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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Die Duellfrage

hab" usw. Das Duell dagegen ist eine seit Urzeiten gesetzlich verbotene, nach
vorgängiger Herausforderung beabsichtigte Selbstrache, in der das alte deutsche
Recht bis in das sechzehnte Jahrhundert hinein nichts anderes erblickte als einen
Raufhandel, den es je nach dem Ausgange mit den gewöhnlichen Strafen der
Körperverletzung oder des Todschlages oder Mordes hart bestrafte. Erst in der
zweiten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts kam den sächsischen Rechtsgelehrten
bei Beratung der ihnen vom Kurfürsten August anbefohlenen Reformvorschläge
der Gedanke, ob nicht "diejenigen, welche auf vorgehende ehrverletzliche wörtliche
Provocation delinquiren, linder zu strafen" seien? Als Beleg für die Zweckmäßig¬
keit der Bejahung dieser Frage mußte -- kaum glaublich, aber bezeichnend für
das damalige Bestreben der zünftigen Juristen, dem römischen Rechte auf alle
mögliche Weise Eingang zu verschaffen -- unter anderem eine Digestenstelle
herhalten, nach der bei einer tödlich ausgegangenen Rempelei zwischen Rindern
oder Widdern dem Eigentümer des gefallenen Tieres ein Schadenersatzanspruch
nur dann zustehen sollte, wenn dieses der angegriffene Teil gewesen sei. Die
Anregung der Rechtsgelehrten fiel bei Kurfürst August auf guten Boden. Er
bestimmte unter IV, 10 der von ihm im Jahre 1572 erlassenen Konstitutionen:
"So einer mit Ehrenrührigen Worten durch jemands, Unserm Verbot zu wider,
Zum Kampfs gefordert worden und den, welcher ihn ietzgedachter gestalt pro-
vociret, verletzet oder verwundet, so soll der, so provociret worden, einigen
Abtrag zu geben nicht schuldig seyn. Würde sichs aber zutragen, daß der, so
durch Ehrenverletzliche Wort gefordert, den Provocanten entleibete, so soll er,
in Erwegung deren Personen Umstände, mit ordentlicher Straffe der Totschläger
nicht beleget, sondern willkührlich, als: mit Landes-Verweisung und dergleichen
gestraffet werden." Doch der Kurfürst ging noch einen Schritt weiter. Er
wollte den ehrverletzenden Provokanten unter allen Umständen fassen. Deshalb
bestimmte er in Korse. IV, 9: "nachdeme durch das Auffordern offtmals Tod¬
schlag und andrer Unrath sich zuträgt, So ordnen und setzen Wir: daß der-
jenige, so einen mit Ehrenrührigen und beschwerlichen Worten auffordert, so
auch gleich kein Schade daraus entstanden, soll mit einer ziemlichen Geld-Buße,
Gefängnis, oder aber, nach Gelegenheit der Sachen und Personen, mit Landes-
Verweisung gestraffet werden" --. Es ist einigermaßen auffällig und zu ver¬
wundern, daß in diesen beiden Bestimmungen der Herausforderer immer gleich¬
zeitig auch als Ehrverletzer angenommen ist. Der Fall einer Herausforderung
ohne gleichzeitige Beschimpfung des Gegners, sondern vielmehr erst infolge einer
vorhergegangenen Beschimpfung von dessen Seite, ist überhaupt nicht vorgesehen,
und doch ist er -- wenigstens heutzutage -- der häufigste, und, nach dem
definitiven Wortlaut des oben erwähnten Reformoorschlages: "aus welchem
erfolget, daß diejenigen, welche aus hitzigem, zornigem, durch Ehrnverletzliche
Worte bewegtem Gemüt verbrechen" usw., auch von den Juristen ursprünglich
ins Auge gefaßt gewesen. Nun, das hier Fehlende ist später um so gründlicher
nachgeholt worden.


Die Duellfrage

hab" usw. Das Duell dagegen ist eine seit Urzeiten gesetzlich verbotene, nach
vorgängiger Herausforderung beabsichtigte Selbstrache, in der das alte deutsche
Recht bis in das sechzehnte Jahrhundert hinein nichts anderes erblickte als einen
Raufhandel, den es je nach dem Ausgange mit den gewöhnlichen Strafen der
Körperverletzung oder des Todschlages oder Mordes hart bestrafte. Erst in der
zweiten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts kam den sächsischen Rechtsgelehrten
bei Beratung der ihnen vom Kurfürsten August anbefohlenen Reformvorschläge
der Gedanke, ob nicht „diejenigen, welche auf vorgehende ehrverletzliche wörtliche
Provocation delinquiren, linder zu strafen" seien? Als Beleg für die Zweckmäßig¬
keit der Bejahung dieser Frage mußte — kaum glaublich, aber bezeichnend für
das damalige Bestreben der zünftigen Juristen, dem römischen Rechte auf alle
mögliche Weise Eingang zu verschaffen — unter anderem eine Digestenstelle
herhalten, nach der bei einer tödlich ausgegangenen Rempelei zwischen Rindern
oder Widdern dem Eigentümer des gefallenen Tieres ein Schadenersatzanspruch
nur dann zustehen sollte, wenn dieses der angegriffene Teil gewesen sei. Die
Anregung der Rechtsgelehrten fiel bei Kurfürst August auf guten Boden. Er
bestimmte unter IV, 10 der von ihm im Jahre 1572 erlassenen Konstitutionen:
„So einer mit Ehrenrührigen Worten durch jemands, Unserm Verbot zu wider,
Zum Kampfs gefordert worden und den, welcher ihn ietzgedachter gestalt pro-
vociret, verletzet oder verwundet, so soll der, so provociret worden, einigen
Abtrag zu geben nicht schuldig seyn. Würde sichs aber zutragen, daß der, so
durch Ehrenverletzliche Wort gefordert, den Provocanten entleibete, so soll er,
in Erwegung deren Personen Umstände, mit ordentlicher Straffe der Totschläger
nicht beleget, sondern willkührlich, als: mit Landes-Verweisung und dergleichen
gestraffet werden." Doch der Kurfürst ging noch einen Schritt weiter. Er
wollte den ehrverletzenden Provokanten unter allen Umständen fassen. Deshalb
bestimmte er in Korse. IV, 9: „nachdeme durch das Auffordern offtmals Tod¬
schlag und andrer Unrath sich zuträgt, So ordnen und setzen Wir: daß der-
jenige, so einen mit Ehrenrührigen und beschwerlichen Worten auffordert, so
auch gleich kein Schade daraus entstanden, soll mit einer ziemlichen Geld-Buße,
Gefängnis, oder aber, nach Gelegenheit der Sachen und Personen, mit Landes-
Verweisung gestraffet werden" —. Es ist einigermaßen auffällig und zu ver¬
wundern, daß in diesen beiden Bestimmungen der Herausforderer immer gleich¬
zeitig auch als Ehrverletzer angenommen ist. Der Fall einer Herausforderung
ohne gleichzeitige Beschimpfung des Gegners, sondern vielmehr erst infolge einer
vorhergegangenen Beschimpfung von dessen Seite, ist überhaupt nicht vorgesehen,
und doch ist er — wenigstens heutzutage — der häufigste, und, nach dem
definitiven Wortlaut des oben erwähnten Reformoorschlages: „aus welchem
erfolget, daß diejenigen, welche aus hitzigem, zornigem, durch Ehrnverletzliche
Worte bewegtem Gemüt verbrechen" usw., auch von den Juristen ursprünglich
ins Auge gefaßt gewesen. Nun, das hier Fehlende ist später um so gründlicher
nachgeholt worden.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/255>, abgerufen am 02.07.2024.