nur 1,9, Hohenzollern 2,1, Westpreußen 7,0,
Waldeck 10,0. Ostpreußen 13,5, Rheinland 19.5, Pommern 19,9 Prozent,
(allerdings waren 1903 diese Zahlen höher); alle anderen Reichsteile weisen mehr
als 20 Prozent, nicht wenige über 40, ja Lübeck und (1903) Sachsen, Alten¬
burg, die beiden Reuß und Schwarzburg-Rudolstadt und Bremen über 50 Prozent,
Berlin und Hamburg über 60 Prozent auf.

Auch die Straffälligkeit war 1883/87 bereits sehr verschieden, am höchsten
in Posen (1679), Ostpreußen (1655), Westpreußen (1538), Schwarzburg-
Rudolstadt (1540), Pfalz (1440), Schwarzburg-Sondershausen (1350), Bremen
(1295). Am niedrigsten war sie in Schaumburg-Lippe mit 426, Lippe mit 510,
Waldeck mit 518, Hohenzollern mit 541, Westfalen mit 633, Mecklenburg-
Schwerin mit 643, Oldenburg mit 635, Mecklenburg-Strelitz mit 690, also
gerade in denjenigen Gegenden, wo die Sozialdemokcatie überhaupt noch keine
oder sehr wenig Stimmen zählte. Nur in Rheinland mit 673 und Schleswig-
Holstein mit 602 Straffälligen war die Sozialdemokratie schon mit 7,0 bzw.
17,9 Prozent vertreten. Ihre geringe Straffälligkeitsziffer verdankten also damals
diese Gegenden der Sozialdemokratie zweifellos nicht. Dadurch schon erscheint
es höchst zweifelhaft, ob die hohe Strafzahl der vorher genannten Gegenden auf
den Mangel an sozialdemokratischen Anschauungen und das "Dominieren der
Religion" geschoben werden könne.

Nun hat sich die Straffälligkeit bis 1903/07 sehr ungleichmäßig geändert.
In einzelnen Ländern und Provinzen stieg sie viel stärker, als im Neichsdurch-
schnitte, in anderen dagegen ging sie zurück. Zeigt diese Veränderung nun
einen günstigen Einfluß der Sozialdemokratie, das heißt ein Sinken der Straf¬
fälligkeit bei stark steigender Verbreitung des sozialdemokratischen Einflusses?
Man könnte hierfür anführen als Beispiele

Prozente der sozial- ^ ^"". , ,,
5. . ^ StraffaMgieit
demokratischen Stürmen
1834 1907 1383/87 1903/07
S.-Altenburg 9.8 45,3 869 848
'
S.-Kob.-Gotha 31,5 42,5 855 834
Sckw.-Rudolstadt 8,6 43,8 1540 1201
scho.-Sondersh. 6.8 35,1 1350 945

Das Königreich Sachsen zeigt bei sehr starker Sozialdemokratie nur
geringes Steigen der Straffälligkeit von 928 auf 960 (1882/83 war sie
höher). Hingegen zeigen andere Länder neben starkem Steigen der Sozial¬
demokratie auch sehr starkes Steigen der Straffälligkeit, z. B.

Prozente der sozial- Stmffälliqkeit
demokratischen Stimmen " ^
Bremen 23,3 48,4 1295 2101
Hamburg 51,7 60.6 1059 1405

Kann die Sozialdemokratie den sittlichen Einfluß der Religion ersetzen?

in Reuß ä. L. mit 56,6 und Hamburg mit 51,7 Prozent schon die Mehrheit,
während sie in Reutz j. L. mit 43,3 Prozent, Sachsen mit 35,3 Prozent, Berlin
mit 34,8 Prozent, Sachsen-Koburg-Gotha mit 31,6 Prozent sehr stark vertreten
waren. Auch 1907 zeigen Posen nur 1,9, Hohenzollern 2,1, Westpreußen 7,0,
Waldeck 10,0. Ostpreußen 13,5, Rheinland 19.5, Pommern 19,9 Prozent,
(allerdings waren 1903 diese Zahlen höher); alle anderen Reichsteile weisen mehr
als 20 Prozent, nicht wenige über 40, ja Lübeck und (1903) Sachsen, Alten¬
burg, die beiden Reuß und Schwarzburg-Rudolstadt und Bremen über 50 Prozent,
Berlin und Hamburg über 60 Prozent auf.

Auch die Straffälligkeit war 1883/87 bereits sehr verschieden, am höchsten
in Posen (1679), Ostpreußen (1655), Westpreußen (1538), Schwarzburg-
Rudolstadt (1540), Pfalz (1440), Schwarzburg-Sondershausen (1350), Bremen
(1295). Am niedrigsten war sie in Schaumburg-Lippe mit 426, Lippe mit 510,
Waldeck mit 518, Hohenzollern mit 541, Westfalen mit 633, Mecklenburg-
Schwerin mit 643, Oldenburg mit 635, Mecklenburg-Strelitz mit 690, also
gerade in denjenigen Gegenden, wo die Sozialdemokcatie überhaupt noch keine
oder sehr wenig Stimmen zählte. Nur in Rheinland mit 673 und Schleswig-
Holstein mit 602 Straffälligen war die Sozialdemokratie schon mit 7,0 bzw.
17,9 Prozent vertreten. Ihre geringe Straffälligkeitsziffer verdankten also damals
diese Gegenden der Sozialdemokratie zweifellos nicht. Dadurch schon erscheint
es höchst zweifelhaft, ob die hohe Strafzahl der vorher genannten Gegenden auf
den Mangel an sozialdemokratischen Anschauungen und das „Dominieren der
Religion" geschoben werden könne.

Nun hat sich die Straffälligkeit bis 1903/07 sehr ungleichmäßig geändert.
In einzelnen Ländern und Provinzen stieg sie viel stärker, als im Neichsdurch-
schnitte, in anderen dagegen ging sie zurück. Zeigt diese Veränderung nun
einen günstigen Einfluß der Sozialdemokratie, das heißt ein Sinken der Straf¬
fälligkeit bei stark steigender Verbreitung des sozialdemokratischen Einflusses?
Man könnte hierfür anführen als Beispiele

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demokratischen Stürmen
1834 1907 1383/87 1903/07
S.-Altenburg 9.8 45,3 869 848
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S.-Kob.-Gotha 31,5 42,5 855 834
Sckw.-Rudolstadt 8,6 43,8 1540 1201
scho.-Sondersh. 6.8 35,1 1350 945

Das Königreich Sachsen zeigt bei sehr starker Sozialdemokratie nur
geringes Steigen der Straffälligkeit von 928 auf 960 (1882/83 war sie
höher). Hingegen zeigen andere Länder neben starkem Steigen der Sozial¬
demokratie auch sehr starkes Steigen der Straffälligkeit, z. B.

Prozente der sozial- Stmffälliqkeit
demokratischen Stimmen " ^
Bremen 23,3 48,4 1295 2101
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[0320] Kann die Sozialdemokratie den sittlichen Einfluß der Religion ersetzen? in Reuß ä. L. mit 56,6 und Hamburg mit 51,7 Prozent schon die Mehrheit, während sie in Reutz j. L. mit 43,3 Prozent, Sachsen mit 35,3 Prozent, Berlin mit 34,8 Prozent, Sachsen-Koburg-Gotha mit 31,6 Prozent sehr stark vertreten waren. Auch 1907 zeigen Posen nur 1,9, Hohenzollern 2,1, Westpreußen 7,0, Waldeck 10,0. Ostpreußen 13,5, Rheinland 19.5, Pommern 19,9 Prozent, (allerdings waren 1903 diese Zahlen höher); alle anderen Reichsteile weisen mehr als 20 Prozent, nicht wenige über 40, ja Lübeck und (1903) Sachsen, Alten¬ burg, die beiden Reuß und Schwarzburg-Rudolstadt und Bremen über 50 Prozent, Berlin und Hamburg über 60 Prozent auf. Auch die Straffälligkeit war 1883/87 bereits sehr verschieden, am höchsten in Posen (1679), Ostpreußen (1655), Westpreußen (1538), Schwarzburg- Rudolstadt (1540), Pfalz (1440), Schwarzburg-Sondershausen (1350), Bremen (1295). Am niedrigsten war sie in Schaumburg-Lippe mit 426, Lippe mit 510, Waldeck mit 518, Hohenzollern mit 541, Westfalen mit 633, Mecklenburg- Schwerin mit 643, Oldenburg mit 635, Mecklenburg-Strelitz mit 690, also gerade in denjenigen Gegenden, wo die Sozialdemokcatie überhaupt noch keine oder sehr wenig Stimmen zählte. Nur in Rheinland mit 673 und Schleswig- Holstein mit 602 Straffälligen war die Sozialdemokratie schon mit 7,0 bzw. 17,9 Prozent vertreten. Ihre geringe Straffälligkeitsziffer verdankten also damals diese Gegenden der Sozialdemokratie zweifellos nicht. Dadurch schon erscheint es höchst zweifelhaft, ob die hohe Strafzahl der vorher genannten Gegenden auf den Mangel an sozialdemokratischen Anschauungen und das „Dominieren der Religion" geschoben werden könne. Nun hat sich die Straffälligkeit bis 1903/07 sehr ungleichmäßig geändert. In einzelnen Ländern und Provinzen stieg sie viel stärker, als im Neichsdurch- schnitte, in anderen dagegen ging sie zurück. Zeigt diese Veränderung nun einen günstigen Einfluß der Sozialdemokratie, das heißt ein Sinken der Straf¬ fälligkeit bei stark steigender Verbreitung des sozialdemokratischen Einflusses? Man könnte hierfür anführen als Beispiele Prozente der sozial- ^ ^„„. , ,, 5. . ^ StraffaMgieit demokratischen Stürmen 1834 1907 1383/87 1903/07 S.-Altenburg 9.8 45,3 869 848 ' S.-Kob.-Gotha 31,5 42,5 855 834 Sckw.-Rudolstadt 8,6 43,8 1540 1201 scho.-Sondersh. 6.8 35,1 1350 945 Das Königreich Sachsen zeigt bei sehr starker Sozialdemokratie nur geringes Steigen der Straffälligkeit von 928 auf 960 (1882/83 war sie höher). Hingegen zeigen andere Länder neben starkem Steigen der Sozial¬ demokratie auch sehr starkes Steigen der Straffälligkeit, z. B. Prozente der sozial- Stmffälliqkeit demokratischen Stimmen " ^ Bremen 23,3 48,4 1295 2101 Hamburg 51,7 60.6 1059 1405

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/320>, abgerufen am 22.07.2024.