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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Der gegenwärtige Stand der Alkoholforschung

angelegen sein lassen, die Fortschritte der Wissenschaft im Dienste der Volks-
auMrnng über die Schäden des Alkoholismus auszunutzen.

Im Gegensatze zu diesen Bestrebungen der Alkoholgegner, den Alkohol-
genuß einzudämmen, bemühen sich Jnteressenverbände, in erster Linie der "Deutsche
Brauerbund" und der "Deutsche Abwehrbund gegen die Übergriffe der Ab¬
stinenzbewegung", seit kurzem durch eine lebhafte Gegenagitation, dieses Bestreben
zunichte zu machen.

Es dürfte dem gegenüber eine dankenswerte Aufgabe sein, einmal --
wenn auch in aller Kürze -- alle neueren Forschungsergebnisse der Alkoholfrage
einwandfrei festzustellen.

Ist es ein Vorurteil, daß der Arbeiter seinen Schnaps trinken muß, weil
er nährt? Weil der Alkohol Kraft gibt? Es steht heute fest, daß der Alkohol
nicht nur ein Genußmittel ist, sondern in der Tat auch für den Menschen eine
Energiequelle darstellt.*) Die bei der Verbrennung des Alkohols im Körper
erzeugte Energiemenge wird von einem ruhenden Körper in seinem Wärme-
Haushalte verwertet. Trotzdem ist er kein Nahrungsmittel! Denn einmal ist
der Alkohol ein narkotisches Gift, das bereits in kleinen Mengen das Gehirn
betäubt und lahmt/*) und ebenso einwandfrei ist auch festgestellt, daß bei einem
arbeitenden Körper nur ein Teil der erzeugten Energiemenge zu willkürlicher
Muskelarbeit Verwendung findet, da der Alkohol die Wirkung der Übung fast
gänzlich ausschaltet.

Bemerkenswert sind in dieser Hinsicht Untersuchungen von Durig, der durch
Bergsteigeoersuche feststellte, daß nur etwas mehr als ein Viertel der im ge¬
nossenen Alkohol enthaltenen Energiemengen ausgenutzt wird***).

Zu diesen beiden Faktoren gesellt sich ferner der Umstand, daß man für
dasselbe Geld in Kartoffeln 7,5mal, in Getreidemehl etwa 5mal, in Zucker
etwa 4mal soviel potenzielle Energie kaufen kann als in Bier oder in 35 vol.-
prozentigem Kornbranntwein. Selbst wenn also der Alkohol ein einwand¬
freies Nährmittel wäre, so wäre es unsinnig, ihn ein Nahrungsmittel zu nennen.

"Wenn der Arbeiter Bier oder Kornbranntwein kauft, um sich bei der
Arbeit zu stärken, dann zahlt er die Kalorie nach Maßgabe der Durigschen
Versuche nicht 7,5mal, sondern (7,5mal 4) rund 30mal teurer als in Kartoffeln,
nicht 5mal. sondern 20mal teurer als in Mehl, nicht 4mal, sondern 16mal
teurer als in Zucker! Wer sich in Bier statt in Kartoffeln Muskelkraft kauft,
handelt genau so unwirtschaftlich wie jemand, der einen Dampfkessel statt mit
Kohle mit Weizenmehl heizen würde." So schließt Gruber seine Bettachtungen
über den Nährwert des Alkohols.





*) M. von Gruber: "über den Nährwert des Alkohols." In: Alkoholfrage 1911.
Jahrg. 8, H, 1, S. 14.
**) Man vergleiche die Arbeiten von Kraepelin und seinen Schülern.
Nach Versuchen von A. Durig an sich selbst. ("Archiv f. d. ges, Physiologie 113
l1S06). S. 341.)
Grenzboten III 1912 34
Der gegenwärtige Stand der Alkoholforschung

angelegen sein lassen, die Fortschritte der Wissenschaft im Dienste der Volks-
auMrnng über die Schäden des Alkoholismus auszunutzen.

Im Gegensatze zu diesen Bestrebungen der Alkoholgegner, den Alkohol-
genuß einzudämmen, bemühen sich Jnteressenverbände, in erster Linie der „Deutsche
Brauerbund" und der „Deutsche Abwehrbund gegen die Übergriffe der Ab¬
stinenzbewegung", seit kurzem durch eine lebhafte Gegenagitation, dieses Bestreben
zunichte zu machen.

Es dürfte dem gegenüber eine dankenswerte Aufgabe sein, einmal —
wenn auch in aller Kürze — alle neueren Forschungsergebnisse der Alkoholfrage
einwandfrei festzustellen.

Ist es ein Vorurteil, daß der Arbeiter seinen Schnaps trinken muß, weil
er nährt? Weil der Alkohol Kraft gibt? Es steht heute fest, daß der Alkohol
nicht nur ein Genußmittel ist, sondern in der Tat auch für den Menschen eine
Energiequelle darstellt.*) Die bei der Verbrennung des Alkohols im Körper
erzeugte Energiemenge wird von einem ruhenden Körper in seinem Wärme-
Haushalte verwertet. Trotzdem ist er kein Nahrungsmittel! Denn einmal ist
der Alkohol ein narkotisches Gift, das bereits in kleinen Mengen das Gehirn
betäubt und lahmt/*) und ebenso einwandfrei ist auch festgestellt, daß bei einem
arbeitenden Körper nur ein Teil der erzeugten Energiemenge zu willkürlicher
Muskelarbeit Verwendung findet, da der Alkohol die Wirkung der Übung fast
gänzlich ausschaltet.

Bemerkenswert sind in dieser Hinsicht Untersuchungen von Durig, der durch
Bergsteigeoersuche feststellte, daß nur etwas mehr als ein Viertel der im ge¬
nossenen Alkohol enthaltenen Energiemengen ausgenutzt wird***).

Zu diesen beiden Faktoren gesellt sich ferner der Umstand, daß man für
dasselbe Geld in Kartoffeln 7,5mal, in Getreidemehl etwa 5mal, in Zucker
etwa 4mal soviel potenzielle Energie kaufen kann als in Bier oder in 35 vol.-
prozentigem Kornbranntwein. Selbst wenn also der Alkohol ein einwand¬
freies Nährmittel wäre, so wäre es unsinnig, ihn ein Nahrungsmittel zu nennen.

„Wenn der Arbeiter Bier oder Kornbranntwein kauft, um sich bei der
Arbeit zu stärken, dann zahlt er die Kalorie nach Maßgabe der Durigschen
Versuche nicht 7,5mal, sondern (7,5mal 4) rund 30mal teurer als in Kartoffeln,
nicht 5mal. sondern 20mal teurer als in Mehl, nicht 4mal, sondern 16mal
teurer als in Zucker! Wer sich in Bier statt in Kartoffeln Muskelkraft kauft,
handelt genau so unwirtschaftlich wie jemand, der einen Dampfkessel statt mit
Kohle mit Weizenmehl heizen würde." So schließt Gruber seine Bettachtungen
über den Nährwert des Alkohols.





*) M. von Gruber: „über den Nährwert des Alkohols." In: Alkoholfrage 1911.
Jahrg. 8, H, 1, S. 14.
**) Man vergleiche die Arbeiten von Kraepelin und seinen Schülern.
Nach Versuchen von A. Durig an sich selbst. („Archiv f. d. ges, Physiologie 113
l1S06). S. 341.)
Grenzboten III 1912 34
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[0277] Der gegenwärtige Stand der Alkoholforschung angelegen sein lassen, die Fortschritte der Wissenschaft im Dienste der Volks- auMrnng über die Schäden des Alkoholismus auszunutzen. Im Gegensatze zu diesen Bestrebungen der Alkoholgegner, den Alkohol- genuß einzudämmen, bemühen sich Jnteressenverbände, in erster Linie der „Deutsche Brauerbund" und der „Deutsche Abwehrbund gegen die Übergriffe der Ab¬ stinenzbewegung", seit kurzem durch eine lebhafte Gegenagitation, dieses Bestreben zunichte zu machen. Es dürfte dem gegenüber eine dankenswerte Aufgabe sein, einmal — wenn auch in aller Kürze — alle neueren Forschungsergebnisse der Alkoholfrage einwandfrei festzustellen. Ist es ein Vorurteil, daß der Arbeiter seinen Schnaps trinken muß, weil er nährt? Weil der Alkohol Kraft gibt? Es steht heute fest, daß der Alkohol nicht nur ein Genußmittel ist, sondern in der Tat auch für den Menschen eine Energiequelle darstellt.*) Die bei der Verbrennung des Alkohols im Körper erzeugte Energiemenge wird von einem ruhenden Körper in seinem Wärme- Haushalte verwertet. Trotzdem ist er kein Nahrungsmittel! Denn einmal ist der Alkohol ein narkotisches Gift, das bereits in kleinen Mengen das Gehirn betäubt und lahmt/*) und ebenso einwandfrei ist auch festgestellt, daß bei einem arbeitenden Körper nur ein Teil der erzeugten Energiemenge zu willkürlicher Muskelarbeit Verwendung findet, da der Alkohol die Wirkung der Übung fast gänzlich ausschaltet. Bemerkenswert sind in dieser Hinsicht Untersuchungen von Durig, der durch Bergsteigeoersuche feststellte, daß nur etwas mehr als ein Viertel der im ge¬ nossenen Alkohol enthaltenen Energiemengen ausgenutzt wird***). Zu diesen beiden Faktoren gesellt sich ferner der Umstand, daß man für dasselbe Geld in Kartoffeln 7,5mal, in Getreidemehl etwa 5mal, in Zucker etwa 4mal soviel potenzielle Energie kaufen kann als in Bier oder in 35 vol.- prozentigem Kornbranntwein. Selbst wenn also der Alkohol ein einwand¬ freies Nährmittel wäre, so wäre es unsinnig, ihn ein Nahrungsmittel zu nennen. „Wenn der Arbeiter Bier oder Kornbranntwein kauft, um sich bei der Arbeit zu stärken, dann zahlt er die Kalorie nach Maßgabe der Durigschen Versuche nicht 7,5mal, sondern (7,5mal 4) rund 30mal teurer als in Kartoffeln, nicht 5mal. sondern 20mal teurer als in Mehl, nicht 4mal, sondern 16mal teurer als in Zucker! Wer sich in Bier statt in Kartoffeln Muskelkraft kauft, handelt genau so unwirtschaftlich wie jemand, der einen Dampfkessel statt mit Kohle mit Weizenmehl heizen würde." So schließt Gruber seine Bettachtungen über den Nährwert des Alkohols. *) M. von Gruber: „über den Nährwert des Alkohols." In: Alkoholfrage 1911. Jahrg. 8, H, 1, S. 14. **) Man vergleiche die Arbeiten von Kraepelin und seinen Schülern. Nach Versuchen von A. Durig an sich selbst. („Archiv f. d. ges, Physiologie 113 l1S06). S. 341.) Grenzboten III 1912 34

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/277>, abgerufen am 22.07.2024.