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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Der gegenwärtige Stand der Alkoholforschung

wurde: "Immer wieder ist beobachtet worden, daß der erste Alkohol¬
genuß nach der Gefängnisentlassung wieder der erste Schritt zur Gesetzesüber¬
tretung ist. Von sämtlichen im verflossenen Jahre in der hiesigen Strafanstalt
eingelieferten Gefangenen sind 78 Prozent durch den Alkohol gefallen. Ge¬
fangenenfürsorge bedeutet also Kampf gegen den Alkohol."

Eine Tatsache geht aus diesen Zahlen deutlich hervor. Der Alkoholismus
kostet dem Staat Jahr für Jahr eine ganz bedeutende Summe. Erhebungen
nach dieser Richtung hat kürzlich eine vom schwedischen Staat eingesetzte Kom¬
mission aufgestellt. Sie rechnete z. B. aus, daß von 2403597 Kronen Ge-
fängniskosten im Jahre 1908 71,5 Prozent- 1718572 Kronen allein auf das
Konto Alkohol kommen.*) Wiluf**) gibt einige Fälle aus der Praxis. "Was
einzelne Trinker der Allgemeinheit kosten können.

Für den Trinker H. H. wurden verausgabt in der Zeit von 1900 bis 1911

Barunterstützungen......... 239,-- M.
Pflegekosten für die Frau....... 8,-- "
Kosten für die Unterbringung der Kinder. . 4951,-- "
in elf Jahren .... 5198,-- M.

Für den Trinker F. P. in der Zeit von 1904 bis 1911

Barunterbringung......... 1247,77 M.
Bekleidung........... 45,-- "
Unterstützung aus einer Stiftung .... 183,75 "
in sieben Jahren . . . 1476.52 M.

Für den Trinker W. sah. in der Zeit von 1894 bis 1911

Barunterstützungen......... 963,39 M.
Unterbringung in einer Heilanstalt .... 160,50 "
Krankenhauspflegekosten für die Frau . . . 55,90 "
Unterbringung der Kinder...... 1875,16 "
in siebzehn Jahren . . 3054.95 M.

In allen drei Fällen dauert die Unterstützung fort."

Man schätzt die jährlich in Deutschland durch trunksüchtige Eltern ver¬
ursachte Armenlast auf insgesamt 20 Millionen.

Zweifellos ist darum der Ausspruch des Staatssekretärs des Reichsschatz¬
amtes Kühn -- in der 43. Sitzung des Reichstages vom 22. April 1912
Protokoll Seite 1308IZ -- warm zu begrüßen: "Sollte wirklich der Preis sich
dauernd erhöhen oder sollte aus irgendeinem Grunde -- es gibt ja deren
noch mehrere -- Abnahme des Branntweinkonsums eintreten, auf die Gefahr
hin, von Ihnen für einen finanzwirtschaftlichen Ketzer erklärt zu werden, muß




*) Hercod, "Wie Schweden seine Staatsfinanzen von den Alkoholeinnahmen unabhängig
machen will." In: Jut.-Mon.-sehr. z. Erforsch, d. Alk. 1912. Ur. 6.
*") Zeitungskorrespondenz des D. V. g. d. M. g, G. 1912. Ur. 3. 2.
Der gegenwärtige Stand der Alkoholforschung

wurde: „Immer wieder ist beobachtet worden, daß der erste Alkohol¬
genuß nach der Gefängnisentlassung wieder der erste Schritt zur Gesetzesüber¬
tretung ist. Von sämtlichen im verflossenen Jahre in der hiesigen Strafanstalt
eingelieferten Gefangenen sind 78 Prozent durch den Alkohol gefallen. Ge¬
fangenenfürsorge bedeutet also Kampf gegen den Alkohol."

Eine Tatsache geht aus diesen Zahlen deutlich hervor. Der Alkoholismus
kostet dem Staat Jahr für Jahr eine ganz bedeutende Summe. Erhebungen
nach dieser Richtung hat kürzlich eine vom schwedischen Staat eingesetzte Kom¬
mission aufgestellt. Sie rechnete z. B. aus, daß von 2403597 Kronen Ge-
fängniskosten im Jahre 1908 71,5 Prozent- 1718572 Kronen allein auf das
Konto Alkohol kommen.*) Wiluf**) gibt einige Fälle aus der Praxis. „Was
einzelne Trinker der Allgemeinheit kosten können.

Für den Trinker H. H. wurden verausgabt in der Zeit von 1900 bis 1911

Barunterstützungen......... 239,— M.
Pflegekosten für die Frau....... 8,— „
Kosten für die Unterbringung der Kinder. . 4951,— „
in elf Jahren .... 5198,— M.

Für den Trinker F. P. in der Zeit von 1904 bis 1911

Barunterbringung......... 1247,77 M.
Bekleidung........... 45,— „
Unterstützung aus einer Stiftung .... 183,75 „
in sieben Jahren . . . 1476.52 M.

Für den Trinker W. sah. in der Zeit von 1894 bis 1911

Barunterstützungen......... 963,39 M.
Unterbringung in einer Heilanstalt .... 160,50 „
Krankenhauspflegekosten für die Frau . . . 55,90 „
Unterbringung der Kinder...... 1875,16 „
in siebzehn Jahren . . 3054.95 M.

In allen drei Fällen dauert die Unterstützung fort."

Man schätzt die jährlich in Deutschland durch trunksüchtige Eltern ver¬
ursachte Armenlast auf insgesamt 20 Millionen.

Zweifellos ist darum der Ausspruch des Staatssekretärs des Reichsschatz¬
amtes Kühn — in der 43. Sitzung des Reichstages vom 22. April 1912
Protokoll Seite 1308IZ — warm zu begrüßen: „Sollte wirklich der Preis sich
dauernd erhöhen oder sollte aus irgendeinem Grunde — es gibt ja deren
noch mehrere — Abnahme des Branntweinkonsums eintreten, auf die Gefahr
hin, von Ihnen für einen finanzwirtschaftlichen Ketzer erklärt zu werden, muß




*) Hercod, „Wie Schweden seine Staatsfinanzen von den Alkoholeinnahmen unabhängig
machen will." In: Jut.-Mon.-sehr. z. Erforsch, d. Alk. 1912. Ur. 6.
*") Zeitungskorrespondenz des D. V. g. d. M. g, G. 1912. Ur. 3. 2.
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[0282] Der gegenwärtige Stand der Alkoholforschung wurde: „Immer wieder ist beobachtet worden, daß der erste Alkohol¬ genuß nach der Gefängnisentlassung wieder der erste Schritt zur Gesetzesüber¬ tretung ist. Von sämtlichen im verflossenen Jahre in der hiesigen Strafanstalt eingelieferten Gefangenen sind 78 Prozent durch den Alkohol gefallen. Ge¬ fangenenfürsorge bedeutet also Kampf gegen den Alkohol." Eine Tatsache geht aus diesen Zahlen deutlich hervor. Der Alkoholismus kostet dem Staat Jahr für Jahr eine ganz bedeutende Summe. Erhebungen nach dieser Richtung hat kürzlich eine vom schwedischen Staat eingesetzte Kom¬ mission aufgestellt. Sie rechnete z. B. aus, daß von 2403597 Kronen Ge- fängniskosten im Jahre 1908 71,5 Prozent- 1718572 Kronen allein auf das Konto Alkohol kommen.*) Wiluf**) gibt einige Fälle aus der Praxis. „Was einzelne Trinker der Allgemeinheit kosten können. Für den Trinker H. H. wurden verausgabt in der Zeit von 1900 bis 1911 Barunterstützungen......... 239,— M. Pflegekosten für die Frau....... 8,— „ Kosten für die Unterbringung der Kinder. . 4951,— „ in elf Jahren .... 5198,— M. Für den Trinker F. P. in der Zeit von 1904 bis 1911 Barunterbringung......... 1247,77 M. Bekleidung........... 45,— „ Unterstützung aus einer Stiftung .... 183,75 „ in sieben Jahren . . . 1476.52 M. Für den Trinker W. sah. in der Zeit von 1894 bis 1911 Barunterstützungen......... 963,39 M. Unterbringung in einer Heilanstalt .... 160,50 „ Krankenhauspflegekosten für die Frau . . . 55,90 „ Unterbringung der Kinder...... 1875,16 „ in siebzehn Jahren . . 3054.95 M. In allen drei Fällen dauert die Unterstützung fort." Man schätzt die jährlich in Deutschland durch trunksüchtige Eltern ver¬ ursachte Armenlast auf insgesamt 20 Millionen. Zweifellos ist darum der Ausspruch des Staatssekretärs des Reichsschatz¬ amtes Kühn — in der 43. Sitzung des Reichstages vom 22. April 1912 Protokoll Seite 1308IZ — warm zu begrüßen: „Sollte wirklich der Preis sich dauernd erhöhen oder sollte aus irgendeinem Grunde — es gibt ja deren noch mehrere — Abnahme des Branntweinkonsums eintreten, auf die Gefahr hin, von Ihnen für einen finanzwirtschaftlichen Ketzer erklärt zu werden, muß *) Hercod, „Wie Schweden seine Staatsfinanzen von den Alkoholeinnahmen unabhängig machen will." In: Jut.-Mon.-sehr. z. Erforsch, d. Alk. 1912. Ur. 6. *") Zeitungskorrespondenz des D. V. g. d. M. g, G. 1912. Ur. 3. 2.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/282>, abgerufen am 01.07.2024.